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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Natur entnommen, sondern eine einfache Wiederaufnahme der Corinna, an die
man auch durch einzelne Züge fast zu sehr erinnert wird. Das Problem eignete
sich in der That mehr für einen Roman, als für ein Drama. Wir bedürfen
einer Reihe kleiner, allmählich sich entwickelnder Züge, um die Unnatur des
Verhältnisses zu begreifen. Die dramatische Concentration ist zu gewaltsam, wo
es sich doch eigentlich um ziemlich feine und raffinirte Empfindungen handelt.
Das hat auch einen nachtheiligen Einfluß auf die Sprache ausgeübt. Sie ist
etwas zu reflectirt, und sowol der Nachdruck, der auf einzelne charakteristische
Aeußerungen gelegt wird, als das plötzliche Verstummen der Leidenschaft, das
Versinken in Gedanken u. dergl. läßt zu sehr die Absicht erkennen. Am schwächsten
ist der Schluß. Das feierliche Hinabspringen der Dichterin ins Meer, welches
der gegebenen Sage wegen nicht vermieden werden konnte, hat etwas Melo¬
dramatisches und Opernhaftes, und liegt ganz außerhalb unsrer ästhetischen und
sittlichen Vorstellungen, während jene Kritik des poetischen Uebermaßes durchaus
modern ist. So stimmt das eine nicht zum andern, und wir werden an Wer¬
ner's Wanda erinnert, die unpassende Verhältnisse gleichfalls durch einen Theater¬
effect erledigt. Trotz aller dieser Ausstellungen finden wir in dem Gedicht eine
wirkliche und nicht gemeine poetische Kraft. Das Herz empfindet warm, und die
Zunge hat jene Gabe der Götter, das Empfundene in schönen Worten anzu¬
sprechen. Wir müssen bedauern, daß diese Wärme von einem unsrer Welt fremden
Feuer herrührt.

Grillparzer's zweites Stück: das goldne Vließ, in der Form einer Tri-
logie ausgeführt, macht noch mehr diesen Eindruck der Fremdartigkeit aus uns.
Die Medea des Euripides gehört zu den interessantesten poetischen Figuren des
Alterthums. Der Dichter hat es verstanden, bei einem Stoffe, der uns eigent¬
lich Grauen und Entsetzen erregen müßte, so das Maß und die Schranke auf¬
recht zu halten, daß dieses Grauen erst in uns aufsteigt, wenn wir uns aus dem
Zauberkreise entfernt haben. Grillparzer macht es umgekehrt, er fängt mit dem
Schauder an. Medea erscheint in dem ersten Theil der Trilogie, welcher die
Geschichte des Phrixus behandelt, als eine barbarische, in ihrer Wildheit naive
Jungfrau; erst der Mord des Phrixus, an dem sie indirect Theil nehmen muß,
bringt in ihr Gemüth jene Verbitterung, die sie den finstern Mächten dienstbar
macht. Wenn uns schon das Barbarenthum als solches so wüst und greulich als
möglich dargestellt wird, so werden wir uun in eine ganz unheimliche, unterirdische
Welt geführt, aus der uns von allen Seiten gespenstische Schauder unmotivirt
überfallen. Dergleichen paßt sür eine Oper, aber nicht für ein Drama. Der
Dichter bietet alle möglichen äußerlichen Hilfsmittel auf, um den beabsich¬
tigten Eindruck zu erreichen. Das Costum, die Gruppirung, die Versformen, die
in verschiedenen odischen Rhythmen abwechseln, wie es die Stimmung mit sich
bringt, stumme gedankenschwere Pausen, bei denen eigentlich nichts zu denken ist,


Natur entnommen, sondern eine einfache Wiederaufnahme der Corinna, an die
man auch durch einzelne Züge fast zu sehr erinnert wird. Das Problem eignete
sich in der That mehr für einen Roman, als für ein Drama. Wir bedürfen
einer Reihe kleiner, allmählich sich entwickelnder Züge, um die Unnatur des
Verhältnisses zu begreifen. Die dramatische Concentration ist zu gewaltsam, wo
es sich doch eigentlich um ziemlich feine und raffinirte Empfindungen handelt.
Das hat auch einen nachtheiligen Einfluß auf die Sprache ausgeübt. Sie ist
etwas zu reflectirt, und sowol der Nachdruck, der auf einzelne charakteristische
Aeußerungen gelegt wird, als das plötzliche Verstummen der Leidenschaft, das
Versinken in Gedanken u. dergl. läßt zu sehr die Absicht erkennen. Am schwächsten
ist der Schluß. Das feierliche Hinabspringen der Dichterin ins Meer, welches
der gegebenen Sage wegen nicht vermieden werden konnte, hat etwas Melo¬
dramatisches und Opernhaftes, und liegt ganz außerhalb unsrer ästhetischen und
sittlichen Vorstellungen, während jene Kritik des poetischen Uebermaßes durchaus
modern ist. So stimmt das eine nicht zum andern, und wir werden an Wer¬
ner's Wanda erinnert, die unpassende Verhältnisse gleichfalls durch einen Theater¬
effect erledigt. Trotz aller dieser Ausstellungen finden wir in dem Gedicht eine
wirkliche und nicht gemeine poetische Kraft. Das Herz empfindet warm, und die
Zunge hat jene Gabe der Götter, das Empfundene in schönen Worten anzu¬
sprechen. Wir müssen bedauern, daß diese Wärme von einem unsrer Welt fremden
Feuer herrührt.

Grillparzer's zweites Stück: das goldne Vließ, in der Form einer Tri-
logie ausgeführt, macht noch mehr diesen Eindruck der Fremdartigkeit aus uns.
Die Medea des Euripides gehört zu den interessantesten poetischen Figuren des
Alterthums. Der Dichter hat es verstanden, bei einem Stoffe, der uns eigent¬
lich Grauen und Entsetzen erregen müßte, so das Maß und die Schranke auf¬
recht zu halten, daß dieses Grauen erst in uns aufsteigt, wenn wir uns aus dem
Zauberkreise entfernt haben. Grillparzer macht es umgekehrt, er fängt mit dem
Schauder an. Medea erscheint in dem ersten Theil der Trilogie, welcher die
Geschichte des Phrixus behandelt, als eine barbarische, in ihrer Wildheit naive
Jungfrau; erst der Mord des Phrixus, an dem sie indirect Theil nehmen muß,
bringt in ihr Gemüth jene Verbitterung, die sie den finstern Mächten dienstbar
macht. Wenn uns schon das Barbarenthum als solches so wüst und greulich als
möglich dargestellt wird, so werden wir uun in eine ganz unheimliche, unterirdische
Welt geführt, aus der uns von allen Seiten gespenstische Schauder unmotivirt
überfallen. Dergleichen paßt sür eine Oper, aber nicht für ein Drama. Der
Dichter bietet alle möglichen äußerlichen Hilfsmittel auf, um den beabsich¬
tigten Eindruck zu erreichen. Das Costum, die Gruppirung, die Versformen, die
in verschiedenen odischen Rhythmen abwechseln, wie es die Stimmung mit sich
bringt, stumme gedankenschwere Pausen, bei denen eigentlich nichts zu denken ist,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/350>, abgerufen am 24.07.2024.