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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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sehr bereuen, mich aus Heidelbergs Mauer" aus keinem andern Grunde relegirt
zu haben, als weil ich täglich einige Flaschen Wein mehr trank, als ich bezahlen
konnte. Leben Sie wohl! aber damit sie sehen, wie sehr ich über Ihnen erhaben
bin, trinke ich in ein und einer halben Minute .diese-Flasche völlig aus; leben
Sie wohl!" Dann stand er auf, stieg vom Cajüteudecke herab, verfügte sich
auf seine Matratze nud schlief. -- Ein Jahr später stand er hinter dem Bar,
und verkaufte als Clerk für ü Cent Whisky.

Neben mir, über das Bord gelehnt, stand ein junger, frischer Mann, ein
Goldschmied, der bisher eine seinem übrigen Wesen nicht angemessene Zurück¬
haltung beobachtet hatte. "Endlich!" rief er aus, als die Verbindung des
Schiffes mit dem Lande aufgehoben war, und dann schmieg er, und ich schwieg
auch. "Wissen Sie," fuhr er nach einigen Minuten fort, als er merkte, daß ich
nicht geneigt war, ihn nach der Bedeutung des "Endlich" zu fragen; "nun bin
ich. froh; ich habe diese 3 Wochen in Bremerhavcn in steter Angst gelebt, am
Tage bin ich kaum jemals ausgegangen, und des Nachts habe ich fast kein Auge
zugethan; nun aber werde ich schlafen, daß mich kein Wind und Wetter auf¬
wecken soll. ""Abwarten!"" sagte ich, ""wissen Sie, was Seekrankheit ist?""
"Nein; aber ich bin mein Lebtag noch nicht krank gewesen; ich habe einen Körper
wie ein Riese; glauben Sie, ein Bißchen Schaukeln könnte mich auf die Nase
werfen?" ""Nun, ich weiß es nicht."" "Sie denken", begann er nach einer
Pause wieder, "ich heiße ^; weit gefehlt, mein Name ist 2; wissen Sie, ich
habe die Revolution mitgemacht; dann bin ich ausgerissen; jetzt ist mir, als ob
mir ein Centner Blei vom Herzen gefallen wäre. Meine arme Mutter dauert
mich mir!" und eine Thräne rollte ihm von d'er vollen Wange.

"Nun, adieu, fahr' in die Hölle, Du ver -- Deutschland, Du!" rief hinter
uns eine heisere, lallende Stimme; wir wandten unsre Blicke nach dieser Rich¬
tung hin: ein betrunkener Schuster, dem man die Erbärmlichkeit ans jedem Zuge
ablesen konnte, hielt die Branntweinflasche hoch in die Höhe, und lud seine Reise¬
gefährten ein, dem alten Vaterlande ein Pereat zu bringen. Verächtlich kehrte
ihm Jeder den Rücken -- und taumelnd verzog er sich in seine dunkle Lager¬
stätte, um seinen viehischen Rausch zu verschnarchen.

Wiederum ertönte das 0d-od,-ioo-oK der Matrosen, wiederum flatterten die
Segel, wiederum belebten sich die Masten -- die Segel verschwanden aus unsren
Blicken, dann hörten wir das Rasseln der Aukerketten und zugleich den lauten
Gesang des rüstigen Schiffövolks; die Anker stiegen langsam hinab in die Fluch --
wie sestgemauert stand unser Schiff, in geringer Entfernung von uns Deutsch¬
lands Küste der Student hatte umsonst die Abschiedsflasche geleert, der
Schuster umsonst in seinem hündischen Zustande das Land seiner Aeltern verflucht,
und der Goldschmied umsonst seinen Centner Blei vom Herzen geworfen. Aber
der Capitain kehrte sich nicht an unsre mannichfachen Umsonst, vielmehr bestand


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sehr bereuen, mich aus Heidelbergs Mauer» aus keinem andern Grunde relegirt
zu haben, als weil ich täglich einige Flaschen Wein mehr trank, als ich bezahlen
konnte. Leben Sie wohl! aber damit sie sehen, wie sehr ich über Ihnen erhaben
bin, trinke ich in ein und einer halben Minute .diese-Flasche völlig aus; leben
Sie wohl!" Dann stand er auf, stieg vom Cajüteudecke herab, verfügte sich
auf seine Matratze nud schlief. — Ein Jahr später stand er hinter dem Bar,
und verkaufte als Clerk für ü Cent Whisky.

Neben mir, über das Bord gelehnt, stand ein junger, frischer Mann, ein
Goldschmied, der bisher eine seinem übrigen Wesen nicht angemessene Zurück¬
haltung beobachtet hatte. „Endlich!" rief er aus, als die Verbindung des
Schiffes mit dem Lande aufgehoben war, und dann schmieg er, und ich schwieg
auch. „Wissen Sie," fuhr er nach einigen Minuten fort, als er merkte, daß ich
nicht geneigt war, ihn nach der Bedeutung des „Endlich" zu fragen; „nun bin
ich. froh; ich habe diese 3 Wochen in Bremerhavcn in steter Angst gelebt, am
Tage bin ich kaum jemals ausgegangen, und des Nachts habe ich fast kein Auge
zugethan; nun aber werde ich schlafen, daß mich kein Wind und Wetter auf¬
wecken soll. „„Abwarten!"" sagte ich, „„wissen Sie, was Seekrankheit ist?""
„Nein; aber ich bin mein Lebtag noch nicht krank gewesen; ich habe einen Körper
wie ein Riese; glauben Sie, ein Bißchen Schaukeln könnte mich auf die Nase
werfen?" „„Nun, ich weiß es nicht."" „Sie denken", begann er nach einer
Pause wieder, „ich heiße ^; weit gefehlt, mein Name ist 2; wissen Sie, ich
habe die Revolution mitgemacht; dann bin ich ausgerissen; jetzt ist mir, als ob
mir ein Centner Blei vom Herzen gefallen wäre. Meine arme Mutter dauert
mich mir!" und eine Thräne rollte ihm von d'er vollen Wange.

„Nun, adieu, fahr' in die Hölle, Du ver — Deutschland, Du!" rief hinter
uns eine heisere, lallende Stimme; wir wandten unsre Blicke nach dieser Rich¬
tung hin: ein betrunkener Schuster, dem man die Erbärmlichkeit ans jedem Zuge
ablesen konnte, hielt die Branntweinflasche hoch in die Höhe, und lud seine Reise¬
gefährten ein, dem alten Vaterlande ein Pereat zu bringen. Verächtlich kehrte
ihm Jeder den Rücken — und taumelnd verzog er sich in seine dunkle Lager¬
stätte, um seinen viehischen Rausch zu verschnarchen.

Wiederum ertönte das 0d-od,-ioo-oK der Matrosen, wiederum flatterten die
Segel, wiederum belebten sich die Masten — die Segel verschwanden aus unsren
Blicken, dann hörten wir das Rasseln der Aukerketten und zugleich den lauten
Gesang des rüstigen Schiffövolks; die Anker stiegen langsam hinab in die Fluch —
wie sestgemauert stand unser Schiff, in geringer Entfernung von uns Deutsch¬
lands Küste der Student hatte umsonst die Abschiedsflasche geleert, der
Schuster umsonst in seinem hündischen Zustande das Land seiner Aeltern verflucht,
und der Goldschmied umsonst seinen Centner Blei vom Herzen geworfen. Aber
der Capitain kehrte sich nicht an unsre mannichfachen Umsonst, vielmehr bestand


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/375>, abgerufen am 04.07.2024.