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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Formtalcut und durch eiuen guten melodischen Fluß ans. Trotz dem fehlt ihm
Etwas, das nach unsrer Ansicht der Ncflectionslyrik allein ihre Berechtigung
giebt, nämlich der Reichthum an eigenthümlichen und schön ausgedrückten Ge¬
danken. Der bloße Wohlklang kann für uus Deutsche, die wir bereits Schiller
gehabt haben, und deren Sprache sich dem Gesetze des absoluten Wohllauts nicht
fügen will, nicht ausreichen. Die Form der Canzvne ist im Deutschen mehr für
das Auge, als für das Ohr.

Als dramatischer Dichter ist er bei uus aber nur durch sein letztes Stück:
"Kerker und Krone" (-1833) bekannt, welches zu seinen schwächsten gehört.
Nachdem Goethe das Verhältniß Tasso's zu seinem Hofe so weit idealisirt hat,
daß eine größere Feinheit und Sinnigkeit dabei nicht mehr recht deutbar ist,
sollte mau den Versuch, Dichter aus die Bühne zu bringen, überhaupt aufgeben.
Zedlitz's Stück bezieht sich durch mehrfache Anspielungen auf Goethe, und doch
haben die Personen einen ganz andern Charakter, und selbst die Sprache erin¬
nert viel mehr an Schiller und an seine Nachfolger, als an Goethe; sie ist
durchaus sentimental und rhetorisch. An Tasso wird nur herum gehandelt, ohne
daß er selbstständig in sein Schicksal eingriffe. Zuerst wird er widerrechtlich im
Jrrenhause gepeinigt, dann eben so willkürlich freigelassen, endlich auf dem Ca¬
pitel gekrönt, worauf er stirbt. Prinzessin Leonore und die junge Angioletta,
die Tochter seines Kerkermeisters, stehen ihm mit treuer Liebe zur Seite; er hat
verschiedenartige Empfindungen darüber, die aber nicht ausreichen, um eine dra¬
matische Spannung hervorzubringen.

Zedlitz's erstes Stück war: "Tnrtnrell" (48-19), ein Trauerspiel, welches
in einer eben so fabelhaften Zeit und in einem eben so fabelhaften Lande spielt,
als etwa Müllner's "König Ungurd". König Singald. hat seinen Vorgänger
Branor gestürzt, und Gylfe, ein Mädchen von niederer Herkunft, geheirathet.
Branor zieht als sentimentaler Harfner durch die Welt, und verbirgt seine Tochter
Turturcll bei einer Köhlerin. Dort sieht sie Prinz Gawin und verliebt sich in
sie, aber gleichzeitig entbrennt die wilde Königin Gylfe in Liebe zu ihm. Um
ihn heirathen zu können, bringt sie ihr eigenes Kind um, macht ihren Gemahl
dadurch wahnsinnig, und läßt, als sie von einer Nebenbuhlerin hört, diese ersäufen.
So schwarze Thaten finden endlich, ihren Lohn, und das Stück schließt mit einer
melodramatisch geordneten Gruppe. ES ist so viel Werner und Müllner darin,
als bei einem östreichischen Dichter nnr möglich. Die Sprache ist im Ganzen
schwülstig und weichlich, aber es sind doch einige Scenen darin, deren Ausfüh¬
rung gelungen genannt werden muß. Der beste Charakter ist die Königin Gylfe.

Die übrigen Stücke sind ganz in der Calderon schen Manier, und zwar so
getreu und mit so viel Erfolg nachgeahmt, daß man zuweilen eine Uebersetzung
vor sich zu haben glaubt. So könnte man das Lustspiel: "Liebe findet ihre
Wege" (1827) ohne Weiteres Calderon zuschreiben. Die Sprache, die Sitte",


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Formtalcut und durch eiuen guten melodischen Fluß ans. Trotz dem fehlt ihm
Etwas, das nach unsrer Ansicht der Ncflectionslyrik allein ihre Berechtigung
giebt, nämlich der Reichthum an eigenthümlichen und schön ausgedrückten Ge¬
danken. Der bloße Wohlklang kann für uus Deutsche, die wir bereits Schiller
gehabt haben, und deren Sprache sich dem Gesetze des absoluten Wohllauts nicht
fügen will, nicht ausreichen. Die Form der Canzvne ist im Deutschen mehr für
das Auge, als für das Ohr.

Als dramatischer Dichter ist er bei uus aber nur durch sein letztes Stück:
„Kerker und Krone" (-1833) bekannt, welches zu seinen schwächsten gehört.
Nachdem Goethe das Verhältniß Tasso's zu seinem Hofe so weit idealisirt hat,
daß eine größere Feinheit und Sinnigkeit dabei nicht mehr recht deutbar ist,
sollte mau den Versuch, Dichter aus die Bühne zu bringen, überhaupt aufgeben.
Zedlitz's Stück bezieht sich durch mehrfache Anspielungen auf Goethe, und doch
haben die Personen einen ganz andern Charakter, und selbst die Sprache erin¬
nert viel mehr an Schiller und an seine Nachfolger, als an Goethe; sie ist
durchaus sentimental und rhetorisch. An Tasso wird nur herum gehandelt, ohne
daß er selbstständig in sein Schicksal eingriffe. Zuerst wird er widerrechtlich im
Jrrenhause gepeinigt, dann eben so willkürlich freigelassen, endlich auf dem Ca¬
pitel gekrönt, worauf er stirbt. Prinzessin Leonore und die junge Angioletta,
die Tochter seines Kerkermeisters, stehen ihm mit treuer Liebe zur Seite; er hat
verschiedenartige Empfindungen darüber, die aber nicht ausreichen, um eine dra¬
matische Spannung hervorzubringen.

Zedlitz's erstes Stück war: „Tnrtnrell" (48-19), ein Trauerspiel, welches
in einer eben so fabelhaften Zeit und in einem eben so fabelhaften Lande spielt,
als etwa Müllner's „König Ungurd". König Singald. hat seinen Vorgänger
Branor gestürzt, und Gylfe, ein Mädchen von niederer Herkunft, geheirathet.
Branor zieht als sentimentaler Harfner durch die Welt, und verbirgt seine Tochter
Turturcll bei einer Köhlerin. Dort sieht sie Prinz Gawin und verliebt sich in
sie, aber gleichzeitig entbrennt die wilde Königin Gylfe in Liebe zu ihm. Um
ihn heirathen zu können, bringt sie ihr eigenes Kind um, macht ihren Gemahl
dadurch wahnsinnig, und läßt, als sie von einer Nebenbuhlerin hört, diese ersäufen.
So schwarze Thaten finden endlich, ihren Lohn, und das Stück schließt mit einer
melodramatisch geordneten Gruppe. ES ist so viel Werner und Müllner darin,
als bei einem östreichischen Dichter nnr möglich. Die Sprache ist im Ganzen
schwülstig und weichlich, aber es sind doch einige Scenen darin, deren Ausfüh¬
rung gelungen genannt werden muß. Der beste Charakter ist die Königin Gylfe.

Die übrigen Stücke sind ganz in der Calderon schen Manier, und zwar so
getreu und mit so viel Erfolg nachgeahmt, daß man zuweilen eine Uebersetzung
vor sich zu haben glaubt. So könnte man das Lustspiel: „Liebe findet ihre
Wege" (1827) ohne Weiteres Calderon zuschreiben. Die Sprache, die Sitte»,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/359>, abgerufen am 24.07.2024.