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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Cultur, se' gründlich durch die ganze Anlage des Stücks vorbereitet, daß wir uus
einer gewissen Befriedigung nicht erwehren können. Aber abgesehn davon, daß
die Gegensätze, die der Dichter in Beziehung bringt, eigentlich beide ohne Be¬
rechtigung sind, weil der barbarische Zustand, wie er hier geschildert wird, eben
so widerwärtig ist, wie die mit deu grellsten Farben dargestellte lügenhafte Bil¬
dung, so fehlt auch jene innere Wahrheit, die allein zu einer schonen Gestal¬
tung führt. Der Wilde, der durch ein mystisches Lied über die Natur der Liebe
zur wirklichen Liebe getrieben wird, ist eine Unwahrheit, und der Wilde, dem
in der Stadt seine Geliebte die äußere Politur ungefähr auf die nämliche Weise
beibringt, wie der Bärenführer dem Bären, ist eine unschöne Erscheinung und
macht es uns unmöglich, uns jene pathetische Stimmung anzueignen, in'die uns
der Schluß versetzen soll/

Alle übrigen Dramen sind viel schwächer. So Jsmelda Lambertazzt
(1838), eine Nachbildung des Shakspeare'schen "Romeo und Julie". Die
Sprache ist ganz abstract lyrisch, weder dem-dargestellten Zeitalter, dem 13.
Jahrhundert, noch den sittlichen Voraussetzungen angemessen. ^) Sie ist ganz
Schiller, etwas in der Müllner'schen Weise abgeschwächt, und das stört uns um
so mehr, da sich in Beziehung auf den Stoff die Reminiscenzen ans Shakspeare
gar zu sehr hervordrängen. Die melodramatischen Effecte häufen sich, und was
der dramatischen Dialektik fehlt, muß der Decorateur ersetzen. Purpnrschimmcr der
Morgenröthe, und was sonst in der Oper seine zweckmäßige Anwendung findet,
wird aufgeboten, um die Stimmung zu steigern; dagegen vermissen wir jnicn
klaren Verstand, der in deu beiden anderen Stücken uns in eine zwar nicht voll¬
kommen wahre, aber doch mit sich selbst übereinstimmende Welt einführt, und
nehmen daS unangenehme Gefühl der Willkür mit uns.

Eine umsichtigere Berechnung ist in dem vierten Stück: "Sampieri".
Die Katastrophe, nämlich die Ermordung der Gemahlin ans übertriebenen
Patriotismus, ist an sich sehr seltsam und widerspricht allen unsren Neigungen
und sittlichen Voraussetzungen; aber Halm hat es verstanden, die Motive so ge¬
schickt in Reihe und Glied zu stellen, daß wir für den Augenblick Nichts dagegen
einwenden können. -- Die übrigen Stücke des Dichters heißen: "Der Adept,"
"Maria de Molina" und "CamviznS"; außerdem hat er ein Lustspiel von Lope
de Vega: "König und Bauer", für die Bühne bearbeitet lMtl).



") Z. B. "Wie des Gteßbachs Fluth verrinnt das Leben, die Liebe ist unendlich wie
das Meer." -- "El wir sind alle doch Jr.ion'S Söhne, was immer wir ergreifen, Lust und
Schmerz, wir drücken ewig Wolken an das Herz/' -- "Wie, oder wär' dies Zittern, dies
Erröthen, wär's mehr als Scham, als mädechnhajie Scheu? n. s w," -- Es finden sich
auch romantische Stellen, z. B>: "Ich bin um meine Stimmung! Diese Bursche zerrissen mir
mit ihrer plumpen Faust daS goldtte Spinngewebe meiner Träume, und gellend rief der Schrei
der Wirklichkeit vom offnen Himmel mich zur Erde nieder."
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Cultur, se' gründlich durch die ganze Anlage des Stücks vorbereitet, daß wir uus
einer gewissen Befriedigung nicht erwehren können. Aber abgesehn davon, daß
die Gegensätze, die der Dichter in Beziehung bringt, eigentlich beide ohne Be¬
rechtigung sind, weil der barbarische Zustand, wie er hier geschildert wird, eben
so widerwärtig ist, wie die mit deu grellsten Farben dargestellte lügenhafte Bil¬
dung, so fehlt auch jene innere Wahrheit, die allein zu einer schonen Gestal¬
tung führt. Der Wilde, der durch ein mystisches Lied über die Natur der Liebe
zur wirklichen Liebe getrieben wird, ist eine Unwahrheit, und der Wilde, dem
in der Stadt seine Geliebte die äußere Politur ungefähr auf die nämliche Weise
beibringt, wie der Bärenführer dem Bären, ist eine unschöne Erscheinung und
macht es uns unmöglich, uns jene pathetische Stimmung anzueignen, in'die uns
der Schluß versetzen soll/

Alle übrigen Dramen sind viel schwächer. So Jsmelda Lambertazzt
(1838), eine Nachbildung des Shakspeare'schen „Romeo und Julie". Die
Sprache ist ganz abstract lyrisch, weder dem-dargestellten Zeitalter, dem 13.
Jahrhundert, noch den sittlichen Voraussetzungen angemessen. ^) Sie ist ganz
Schiller, etwas in der Müllner'schen Weise abgeschwächt, und das stört uns um
so mehr, da sich in Beziehung auf den Stoff die Reminiscenzen ans Shakspeare
gar zu sehr hervordrängen. Die melodramatischen Effecte häufen sich, und was
der dramatischen Dialektik fehlt, muß der Decorateur ersetzen. Purpnrschimmcr der
Morgenröthe, und was sonst in der Oper seine zweckmäßige Anwendung findet,
wird aufgeboten, um die Stimmung zu steigern; dagegen vermissen wir jnicn
klaren Verstand, der in deu beiden anderen Stücken uns in eine zwar nicht voll¬
kommen wahre, aber doch mit sich selbst übereinstimmende Welt einführt, und
nehmen daS unangenehme Gefühl der Willkür mit uns.

Eine umsichtigere Berechnung ist in dem vierten Stück: „Sampieri".
Die Katastrophe, nämlich die Ermordung der Gemahlin ans übertriebenen
Patriotismus, ist an sich sehr seltsam und widerspricht allen unsren Neigungen
und sittlichen Voraussetzungen; aber Halm hat es verstanden, die Motive so ge¬
schickt in Reihe und Glied zu stellen, daß wir für den Augenblick Nichts dagegen
einwenden können. — Die übrigen Stücke des Dichters heißen: „Der Adept,"
„Maria de Molina" und „CamviznS"; außerdem hat er ein Lustspiel von Lope
de Vega: „König und Bauer", für die Bühne bearbeitet lMtl).



») Z. B. „Wie des Gteßbachs Fluth verrinnt das Leben, die Liebe ist unendlich wie
das Meer." — „El wir sind alle doch Jr.ion'S Söhne, was immer wir ergreifen, Lust und
Schmerz, wir drücken ewig Wolken an das Herz/' — „Wie, oder wär' dies Zittern, dies
Erröthen, wär's mehr als Scham, als mädechnhajie Scheu? n. s w," — Es finden sich
auch romantische Stellen, z. B>: „Ich bin um meine Stimmung! Diese Bursche zerrissen mir
mit ihrer plumpen Faust daS goldtte Spinngewebe meiner Träume, und gellend rief der Schrei
der Wirklichkeit vom offnen Himmel mich zur Erde nieder."
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[0357] Cultur, se' gründlich durch die ganze Anlage des Stücks vorbereitet, daß wir uus einer gewissen Befriedigung nicht erwehren können. Aber abgesehn davon, daß die Gegensätze, die der Dichter in Beziehung bringt, eigentlich beide ohne Be¬ rechtigung sind, weil der barbarische Zustand, wie er hier geschildert wird, eben so widerwärtig ist, wie die mit deu grellsten Farben dargestellte lügenhafte Bil¬ dung, so fehlt auch jene innere Wahrheit, die allein zu einer schonen Gestal¬ tung führt. Der Wilde, der durch ein mystisches Lied über die Natur der Liebe zur wirklichen Liebe getrieben wird, ist eine Unwahrheit, und der Wilde, dem in der Stadt seine Geliebte die äußere Politur ungefähr auf die nämliche Weise beibringt, wie der Bärenführer dem Bären, ist eine unschöne Erscheinung und macht es uns unmöglich, uns jene pathetische Stimmung anzueignen, in'die uns der Schluß versetzen soll/ Alle übrigen Dramen sind viel schwächer. So Jsmelda Lambertazzt (1838), eine Nachbildung des Shakspeare'schen „Romeo und Julie". Die Sprache ist ganz abstract lyrisch, weder dem-dargestellten Zeitalter, dem 13. Jahrhundert, noch den sittlichen Voraussetzungen angemessen. ^) Sie ist ganz Schiller, etwas in der Müllner'schen Weise abgeschwächt, und das stört uns um so mehr, da sich in Beziehung auf den Stoff die Reminiscenzen ans Shakspeare gar zu sehr hervordrängen. Die melodramatischen Effecte häufen sich, und was der dramatischen Dialektik fehlt, muß der Decorateur ersetzen. Purpnrschimmcr der Morgenröthe, und was sonst in der Oper seine zweckmäßige Anwendung findet, wird aufgeboten, um die Stimmung zu steigern; dagegen vermissen wir jnicn klaren Verstand, der in deu beiden anderen Stücken uns in eine zwar nicht voll¬ kommen wahre, aber doch mit sich selbst übereinstimmende Welt einführt, und nehmen daS unangenehme Gefühl der Willkür mit uns. Eine umsichtigere Berechnung ist in dem vierten Stück: „Sampieri". Die Katastrophe, nämlich die Ermordung der Gemahlin ans übertriebenen Patriotismus, ist an sich sehr seltsam und widerspricht allen unsren Neigungen und sittlichen Voraussetzungen; aber Halm hat es verstanden, die Motive so ge¬ schickt in Reihe und Glied zu stellen, daß wir für den Augenblick Nichts dagegen einwenden können. — Die übrigen Stücke des Dichters heißen: „Der Adept," „Maria de Molina" und „CamviznS"; außerdem hat er ein Lustspiel von Lope de Vega: „König und Bauer", für die Bühne bearbeitet lMtl). ») Z. B. „Wie des Gteßbachs Fluth verrinnt das Leben, die Liebe ist unendlich wie das Meer." — „El wir sind alle doch Jr.ion'S Söhne, was immer wir ergreifen, Lust und Schmerz, wir drücken ewig Wolken an das Herz/' — „Wie, oder wär' dies Zittern, dies Erröthen, wär's mehr als Scham, als mädechnhajie Scheu? n. s w," — Es finden sich auch romantische Stellen, z. B>: „Ich bin um meine Stimmung! Diese Bursche zerrissen mir mit ihrer plumpen Faust daS goldtte Spinngewebe meiner Träume, und gellend rief der Schrei der Wirklichkeit vom offnen Himmel mich zur Erde nieder." Grenzboten, u, i>i>

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/357>, abgerufen am 24.07.2024.