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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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sich die Bezeichnung Schansithee nicht auf den ursprünglichen Standort der Pflanze,
sondern ist eine Qualistcativn der seinen Mittelsorten zwischen Familien- und ge¬
wöhnlichem Handelsthee. Von Kiächta bis zu den Theeplantagen liegt eine un¬
gefähre Entfernung von S000 Werst. Nie aber empfangen die Kaufleute zu
Kiächta (durch Tractat v. 21. Oct. 1727 als Sammelplatz der direct mit einander
verkehrenden chinesischen und russischen Theehändler festgesetzt) den Thee unmittel¬
bar von den Plantagebesitzern; denn von hier aus gehen die Originalsendungen
nur bis zur Stadt Tsvng-ngan in derselben Provinz; auf einem Schulterjoche
trägt man hieraus die einzelnen Kisten über das Gebirge bis Tschang-Schan; dort
packt man je 200 in kleinere Fahrzeuge, welche bis zum Flusse Thau-echar-than schwim¬
men, und überladet sie noch drei Mal, bis sie endlich in Thung-tscheu unweit
Peking anlanden. Hier erst scheiden sich die für Rußland bestimmten Thee¬
expeditionen von den nach Canton reisenden; denn hier verkaufe" die Producenten
den Thee aus erster Hand, und ihre Abkäufer gebe" ihn an die Kaufleute der
chinesischen Grenzfeste Tschar-tha-kei (Kalgan), dem allgemeinen Sammelplatze alles
nach Kiächta wandernden Thee's. Bis Hieher find noch 232 Werst Landweg,
von da bis Kiächta (oder eigentlich Maimatschin, die Nachbarstadt Kiachtci's) 1282
Werst zurückzulegen.

Drei, bis vier Monate braucht das Theeblatt, um aus diesem Wege, oft noch
länger, um durchaus zu Land durch die Provinzen Kiang-si, Hupe, Honan und
Petscheli von der heimischen Plantage nach Kalgan und Kiächta zu gelangen, doch
nicht gegen rohes Geld oder gar gegen Wechselcrcdit, sondern, nur im unmittel¬
baren Austausch gegen Waaren geht der Thee in die Hände der harrenden Russen
über. Vertrauensmänner der zusammengeströmten Kaufleute bestimmen auf beiden
Seiten den Preis der zum Tausche herbeigeführten Waaren; die Russen prüfen
den Thee, die Chinesen die russischen Producte. Dieser Preis darf von keinem
der Handeltreibenden geändert werden; aber auch die Zollämter China's wie
Rußlands erkennen ihn als gesetzliche Bestimmung und Besteuerungsnorm an,
wenn sich die beiderseitigen "Compagnons" einmal darüber einigten. Obgleich
nun das Tauschgeschäft im ganzen Jahre läuft, so doch hauptsächlich vom December
bis zum März. Und dies vorzüglich aus dem Grunde, weil in diesem Falle der
Thee rechtzeitig zur Messe in Nischnei-Nvwgorod einzutreffen vermag, nachdem
die verschiedenen Gattungen unter den Augen des russischen Zollamtes sortirt,
mit deu gewöhnlichen Handelsnamen belegt und aus den großen Originalkisten
in kleinere Quantitäten verpackt worden sind. In Nischnei-Nvwgorod verliert
der Theeverkauf auch seinen eigenthümlichen Charakter; denn hier geschieht er
entweder gegen Baargeld mit hohen Discontoprocenten, oder gegen Zahlung des
halben Betrags und Wechsel auf lange Sicht für die andere Hälfte. Hier verliert
er ferner seine zweite, wenigstens noch halboriginäre Hülle, Thierhäute, worin
man den aus seinen ersten rohen Verpackungen in zierlichere Kisten umsortirten


sich die Bezeichnung Schansithee nicht auf den ursprünglichen Standort der Pflanze,
sondern ist eine Qualistcativn der seinen Mittelsorten zwischen Familien- und ge¬
wöhnlichem Handelsthee. Von Kiächta bis zu den Theeplantagen liegt eine un¬
gefähre Entfernung von S000 Werst. Nie aber empfangen die Kaufleute zu
Kiächta (durch Tractat v. 21. Oct. 1727 als Sammelplatz der direct mit einander
verkehrenden chinesischen und russischen Theehändler festgesetzt) den Thee unmittel¬
bar von den Plantagebesitzern; denn von hier aus gehen die Originalsendungen
nur bis zur Stadt Tsvng-ngan in derselben Provinz; auf einem Schulterjoche
trägt man hieraus die einzelnen Kisten über das Gebirge bis Tschang-Schan; dort
packt man je 200 in kleinere Fahrzeuge, welche bis zum Flusse Thau-echar-than schwim¬
men, und überladet sie noch drei Mal, bis sie endlich in Thung-tscheu unweit
Peking anlanden. Hier erst scheiden sich die für Rußland bestimmten Thee¬
expeditionen von den nach Canton reisenden; denn hier verkaufe» die Producenten
den Thee aus erster Hand, und ihre Abkäufer gebe» ihn an die Kaufleute der
chinesischen Grenzfeste Tschar-tha-kei (Kalgan), dem allgemeinen Sammelplatze alles
nach Kiächta wandernden Thee's. Bis Hieher find noch 232 Werst Landweg,
von da bis Kiächta (oder eigentlich Maimatschin, die Nachbarstadt Kiachtci's) 1282
Werst zurückzulegen.

Drei, bis vier Monate braucht das Theeblatt, um aus diesem Wege, oft noch
länger, um durchaus zu Land durch die Provinzen Kiang-si, Hupe, Honan und
Petscheli von der heimischen Plantage nach Kalgan und Kiächta zu gelangen, doch
nicht gegen rohes Geld oder gar gegen Wechselcrcdit, sondern, nur im unmittel¬
baren Austausch gegen Waaren geht der Thee in die Hände der harrenden Russen
über. Vertrauensmänner der zusammengeströmten Kaufleute bestimmen auf beiden
Seiten den Preis der zum Tausche herbeigeführten Waaren; die Russen prüfen
den Thee, die Chinesen die russischen Producte. Dieser Preis darf von keinem
der Handeltreibenden geändert werden; aber auch die Zollämter China's wie
Rußlands erkennen ihn als gesetzliche Bestimmung und Besteuerungsnorm an,
wenn sich die beiderseitigen „Compagnons" einmal darüber einigten. Obgleich
nun das Tauschgeschäft im ganzen Jahre läuft, so doch hauptsächlich vom December
bis zum März. Und dies vorzüglich aus dem Grunde, weil in diesem Falle der
Thee rechtzeitig zur Messe in Nischnei-Nvwgorod einzutreffen vermag, nachdem
die verschiedenen Gattungen unter den Augen des russischen Zollamtes sortirt,
mit deu gewöhnlichen Handelsnamen belegt und aus den großen Originalkisten
in kleinere Quantitäten verpackt worden sind. In Nischnei-Nvwgorod verliert
der Theeverkauf auch seinen eigenthümlichen Charakter; denn hier geschieht er
entweder gegen Baargeld mit hohen Discontoprocenten, oder gegen Zahlung des
halben Betrags und Wechsel auf lange Sicht für die andere Hälfte. Hier verliert
er ferner seine zweite, wenigstens noch halboriginäre Hülle, Thierhäute, worin
man den aus seinen ersten rohen Verpackungen in zierlichere Kisten umsortirten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/339>, abgerufen am 24.07.2024.