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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Thee auf dem Zollamt Troißkosawsk bei Kiächta einnähete. Mein vertheilt jetzt
die Massen in kleinere Kisten von 1 bis 24 Pfund, deren äußere Schönheit von
der angeblichen Güte ihres Inhalts bestimmt wird. Gleichzeitig beginnt man auch
die Bezeichnungen der Sorten höher zu stellen, durch Mischung verschiedener
Arten neue Sorten zu machen, kurz ganz dieselben Manipulationen, wie sie der
Cigarrenkundige im Verkehr des havanneser Productes zu beklagen hat. Und
sie sind hier noch beklagenswerther. Denn der Privatkäufer ist, wenn er irgend
eine Theeprobe empfing und wählte, viel unbedingter an die Solidität des Ver¬
käufers gewiesen, weil er nicht, wie bei dem Cigarrenkaufe, die einzelne Kiste
öffnen und durch Geruch und Gesicht prüfen kann, sondern im Glauben an die
empfangene Probe sein gutes Geld wagen muß. Hier endet jeder Reiz zu nä¬
herer Betrachtung der Verhältnisse, wie jede Sicherheit einer Bestimmung. Der
Theekleinhandel verfährt eben so trügerisch mit edlen Namen und Formen, wie
der Cigarrenkleinhandel; ja er ist bereits zu demselben Grade der Verruchtheit
gediehen, indem er in der'einzelnen Kiste mit einer dünnen Lage feiner Blätter
mitunter einen sehr gemeinen Rest des übrigen Inhaltes verdeckt.

Kehren wir also auf die chinesisch-russische Grenzbreite zurück, wo man (nach
kaufmännischen Ausdrucke) den Thee "aus erster Hand" empfängt. Denn ob-
schon wir wissen,^ daß er auch hier nicht ans erster chinesischer Hand an die
Russen gelangt, so doch noch unverfälscht -- wenigstens nach den Begriffen der
Weltbarbarei außerhalb des Reiches der Mitte. -- Die Begründung des Unter¬
schiedes zwischen schwarzem und, grünem Thee bei der Behandlung des frischen
Blattes in der Ernte ist ein unenthülltes Geheimniß, denn die Sagen von einer
Färbung des Blattes durch Trocknen ans kupfernen Platten oder durch Bei¬
mischung von Farbstoffen können ihre glaubwürdige Anwendung nur da finden,
wo von einer Fälschung die Rede ist. Dagegen ergiebt selbst die feinste chemische
Untersuchung des echten grünen Thees keine fremde Beimischung zu dem Blatt,
wol aber einen etwas stärkern Gehalt an Theein und ätherischen Stoffen als
im schwarzen. Der grüne Thee, welchen man im gewöhnlichen Leben an sich
geringer achtet, muß sonach seinem innern Wesen nach sogar für eine organische
Concentration des Theecharakters erklärt werden. Aber wir armen Sterblichen
können ja immer uur von relativer Güte spreche", die unsrer UnVollkommenheit
entsprechende UnVollkommenheit ist uns die echte Vollkommenheit. Wäre dies
nicht der Fall, dann müßte reines Nikotin anstatt Cigarren, Blausäure anstatt
Mandelmilch, Lactucin anstatt Salat, Morphin anstatt Theriak unsre Sinne
entzücken und unsren Organen schmeicheln. Wie männiglich bekannt, ist dies
jedoch keineswegs der Fall, und übermüthige Gemüther mit entsprechenden Kör¬
per" erhältnisseu, welche im Drange nach den Gipfelhöhen der Genüsse sich den
Urstoffen annähern -- sie zerrütten sich selbst. Trotzdem wirkt dieses Streben in
jedem Empfänglichen, und daraus erklärt sich, wie in theeverständigen Kreisen die


Thee auf dem Zollamt Troißkosawsk bei Kiächta einnähete. Mein vertheilt jetzt
die Massen in kleinere Kisten von 1 bis 24 Pfund, deren äußere Schönheit von
der angeblichen Güte ihres Inhalts bestimmt wird. Gleichzeitig beginnt man auch
die Bezeichnungen der Sorten höher zu stellen, durch Mischung verschiedener
Arten neue Sorten zu machen, kurz ganz dieselben Manipulationen, wie sie der
Cigarrenkundige im Verkehr des havanneser Productes zu beklagen hat. Und
sie sind hier noch beklagenswerther. Denn der Privatkäufer ist, wenn er irgend
eine Theeprobe empfing und wählte, viel unbedingter an die Solidität des Ver¬
käufers gewiesen, weil er nicht, wie bei dem Cigarrenkaufe, die einzelne Kiste
öffnen und durch Geruch und Gesicht prüfen kann, sondern im Glauben an die
empfangene Probe sein gutes Geld wagen muß. Hier endet jeder Reiz zu nä¬
herer Betrachtung der Verhältnisse, wie jede Sicherheit einer Bestimmung. Der
Theekleinhandel verfährt eben so trügerisch mit edlen Namen und Formen, wie
der Cigarrenkleinhandel; ja er ist bereits zu demselben Grade der Verruchtheit
gediehen, indem er in der'einzelnen Kiste mit einer dünnen Lage feiner Blätter
mitunter einen sehr gemeinen Rest des übrigen Inhaltes verdeckt.

Kehren wir also auf die chinesisch-russische Grenzbreite zurück, wo man (nach
kaufmännischen Ausdrucke) den Thee „aus erster Hand" empfängt. Denn ob-
schon wir wissen,^ daß er auch hier nicht ans erster chinesischer Hand an die
Russen gelangt, so doch noch unverfälscht — wenigstens nach den Begriffen der
Weltbarbarei außerhalb des Reiches der Mitte. — Die Begründung des Unter¬
schiedes zwischen schwarzem und, grünem Thee bei der Behandlung des frischen
Blattes in der Ernte ist ein unenthülltes Geheimniß, denn die Sagen von einer
Färbung des Blattes durch Trocknen ans kupfernen Platten oder durch Bei¬
mischung von Farbstoffen können ihre glaubwürdige Anwendung nur da finden,
wo von einer Fälschung die Rede ist. Dagegen ergiebt selbst die feinste chemische
Untersuchung des echten grünen Thees keine fremde Beimischung zu dem Blatt,
wol aber einen etwas stärkern Gehalt an Theein und ätherischen Stoffen als
im schwarzen. Der grüne Thee, welchen man im gewöhnlichen Leben an sich
geringer achtet, muß sonach seinem innern Wesen nach sogar für eine organische
Concentration des Theecharakters erklärt werden. Aber wir armen Sterblichen
können ja immer uur von relativer Güte spreche», die unsrer UnVollkommenheit
entsprechende UnVollkommenheit ist uns die echte Vollkommenheit. Wäre dies
nicht der Fall, dann müßte reines Nikotin anstatt Cigarren, Blausäure anstatt
Mandelmilch, Lactucin anstatt Salat, Morphin anstatt Theriak unsre Sinne
entzücken und unsren Organen schmeicheln. Wie männiglich bekannt, ist dies
jedoch keineswegs der Fall, und übermüthige Gemüther mit entsprechenden Kör¬
per» erhältnisseu, welche im Drange nach den Gipfelhöhen der Genüsse sich den
Urstoffen annähern — sie zerrütten sich selbst. Trotzdem wirkt dieses Streben in
jedem Empfänglichen, und daraus erklärt sich, wie in theeverständigen Kreisen die


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[0340] Thee auf dem Zollamt Troißkosawsk bei Kiächta einnähete. Mein vertheilt jetzt die Massen in kleinere Kisten von 1 bis 24 Pfund, deren äußere Schönheit von der angeblichen Güte ihres Inhalts bestimmt wird. Gleichzeitig beginnt man auch die Bezeichnungen der Sorten höher zu stellen, durch Mischung verschiedener Arten neue Sorten zu machen, kurz ganz dieselben Manipulationen, wie sie der Cigarrenkundige im Verkehr des havanneser Productes zu beklagen hat. Und sie sind hier noch beklagenswerther. Denn der Privatkäufer ist, wenn er irgend eine Theeprobe empfing und wählte, viel unbedingter an die Solidität des Ver¬ käufers gewiesen, weil er nicht, wie bei dem Cigarrenkaufe, die einzelne Kiste öffnen und durch Geruch und Gesicht prüfen kann, sondern im Glauben an die empfangene Probe sein gutes Geld wagen muß. Hier endet jeder Reiz zu nä¬ herer Betrachtung der Verhältnisse, wie jede Sicherheit einer Bestimmung. Der Theekleinhandel verfährt eben so trügerisch mit edlen Namen und Formen, wie der Cigarrenkleinhandel; ja er ist bereits zu demselben Grade der Verruchtheit gediehen, indem er in der'einzelnen Kiste mit einer dünnen Lage feiner Blätter mitunter einen sehr gemeinen Rest des übrigen Inhaltes verdeckt. Kehren wir also auf die chinesisch-russische Grenzbreite zurück, wo man (nach kaufmännischen Ausdrucke) den Thee „aus erster Hand" empfängt. Denn ob- schon wir wissen,^ daß er auch hier nicht ans erster chinesischer Hand an die Russen gelangt, so doch noch unverfälscht — wenigstens nach den Begriffen der Weltbarbarei außerhalb des Reiches der Mitte. — Die Begründung des Unter¬ schiedes zwischen schwarzem und, grünem Thee bei der Behandlung des frischen Blattes in der Ernte ist ein unenthülltes Geheimniß, denn die Sagen von einer Färbung des Blattes durch Trocknen ans kupfernen Platten oder durch Bei¬ mischung von Farbstoffen können ihre glaubwürdige Anwendung nur da finden, wo von einer Fälschung die Rede ist. Dagegen ergiebt selbst die feinste chemische Untersuchung des echten grünen Thees keine fremde Beimischung zu dem Blatt, wol aber einen etwas stärkern Gehalt an Theein und ätherischen Stoffen als im schwarzen. Der grüne Thee, welchen man im gewöhnlichen Leben an sich geringer achtet, muß sonach seinem innern Wesen nach sogar für eine organische Concentration des Theecharakters erklärt werden. Aber wir armen Sterblichen können ja immer uur von relativer Güte spreche», die unsrer UnVollkommenheit entsprechende UnVollkommenheit ist uns die echte Vollkommenheit. Wäre dies nicht der Fall, dann müßte reines Nikotin anstatt Cigarren, Blausäure anstatt Mandelmilch, Lactucin anstatt Salat, Morphin anstatt Theriak unsre Sinne entzücken und unsren Organen schmeicheln. Wie männiglich bekannt, ist dies jedoch keineswegs der Fall, und übermüthige Gemüther mit entsprechenden Kör¬ per» erhältnisseu, welche im Drange nach den Gipfelhöhen der Genüsse sich den Urstoffen annähern — sie zerrütten sich selbst. Trotzdem wirkt dieses Streben in jedem Empfänglichen, und daraus erklärt sich, wie in theeverständigen Kreisen die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/340>, abgerufen am 24.07.2024.