Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

schwebt vor ihm her und bläst die letzten Winterwolken fort. Neben ihm bauen
auf der mittlern Höhe die Zwerge Freir's Wolkenschiff Skidbladnir, worauf die
Götter fahren. Das Schiff war groß genug, um die ganze Götterwelt in sich
aufzunehmen, und wieder so klein, daß Froh es bei vorkommender Gelegenheit
in der Tasche mit sich tragen konnte. In dieser unscheinbaren und doch tief,
wenn auch unklar gedachten, von aller Sinnlichkeit abftrahirendeu Ausfassung des
Götterdaseins zeigte steh früh die Anlage der Deutschen zur phantastisch-
metaphysischen Speculation. Aus der rechten Seite ist Freia, die Liebe, dar¬
gestellt, wie sie auf ihrem, von Katzen gezogenen Wagen sehnsüchtig hinter dem
Schatten ihres Gatten herzieht. Ihre Thränen bilden das Morgenroth. Wie
unsre Urväter die Liebe als reines, keusches Gefühl in ihrer Göttin sich vorstellten,
so zugleich mit echt deutscher Empfindsamkeit als Liebeskrankheit. Freia erhält
nach der Mythe von Wodan die Hälfte der Todten, denn auch die Liebe
tödtet.

Vierte Nische, gemalt von Richter. Auf schnaubenden Rossen stürmen
die Walkyren, Jungfrauen von wunderbar wilder Schönheit, über der brausenden
Schlacht einher. Sie pressen die Herzen Gefallener in den Händen, und bespren¬
gen die Helden, welche fallen sollen, mit Blut. Oben tragen und geleiten vier
andere Schlachtjungftauen die Todten nach Walhalla, eine geht mit der Harfe
voran und singt sie zur Seligkeit hinüber. Auf der rechten Seite des Fensters
schließt eine Darstellung des Kriegsgottes Tyrr den malerischen Schmuck der
ersten Langseite.

Die zweite schmälere Seite enthält rechts und links von der in ihrer Mitte
befindlichen Thür und über derselben drei Abtheilungen, welche bei meiner letzten
Anwesenheit im Saale von Richter's Hand eben die Umrisse zu folgenden
Darstellungen aufnahmen. Links Walhalla mit dem Throne Wodan's, zu dessen
Seiten die Walkyren und die Göttertafcl mit dem nie endenden gebratenen Eber.
Ueber der Thür: Allvadur. Rechts der Uebergang zur Hehl (Hölle): Baldur
mit der Nanna und hinter ihnen menschliche Schatten über die Bialabrücke in
die Hölle einziehend; am Eingange Mntguddur mit deu Hölleumädchen. Dann
folgen in der Reihe der Bilder die vier Nischen der zweiten Langseite.

Fünfte Nische, gemalt von Müller: die Hölle selbst. Hieher kommen
Alle, welche nicht auf dem Schlachtfelde oder doch unberühmt starben. Daher
ist auch Baldur schon eingezogen, nachdem ihn der Pfeil des heimtückischen Hödr
unrühmlich getödtet. Hehl, eine weibliche Gestalt mit furchtbaren Antlitz, trägt
"uf dem Haupt eine Krone von Eisen, in der Hand einen Knochen als Scepter.
Ihr zu Füßen liegt der Höllenhund. In der Mitte schwebt über den Höllen-
gründen der Drache Nidhöggr, Aas in den Krallen haltend, denn er nährt sich
von den Seelen der Verstorbenen, welche jene Urzeit sich nicht von allem Stoff
entblößt zu deute" vermochte. Rechts brütet Lote, den Dreizack in der Hand,


schwebt vor ihm her und bläst die letzten Winterwolken fort. Neben ihm bauen
auf der mittlern Höhe die Zwerge Freir's Wolkenschiff Skidbladnir, worauf die
Götter fahren. Das Schiff war groß genug, um die ganze Götterwelt in sich
aufzunehmen, und wieder so klein, daß Froh es bei vorkommender Gelegenheit
in der Tasche mit sich tragen konnte. In dieser unscheinbaren und doch tief,
wenn auch unklar gedachten, von aller Sinnlichkeit abftrahirendeu Ausfassung des
Götterdaseins zeigte steh früh die Anlage der Deutschen zur phantastisch-
metaphysischen Speculation. Aus der rechten Seite ist Freia, die Liebe, dar¬
gestellt, wie sie auf ihrem, von Katzen gezogenen Wagen sehnsüchtig hinter dem
Schatten ihres Gatten herzieht. Ihre Thränen bilden das Morgenroth. Wie
unsre Urväter die Liebe als reines, keusches Gefühl in ihrer Göttin sich vorstellten,
so zugleich mit echt deutscher Empfindsamkeit als Liebeskrankheit. Freia erhält
nach der Mythe von Wodan die Hälfte der Todten, denn auch die Liebe
tödtet.

Vierte Nische, gemalt von Richter. Auf schnaubenden Rossen stürmen
die Walkyren, Jungfrauen von wunderbar wilder Schönheit, über der brausenden
Schlacht einher. Sie pressen die Herzen Gefallener in den Händen, und bespren¬
gen die Helden, welche fallen sollen, mit Blut. Oben tragen und geleiten vier
andere Schlachtjungftauen die Todten nach Walhalla, eine geht mit der Harfe
voran und singt sie zur Seligkeit hinüber. Auf der rechten Seite des Fensters
schließt eine Darstellung des Kriegsgottes Tyrr den malerischen Schmuck der
ersten Langseite.

Die zweite schmälere Seite enthält rechts und links von der in ihrer Mitte
befindlichen Thür und über derselben drei Abtheilungen, welche bei meiner letzten
Anwesenheit im Saale von Richter's Hand eben die Umrisse zu folgenden
Darstellungen aufnahmen. Links Walhalla mit dem Throne Wodan's, zu dessen
Seiten die Walkyren und die Göttertafcl mit dem nie endenden gebratenen Eber.
Ueber der Thür: Allvadur. Rechts der Uebergang zur Hehl (Hölle): Baldur
mit der Nanna und hinter ihnen menschliche Schatten über die Bialabrücke in
die Hölle einziehend; am Eingange Mntguddur mit deu Hölleumädchen. Dann
folgen in der Reihe der Bilder die vier Nischen der zweiten Langseite.

Fünfte Nische, gemalt von Müller: die Hölle selbst. Hieher kommen
Alle, welche nicht auf dem Schlachtfelde oder doch unberühmt starben. Daher
ist auch Baldur schon eingezogen, nachdem ihn der Pfeil des heimtückischen Hödr
unrühmlich getödtet. Hehl, eine weibliche Gestalt mit furchtbaren Antlitz, trägt
"uf dem Haupt eine Krone von Eisen, in der Hand einen Knochen als Scepter.
Ihr zu Füßen liegt der Höllenhund. In der Mitte schwebt über den Höllen-
gründen der Drache Nidhöggr, Aas in den Krallen haltend, denn er nährt sich
von den Seelen der Verstorbenen, welche jene Urzeit sich nicht von allem Stoff
entblößt zu deute» vermochte. Rechts brütet Lote, den Dreizack in der Hand,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0307" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94208"/>
          <p xml:id="ID_829" prev="#ID_828"> schwebt vor ihm her und bläst die letzten Winterwolken fort. Neben ihm bauen<lb/>
auf der mittlern Höhe die Zwerge Freir's Wolkenschiff Skidbladnir, worauf die<lb/>
Götter fahren. Das Schiff war groß genug, um die ganze Götterwelt in sich<lb/>
aufzunehmen, und wieder so klein, daß Froh es bei vorkommender Gelegenheit<lb/>
in der Tasche mit sich tragen konnte. In dieser unscheinbaren und doch tief,<lb/>
wenn auch unklar gedachten, von aller Sinnlichkeit abftrahirendeu Ausfassung des<lb/>
Götterdaseins zeigte steh früh die Anlage der Deutschen zur phantastisch-<lb/>
metaphysischen Speculation. Aus der rechten Seite ist Freia, die Liebe, dar¬<lb/>
gestellt, wie sie auf ihrem, von Katzen gezogenen Wagen sehnsüchtig hinter dem<lb/>
Schatten ihres Gatten herzieht. Ihre Thränen bilden das Morgenroth. Wie<lb/>
unsre Urväter die Liebe als reines, keusches Gefühl in ihrer Göttin sich vorstellten,<lb/>
so zugleich mit echt deutscher Empfindsamkeit als Liebeskrankheit. Freia erhält<lb/>
nach der Mythe von Wodan die Hälfte der Todten, denn auch die Liebe<lb/>
tödtet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_830"> Vierte Nische, gemalt von Richter. Auf schnaubenden Rossen stürmen<lb/>
die Walkyren, Jungfrauen von wunderbar wilder Schönheit, über der brausenden<lb/>
Schlacht einher. Sie pressen die Herzen Gefallener in den Händen, und bespren¬<lb/>
gen die Helden, welche fallen sollen, mit Blut. Oben tragen und geleiten vier<lb/>
andere Schlachtjungftauen die Todten nach Walhalla, eine geht mit der Harfe<lb/>
voran und singt sie zur Seligkeit hinüber. Auf der rechten Seite des Fensters<lb/>
schließt eine Darstellung des Kriegsgottes Tyrr den malerischen Schmuck der<lb/>
ersten Langseite.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_831"> Die zweite schmälere Seite enthält rechts und links von der in ihrer Mitte<lb/>
befindlichen Thür und über derselben drei Abtheilungen, welche bei meiner letzten<lb/>
Anwesenheit im Saale von Richter's Hand eben die Umrisse zu folgenden<lb/>
Darstellungen aufnahmen. Links Walhalla mit dem Throne Wodan's, zu dessen<lb/>
Seiten die Walkyren und die Göttertafcl mit dem nie endenden gebratenen Eber.<lb/>
Ueber der Thür: Allvadur. Rechts der Uebergang zur Hehl (Hölle): Baldur<lb/>
mit der Nanna und hinter ihnen menschliche Schatten über die Bialabrücke in<lb/>
die Hölle einziehend; am Eingange Mntguddur mit deu Hölleumädchen. Dann<lb/>
folgen in der Reihe der Bilder die vier Nischen der zweiten Langseite.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_832" next="#ID_833"> Fünfte Nische, gemalt von Müller: die Hölle selbst. Hieher kommen<lb/>
Alle, welche nicht auf dem Schlachtfelde oder doch unberühmt starben. Daher<lb/>
ist auch Baldur schon eingezogen, nachdem ihn der Pfeil des heimtückischen Hödr<lb/>
unrühmlich getödtet. Hehl, eine weibliche Gestalt mit furchtbaren Antlitz, trägt<lb/>
"uf dem Haupt eine Krone von Eisen, in der Hand einen Knochen als Scepter.<lb/>
Ihr zu Füßen liegt der Höllenhund. In der Mitte schwebt über den Höllen-<lb/>
gründen der Drache Nidhöggr, Aas in den Krallen haltend, denn er nährt sich<lb/>
von den Seelen der Verstorbenen, welche jene Urzeit sich nicht von allem Stoff<lb/>
entblößt zu deute» vermochte. Rechts brütet Lote, den Dreizack in der Hand,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0307] schwebt vor ihm her und bläst die letzten Winterwolken fort. Neben ihm bauen auf der mittlern Höhe die Zwerge Freir's Wolkenschiff Skidbladnir, worauf die Götter fahren. Das Schiff war groß genug, um die ganze Götterwelt in sich aufzunehmen, und wieder so klein, daß Froh es bei vorkommender Gelegenheit in der Tasche mit sich tragen konnte. In dieser unscheinbaren und doch tief, wenn auch unklar gedachten, von aller Sinnlichkeit abftrahirendeu Ausfassung des Götterdaseins zeigte steh früh die Anlage der Deutschen zur phantastisch- metaphysischen Speculation. Aus der rechten Seite ist Freia, die Liebe, dar¬ gestellt, wie sie auf ihrem, von Katzen gezogenen Wagen sehnsüchtig hinter dem Schatten ihres Gatten herzieht. Ihre Thränen bilden das Morgenroth. Wie unsre Urväter die Liebe als reines, keusches Gefühl in ihrer Göttin sich vorstellten, so zugleich mit echt deutscher Empfindsamkeit als Liebeskrankheit. Freia erhält nach der Mythe von Wodan die Hälfte der Todten, denn auch die Liebe tödtet. Vierte Nische, gemalt von Richter. Auf schnaubenden Rossen stürmen die Walkyren, Jungfrauen von wunderbar wilder Schönheit, über der brausenden Schlacht einher. Sie pressen die Herzen Gefallener in den Händen, und bespren¬ gen die Helden, welche fallen sollen, mit Blut. Oben tragen und geleiten vier andere Schlachtjungftauen die Todten nach Walhalla, eine geht mit der Harfe voran und singt sie zur Seligkeit hinüber. Auf der rechten Seite des Fensters schließt eine Darstellung des Kriegsgottes Tyrr den malerischen Schmuck der ersten Langseite. Die zweite schmälere Seite enthält rechts und links von der in ihrer Mitte befindlichen Thür und über derselben drei Abtheilungen, welche bei meiner letzten Anwesenheit im Saale von Richter's Hand eben die Umrisse zu folgenden Darstellungen aufnahmen. Links Walhalla mit dem Throne Wodan's, zu dessen Seiten die Walkyren und die Göttertafcl mit dem nie endenden gebratenen Eber. Ueber der Thür: Allvadur. Rechts der Uebergang zur Hehl (Hölle): Baldur mit der Nanna und hinter ihnen menschliche Schatten über die Bialabrücke in die Hölle einziehend; am Eingange Mntguddur mit deu Hölleumädchen. Dann folgen in der Reihe der Bilder die vier Nischen der zweiten Langseite. Fünfte Nische, gemalt von Müller: die Hölle selbst. Hieher kommen Alle, welche nicht auf dem Schlachtfelde oder doch unberühmt starben. Daher ist auch Baldur schon eingezogen, nachdem ihn der Pfeil des heimtückischen Hödr unrühmlich getödtet. Hehl, eine weibliche Gestalt mit furchtbaren Antlitz, trägt "uf dem Haupt eine Krone von Eisen, in der Hand einen Knochen als Scepter. Ihr zu Füßen liegt der Höllenhund. In der Mitte schwebt über den Höllen- gründen der Drache Nidhöggr, Aas in den Krallen haltend, denn er nährt sich von den Seelen der Verstorbenen, welche jene Urzeit sich nicht von allem Stoff entblößt zu deute» vermochte. Rechts brütet Lote, den Dreizack in der Hand,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/307
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/307>, abgerufen am 04.07.2024.