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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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abgerissene Redensarten, eine unnatürlich gesteigerte Mimik u. f. w., das Alles
können wir nur ertragen, wenn uns der eigentliche Grund dieser heftigen Erre¬
gungen vollkommen klar und verständlich ist. Was nutzt es uns aber, wenn uns
von der Schlange, die das goldne Vließ bewacht, die greulichsten Dinge berichtet
werden, wenn wir Jason hineintreten, in dem Innern fürchterlich und mit einer
ganz veränderter Stimme schreien hören, und wenn er bei seinem Heraustreten
sich halb wahnsinnig geberdet, "widerlich lacht" u. s. w. Das ist ein physikalischer
Schauder, kein psychologischer, und dergleichen ist im Drama nicht erlaubt.
Freilich ist die Absicht auch hier sehr ersichtlich. Ebenso wie Sappho im Ver¬
hältniß zu Phaon, soll uns Medea als eine durchaus fremde Natur dargestellt
werden, deren Verhältniß zu Jason ein unwahres ist, trotz der Wahrheit und
Heftigkeit ihrer Liebe. Sobald Jason mit Medea unter die gebildeten Menschen
feines Vaterlands kommt, empfindet er das Mißverhältnis) so lebhaft, daß der
Bruch und die daraus folgende Katastrophe unvermeidlich wird; denn auch bei
Medea tritt die durch Liebe zurückgedrängte barbarische Natur mächtig wieder
hervor. Der Schluß ist gut durchgeführt, nur ist die Stimmung, die sich über
denselben verbreitet, zu resignirt, sie erinnert zu sehr an die romantische Tradition,
daß das Leben nur ein Traum, ein Schatten sei. So sind Medea,^ Jason und
Kreusa viel reslectirter angelegt, als Sappho, Phaon und Melitta, und dem
gemäß verfällt auch die Sprache, so edel und würdig sie im Ganzen ist, zu sehr
in die Reflexion, z. B. wenn Jason sagt:


Ich selber bin mir Gegenstand geworden,
Ein Andrer denkt in mir, ein Andrer handelt.

Aber auch hier muß man, um das Stück richtig zu würdigen, die gleich¬
zeitigen verwandten Leistungen in Anschlag bringen. Das einzige Stück der
damaligen Zeit, in welchem die an sich unzweckmäßige Aufgabe mit größerer
Kunst und namentlich mit größerer Natur durchgeführt ist, dürfte in Kleist's
Penthefilea zu suchen.sein.

Am wenigsten geeignet für eine dramatische Bearbeitung scheint die Sage
von Hero und Leander, die Grillparzer seiner Tragödie: "Des Meeres
und der Liebe Wellen" zu Grunde gelegt hat. Das Durchschwimmen des
Hellespont läßt sich auf der Bühne nicht darstellen, und der Unglücksfall, der die
Katastrophe herbeiführt, ist nichts weniger als dramatisch; aber gerade dieses
lyrische Problem ist mit einer Eleganz nud mit einem theatralischen Geschick durch¬
geführt, daß wir dem Stücke, trotz seines undramatischen Grundprincips, unter
den dreien den Preis zuerkennen müssen. Der Dichter hat aus seiner Heldin,
wie es unter den gegebenen Umständen zweckmäßig war, eine Priesterin gemacht.
Er schildert sie als eine stolze, spröde Natur, die ihren Stand ans Freiheitsliebe
wählt, weil sie das Loos des Weibes in der Ehe verachtet. Die erste Begeg¬
nung mit Leander findet statt, als sie eben ihr Gelübde abgelegt. Das Austel-
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abgerissene Redensarten, eine unnatürlich gesteigerte Mimik u. f. w., das Alles
können wir nur ertragen, wenn uns der eigentliche Grund dieser heftigen Erre¬
gungen vollkommen klar und verständlich ist. Was nutzt es uns aber, wenn uns
von der Schlange, die das goldne Vließ bewacht, die greulichsten Dinge berichtet
werden, wenn wir Jason hineintreten, in dem Innern fürchterlich und mit einer
ganz veränderter Stimme schreien hören, und wenn er bei seinem Heraustreten
sich halb wahnsinnig geberdet, „widerlich lacht" u. s. w. Das ist ein physikalischer
Schauder, kein psychologischer, und dergleichen ist im Drama nicht erlaubt.
Freilich ist die Absicht auch hier sehr ersichtlich. Ebenso wie Sappho im Ver¬
hältniß zu Phaon, soll uns Medea als eine durchaus fremde Natur dargestellt
werden, deren Verhältniß zu Jason ein unwahres ist, trotz der Wahrheit und
Heftigkeit ihrer Liebe. Sobald Jason mit Medea unter die gebildeten Menschen
feines Vaterlands kommt, empfindet er das Mißverhältnis) so lebhaft, daß der
Bruch und die daraus folgende Katastrophe unvermeidlich wird; denn auch bei
Medea tritt die durch Liebe zurückgedrängte barbarische Natur mächtig wieder
hervor. Der Schluß ist gut durchgeführt, nur ist die Stimmung, die sich über
denselben verbreitet, zu resignirt, sie erinnert zu sehr an die romantische Tradition,
daß das Leben nur ein Traum, ein Schatten sei. So sind Medea,^ Jason und
Kreusa viel reslectirter angelegt, als Sappho, Phaon und Melitta, und dem
gemäß verfällt auch die Sprache, so edel und würdig sie im Ganzen ist, zu sehr
in die Reflexion, z. B. wenn Jason sagt:


Ich selber bin mir Gegenstand geworden,
Ein Andrer denkt in mir, ein Andrer handelt.

Aber auch hier muß man, um das Stück richtig zu würdigen, die gleich¬
zeitigen verwandten Leistungen in Anschlag bringen. Das einzige Stück der
damaligen Zeit, in welchem die an sich unzweckmäßige Aufgabe mit größerer
Kunst und namentlich mit größerer Natur durchgeführt ist, dürfte in Kleist's
Penthefilea zu suchen.sein.

Am wenigsten geeignet für eine dramatische Bearbeitung scheint die Sage
von Hero und Leander, die Grillparzer seiner Tragödie: „Des Meeres
und der Liebe Wellen" zu Grunde gelegt hat. Das Durchschwimmen des
Hellespont läßt sich auf der Bühne nicht darstellen, und der Unglücksfall, der die
Katastrophe herbeiführt, ist nichts weniger als dramatisch; aber gerade dieses
lyrische Problem ist mit einer Eleganz nud mit einem theatralischen Geschick durch¬
geführt, daß wir dem Stücke, trotz seines undramatischen Grundprincips, unter
den dreien den Preis zuerkennen müssen. Der Dichter hat aus seiner Heldin,
wie es unter den gegebenen Umständen zweckmäßig war, eine Priesterin gemacht.
Er schildert sie als eine stolze, spröde Natur, die ihren Stand ans Freiheitsliebe
wählt, weil sie das Loos des Weibes in der Ehe verachtet. Die erste Begeg¬
nung mit Leander findet statt, als sie eben ihr Gelübde abgelegt. Das Austel-
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[0351] abgerissene Redensarten, eine unnatürlich gesteigerte Mimik u. f. w., das Alles können wir nur ertragen, wenn uns der eigentliche Grund dieser heftigen Erre¬ gungen vollkommen klar und verständlich ist. Was nutzt es uns aber, wenn uns von der Schlange, die das goldne Vließ bewacht, die greulichsten Dinge berichtet werden, wenn wir Jason hineintreten, in dem Innern fürchterlich und mit einer ganz veränderter Stimme schreien hören, und wenn er bei seinem Heraustreten sich halb wahnsinnig geberdet, „widerlich lacht" u. s. w. Das ist ein physikalischer Schauder, kein psychologischer, und dergleichen ist im Drama nicht erlaubt. Freilich ist die Absicht auch hier sehr ersichtlich. Ebenso wie Sappho im Ver¬ hältniß zu Phaon, soll uns Medea als eine durchaus fremde Natur dargestellt werden, deren Verhältniß zu Jason ein unwahres ist, trotz der Wahrheit und Heftigkeit ihrer Liebe. Sobald Jason mit Medea unter die gebildeten Menschen feines Vaterlands kommt, empfindet er das Mißverhältnis) so lebhaft, daß der Bruch und die daraus folgende Katastrophe unvermeidlich wird; denn auch bei Medea tritt die durch Liebe zurückgedrängte barbarische Natur mächtig wieder hervor. Der Schluß ist gut durchgeführt, nur ist die Stimmung, die sich über denselben verbreitet, zu resignirt, sie erinnert zu sehr an die romantische Tradition, daß das Leben nur ein Traum, ein Schatten sei. So sind Medea,^ Jason und Kreusa viel reslectirter angelegt, als Sappho, Phaon und Melitta, und dem gemäß verfällt auch die Sprache, so edel und würdig sie im Ganzen ist, zu sehr in die Reflexion, z. B. wenn Jason sagt: Ich selber bin mir Gegenstand geworden, Ein Andrer denkt in mir, ein Andrer handelt. Aber auch hier muß man, um das Stück richtig zu würdigen, die gleich¬ zeitigen verwandten Leistungen in Anschlag bringen. Das einzige Stück der damaligen Zeit, in welchem die an sich unzweckmäßige Aufgabe mit größerer Kunst und namentlich mit größerer Natur durchgeführt ist, dürfte in Kleist's Penthefilea zu suchen.sein. Am wenigsten geeignet für eine dramatische Bearbeitung scheint die Sage von Hero und Leander, die Grillparzer seiner Tragödie: „Des Meeres und der Liebe Wellen" zu Grunde gelegt hat. Das Durchschwimmen des Hellespont läßt sich auf der Bühne nicht darstellen, und der Unglücksfall, der die Katastrophe herbeiführt, ist nichts weniger als dramatisch; aber gerade dieses lyrische Problem ist mit einer Eleganz nud mit einem theatralischen Geschick durch¬ geführt, daß wir dem Stücke, trotz seines undramatischen Grundprincips, unter den dreien den Preis zuerkennen müssen. Der Dichter hat aus seiner Heldin, wie es unter den gegebenen Umständen zweckmäßig war, eine Priesterin gemacht. Er schildert sie als eine stolze, spröde Natur, die ihren Stand ans Freiheitsliebe wählt, weil sie das Loos des Weibes in der Ehe verachtet. Die erste Begeg¬ nung mit Leander findet statt, als sie eben ihr Gelübde abgelegt. Das Austel- ' 43'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/351>, abgerufen am 24.07.2024.