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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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In der Richtung dieses Dichters mag eine ganze Schule in Oestreich existiren;
wir kennen davon nur Otto Prechtlcr, der allerdings in jeder Beziehung hinter
seinem Vorbild zurückbleibt. Trotzdem sind seine Stücke: "Die Rose von Sorrent,"
"Adrienne" und "Der Falcouier" nicht ohne Geschick gemacht. Ueberhaupt, und
das möge unsre Betrachtungen schließen, ist jene Sitte der östreichischen Dichter,
das Publicum genan mit dem Wesen ihrer Charaktere, mit der Natur ihrer sitt¬
lichen Probleme und mit den Motiven ihrer Handlungen und ihres Schicksals
bekannt zu machen, wenigstens für die Dichter zweiten und dritten Ranges un¬
endlich empfehlenswerter, als unsre norddeutsche Manier, alle möglichen Motive
durch einander zu werfen, und in jedem Charakterbild dem Publicum einen Rebus
aufzugeben, an dem es sich lange hcrnmgnälen kann, ehe es auch nur einiger-
maßen die Anspielung versieht. Wenn ein KeninS wie Shakspeare von Neuem
auftritt, so. wird er uus auch wieder einen zweiten Hamlet oder etwas Aehnliches
octroyiren, und wir werden uns fügen müssen, so sauer es uns auch wird, wir
werden drei oder vier Jahrhunderte hindurch Commentare schreiben, in denen
wir auf die allerverschiedenartigste Weise auseinanderzusetzen suchen, was
eigentlich der Dichter gemeint hat, und in denen wir zwar jedesmal nachweisen,
daß alle anderen Kommentatoren ans der falschen Fährte sind, aber doch zu dem
Endresultat gelangen, das Werk des Dichters sei nicht nur im höchsten Grad
vollkommen / sondern auch höchst klar und verständlich. Solche Sonverainetäts-
rechte übt aber nur der Genius ans, und da wir nicht in jedem Jahrhundert
einen Shakspeare erwarten können, so wäre es mit unsrem Theater viel besser
bestellt, wenn unsre Dichter sich selber und dem Publicum jedesmal klar zu macheu
suchten, was sie eigentlich beabsichtigen. Dagegen verfallen diese treuherzigen
Dichter wieder in einen andern Irrweg, indem sie sich nämlich dnrch Schiller'S
Beispiel verleiten lassen, die dramatische Wirkung durch rhetorische zu ersetzen.
Mit der Nachahmung Schiller's ist es fast so wie mit der Shakspeare's; die
Manier hat man ihm bald abgesehen, aber der Geist, der sich hinter dieser
Manier versteckt, ist incvmmensurabel. Eine wohlgeordnete Rede halten zu las¬
sen, wie Schiller den Marquis Posa, oder Schlachtbilder zu referiren, wie es der
schwedische Hauptmann thut, das genügt an sich noch nicht, um die dramatische
Wirkung hervorzubringen, die Schiller erreicht, die er erreicht, nicht weil, son¬
dern obgleich er rhetorisch ist.

Als dritten in die Reihe östreichischer Dichter müssen wir einreihen


Joseph Freiherrn von Zedlitz.

Zedlitz ist in Deutschland vorzugsweise wegen seiner lyrischen Gedichte be¬
kannt. Unter seinen Balladen sind einige sehr hübsche, z. B. die nächtliche Heer¬
schau, und seine "Todtenkränze" zeichnen sich dnrch ein sehr bedeutendes


In der Richtung dieses Dichters mag eine ganze Schule in Oestreich existiren;
wir kennen davon nur Otto Prechtlcr, der allerdings in jeder Beziehung hinter
seinem Vorbild zurückbleibt. Trotzdem sind seine Stücke: „Die Rose von Sorrent,"
„Adrienne" und „Der Falcouier" nicht ohne Geschick gemacht. Ueberhaupt, und
das möge unsre Betrachtungen schließen, ist jene Sitte der östreichischen Dichter,
das Publicum genan mit dem Wesen ihrer Charaktere, mit der Natur ihrer sitt¬
lichen Probleme und mit den Motiven ihrer Handlungen und ihres Schicksals
bekannt zu machen, wenigstens für die Dichter zweiten und dritten Ranges un¬
endlich empfehlenswerter, als unsre norddeutsche Manier, alle möglichen Motive
durch einander zu werfen, und in jedem Charakterbild dem Publicum einen Rebus
aufzugeben, an dem es sich lange hcrnmgnälen kann, ehe es auch nur einiger-
maßen die Anspielung versieht. Wenn ein KeninS wie Shakspeare von Neuem
auftritt, so. wird er uus auch wieder einen zweiten Hamlet oder etwas Aehnliches
octroyiren, und wir werden uns fügen müssen, so sauer es uns auch wird, wir
werden drei oder vier Jahrhunderte hindurch Commentare schreiben, in denen
wir auf die allerverschiedenartigste Weise auseinanderzusetzen suchen, was
eigentlich der Dichter gemeint hat, und in denen wir zwar jedesmal nachweisen,
daß alle anderen Kommentatoren ans der falschen Fährte sind, aber doch zu dem
Endresultat gelangen, das Werk des Dichters sei nicht nur im höchsten Grad
vollkommen / sondern auch höchst klar und verständlich. Solche Sonverainetäts-
rechte übt aber nur der Genius ans, und da wir nicht in jedem Jahrhundert
einen Shakspeare erwarten können, so wäre es mit unsrem Theater viel besser
bestellt, wenn unsre Dichter sich selber und dem Publicum jedesmal klar zu macheu
suchten, was sie eigentlich beabsichtigen. Dagegen verfallen diese treuherzigen
Dichter wieder in einen andern Irrweg, indem sie sich nämlich dnrch Schiller'S
Beispiel verleiten lassen, die dramatische Wirkung durch rhetorische zu ersetzen.
Mit der Nachahmung Schiller's ist es fast so wie mit der Shakspeare's; die
Manier hat man ihm bald abgesehen, aber der Geist, der sich hinter dieser
Manier versteckt, ist incvmmensurabel. Eine wohlgeordnete Rede halten zu las¬
sen, wie Schiller den Marquis Posa, oder Schlachtbilder zu referiren, wie es der
schwedische Hauptmann thut, das genügt an sich noch nicht, um die dramatische
Wirkung hervorzubringen, die Schiller erreicht, die er erreicht, nicht weil, son¬
dern obgleich er rhetorisch ist.

Als dritten in die Reihe östreichischer Dichter müssen wir einreihen


Joseph Freiherrn von Zedlitz.

Zedlitz ist in Deutschland vorzugsweise wegen seiner lyrischen Gedichte be¬
kannt. Unter seinen Balladen sind einige sehr hübsche, z. B. die nächtliche Heer¬
schau, und seine „Todtenkränze" zeichnen sich dnrch ein sehr bedeutendes


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[0358] In der Richtung dieses Dichters mag eine ganze Schule in Oestreich existiren; wir kennen davon nur Otto Prechtlcr, der allerdings in jeder Beziehung hinter seinem Vorbild zurückbleibt. Trotzdem sind seine Stücke: „Die Rose von Sorrent," „Adrienne" und „Der Falcouier" nicht ohne Geschick gemacht. Ueberhaupt, und das möge unsre Betrachtungen schließen, ist jene Sitte der östreichischen Dichter, das Publicum genan mit dem Wesen ihrer Charaktere, mit der Natur ihrer sitt¬ lichen Probleme und mit den Motiven ihrer Handlungen und ihres Schicksals bekannt zu machen, wenigstens für die Dichter zweiten und dritten Ranges un¬ endlich empfehlenswerter, als unsre norddeutsche Manier, alle möglichen Motive durch einander zu werfen, und in jedem Charakterbild dem Publicum einen Rebus aufzugeben, an dem es sich lange hcrnmgnälen kann, ehe es auch nur einiger- maßen die Anspielung versieht. Wenn ein KeninS wie Shakspeare von Neuem auftritt, so. wird er uus auch wieder einen zweiten Hamlet oder etwas Aehnliches octroyiren, und wir werden uns fügen müssen, so sauer es uns auch wird, wir werden drei oder vier Jahrhunderte hindurch Commentare schreiben, in denen wir auf die allerverschiedenartigste Weise auseinanderzusetzen suchen, was eigentlich der Dichter gemeint hat, und in denen wir zwar jedesmal nachweisen, daß alle anderen Kommentatoren ans der falschen Fährte sind, aber doch zu dem Endresultat gelangen, das Werk des Dichters sei nicht nur im höchsten Grad vollkommen / sondern auch höchst klar und verständlich. Solche Sonverainetäts- rechte übt aber nur der Genius ans, und da wir nicht in jedem Jahrhundert einen Shakspeare erwarten können, so wäre es mit unsrem Theater viel besser bestellt, wenn unsre Dichter sich selber und dem Publicum jedesmal klar zu macheu suchten, was sie eigentlich beabsichtigen. Dagegen verfallen diese treuherzigen Dichter wieder in einen andern Irrweg, indem sie sich nämlich dnrch Schiller'S Beispiel verleiten lassen, die dramatische Wirkung durch rhetorische zu ersetzen. Mit der Nachahmung Schiller's ist es fast so wie mit der Shakspeare's; die Manier hat man ihm bald abgesehen, aber der Geist, der sich hinter dieser Manier versteckt, ist incvmmensurabel. Eine wohlgeordnete Rede halten zu las¬ sen, wie Schiller den Marquis Posa, oder Schlachtbilder zu referiren, wie es der schwedische Hauptmann thut, das genügt an sich noch nicht, um die dramatische Wirkung hervorzubringen, die Schiller erreicht, die er erreicht, nicht weil, son¬ dern obgleich er rhetorisch ist. Als dritten in die Reihe östreichischer Dichter müssen wir einreihen Joseph Freiherrn von Zedlitz. Zedlitz ist in Deutschland vorzugsweise wegen seiner lyrischen Gedichte be¬ kannt. Unter seinen Balladen sind einige sehr hübsche, z. B. die nächtliche Heer¬ schau, und seine „Todtenkränze" zeichnen sich dnrch ein sehr bedeutendes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/358>, abgerufen am 24.07.2024.