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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Bart und Haar in höllischer Lohe flammend, im Auge wilde, hämische Bosheit,
über Utgard's, des Höllenflusses, fledheißen Quellen. Von Schlangen und glü¬
hendem Qualm umgeben, schmachten bei ihm die Seelen in der Welt der Fäul-
niß, heimtückische Mörder und Meineidige in dem schlammigen Strome, dessen
Wogen schneidende Schwerter einherwälzen. Es ist der äußerste Verdamm-
nißort.

Sechste Nische^ gemalt von Heidenreich: die Nornen. Ur oder die
Urzeit, die Vergangenheit, sitzt links am Arda- oder Minusbrunnen der Weisheit,
an welchem sie eben ihre Schwäne gefüttert. Sie gräbt die Schicksale der Götter
und der Menschen in Ihren ehrenen Schild, während Werdanda, die werdende
Zeit, die Gegenwart, in der obern Mitte der Gruppe die Fäden der Schicksale
spinnt. Rechts begießt Skuld, die Zukunft, die Wurzeln 'des Wetterbaumes
Nggdrasil, der Götteresche, damit sie nicht so bald verdorre. Die Zweige um¬
fassen alle drei Himmel, die Wurzeln reichen hinab in die Unterwelt. In den
Zweigen nistet der luftbeherrschende Adler, am Stamme sitzt das Eichhorn Nata-
köskr, an den Blättern nagt der Hirsch, an den Wurzeln der Drache Nidhöggr,
der Feind der Götter. Wenn die Wurzeln zernagt sein werden, fällt die Welt
und die Götterdämmerung tritt ein, aber diese wird enden mit dem Siege des
guten Gottes, der jetzt durch Lote's Hinterlist in der Hölle schmachtet.

Siebente Nische, gemalt von Heidenreich. Das Element des Wassers,
in der Gestalt von Nixen, lieblich und trügerisch, wie die Phantasie der alten
Deutschen das lockende und doch so geheimnißvolle Element sinnbildlich sich vor¬
stellte. Die Nixen- spielen im Sonnenschein am Ufer eines Sees. In der Mitte
der Vogel Greif oder der geflügelte Drache Fasuir, die Schätze bewachend, welche
Lote dem Zwerg Andoar abgenommen. Rechts Niesen, die mit Ungeheuern
kämpfen, um jene Schätze sich zu eigen zu machen: eine Verbildlichung der un-
gebändigten Kräfte und des verschlossenen Reichthums der Natur.

Achte Nische, gemalt von Müller: Truthwange, das Elfenreich im
Elemente der Luft. In der obern Mitte der Bildgruppe der Elfeureigen. Die
Königin Titania schwebt, von ihren Gespielen getragen, über der mvndbcglänzten
Wiese zu dem Hügel empor, auf dem der Tanz von zarten Elfenmädchen aus¬
geführt wird. Rechts fährt die gewaltigste Kraft der Natur, als entschiedener
Gegensatz gegen die Zartheit jener ersten Luftgeister, Thor oder Donar, der
Donnergott, auf einem von Steinböcken gezogenen Wagen daher. Hammer,
Handschuh und Gürtel, seine drei Kleinodien, durch welche seine Götterkräfte
wachsen, hat er ergriffen und angelegt. So braust er über das Gebirge hin und
zerschmettert die Häupter der Bergriesen.

Wir sind am Ende des gemalten Mythen-Cyklus. Man wird ihm ein dich¬
terisches Eingehen in die alte Sagenwelt nicht absprechen können. Sinnig leitet
er uns vom Entstehen der Schöpfung durch die Verbildlichung ihrer Fülle und


Bart und Haar in höllischer Lohe flammend, im Auge wilde, hämische Bosheit,
über Utgard's, des Höllenflusses, fledheißen Quellen. Von Schlangen und glü¬
hendem Qualm umgeben, schmachten bei ihm die Seelen in der Welt der Fäul-
niß, heimtückische Mörder und Meineidige in dem schlammigen Strome, dessen
Wogen schneidende Schwerter einherwälzen. Es ist der äußerste Verdamm-
nißort.

Sechste Nische^ gemalt von Heidenreich: die Nornen. Ur oder die
Urzeit, die Vergangenheit, sitzt links am Arda- oder Minusbrunnen der Weisheit,
an welchem sie eben ihre Schwäne gefüttert. Sie gräbt die Schicksale der Götter
und der Menschen in Ihren ehrenen Schild, während Werdanda, die werdende
Zeit, die Gegenwart, in der obern Mitte der Gruppe die Fäden der Schicksale
spinnt. Rechts begießt Skuld, die Zukunft, die Wurzeln 'des Wetterbaumes
Nggdrasil, der Götteresche, damit sie nicht so bald verdorre. Die Zweige um¬
fassen alle drei Himmel, die Wurzeln reichen hinab in die Unterwelt. In den
Zweigen nistet der luftbeherrschende Adler, am Stamme sitzt das Eichhorn Nata-
köskr, an den Blättern nagt der Hirsch, an den Wurzeln der Drache Nidhöggr,
der Feind der Götter. Wenn die Wurzeln zernagt sein werden, fällt die Welt
und die Götterdämmerung tritt ein, aber diese wird enden mit dem Siege des
guten Gottes, der jetzt durch Lote's Hinterlist in der Hölle schmachtet.

Siebente Nische, gemalt von Heidenreich. Das Element des Wassers,
in der Gestalt von Nixen, lieblich und trügerisch, wie die Phantasie der alten
Deutschen das lockende und doch so geheimnißvolle Element sinnbildlich sich vor¬
stellte. Die Nixen- spielen im Sonnenschein am Ufer eines Sees. In der Mitte
der Vogel Greif oder der geflügelte Drache Fasuir, die Schätze bewachend, welche
Lote dem Zwerg Andoar abgenommen. Rechts Niesen, die mit Ungeheuern
kämpfen, um jene Schätze sich zu eigen zu machen: eine Verbildlichung der un-
gebändigten Kräfte und des verschlossenen Reichthums der Natur.

Achte Nische, gemalt von Müller: Truthwange, das Elfenreich im
Elemente der Luft. In der obern Mitte der Bildgruppe der Elfeureigen. Die
Königin Titania schwebt, von ihren Gespielen getragen, über der mvndbcglänzten
Wiese zu dem Hügel empor, auf dem der Tanz von zarten Elfenmädchen aus¬
geführt wird. Rechts fährt die gewaltigste Kraft der Natur, als entschiedener
Gegensatz gegen die Zartheit jener ersten Luftgeister, Thor oder Donar, der
Donnergott, auf einem von Steinböcken gezogenen Wagen daher. Hammer,
Handschuh und Gürtel, seine drei Kleinodien, durch welche seine Götterkräfte
wachsen, hat er ergriffen und angelegt. So braust er über das Gebirge hin und
zerschmettert die Häupter der Bergriesen.

Wir sind am Ende des gemalten Mythen-Cyklus. Man wird ihm ein dich¬
terisches Eingehen in die alte Sagenwelt nicht absprechen können. Sinnig leitet
er uns vom Entstehen der Schöpfung durch die Verbildlichung ihrer Fülle und


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[0308] Bart und Haar in höllischer Lohe flammend, im Auge wilde, hämische Bosheit, über Utgard's, des Höllenflusses, fledheißen Quellen. Von Schlangen und glü¬ hendem Qualm umgeben, schmachten bei ihm die Seelen in der Welt der Fäul- niß, heimtückische Mörder und Meineidige in dem schlammigen Strome, dessen Wogen schneidende Schwerter einherwälzen. Es ist der äußerste Verdamm- nißort. Sechste Nische^ gemalt von Heidenreich: die Nornen. Ur oder die Urzeit, die Vergangenheit, sitzt links am Arda- oder Minusbrunnen der Weisheit, an welchem sie eben ihre Schwäne gefüttert. Sie gräbt die Schicksale der Götter und der Menschen in Ihren ehrenen Schild, während Werdanda, die werdende Zeit, die Gegenwart, in der obern Mitte der Gruppe die Fäden der Schicksale spinnt. Rechts begießt Skuld, die Zukunft, die Wurzeln 'des Wetterbaumes Nggdrasil, der Götteresche, damit sie nicht so bald verdorre. Die Zweige um¬ fassen alle drei Himmel, die Wurzeln reichen hinab in die Unterwelt. In den Zweigen nistet der luftbeherrschende Adler, am Stamme sitzt das Eichhorn Nata- köskr, an den Blättern nagt der Hirsch, an den Wurzeln der Drache Nidhöggr, der Feind der Götter. Wenn die Wurzeln zernagt sein werden, fällt die Welt und die Götterdämmerung tritt ein, aber diese wird enden mit dem Siege des guten Gottes, der jetzt durch Lote's Hinterlist in der Hölle schmachtet. Siebente Nische, gemalt von Heidenreich. Das Element des Wassers, in der Gestalt von Nixen, lieblich und trügerisch, wie die Phantasie der alten Deutschen das lockende und doch so geheimnißvolle Element sinnbildlich sich vor¬ stellte. Die Nixen- spielen im Sonnenschein am Ufer eines Sees. In der Mitte der Vogel Greif oder der geflügelte Drache Fasuir, die Schätze bewachend, welche Lote dem Zwerg Andoar abgenommen. Rechts Niesen, die mit Ungeheuern kämpfen, um jene Schätze sich zu eigen zu machen: eine Verbildlichung der un- gebändigten Kräfte und des verschlossenen Reichthums der Natur. Achte Nische, gemalt von Müller: Truthwange, das Elfenreich im Elemente der Luft. In der obern Mitte der Bildgruppe der Elfeureigen. Die Königin Titania schwebt, von ihren Gespielen getragen, über der mvndbcglänzten Wiese zu dem Hügel empor, auf dem der Tanz von zarten Elfenmädchen aus¬ geführt wird. Rechts fährt die gewaltigste Kraft der Natur, als entschiedener Gegensatz gegen die Zartheit jener ersten Luftgeister, Thor oder Donar, der Donnergott, auf einem von Steinböcken gezogenen Wagen daher. Hammer, Handschuh und Gürtel, seine drei Kleinodien, durch welche seine Götterkräfte wachsen, hat er ergriffen und angelegt. So braust er über das Gebirge hin und zerschmettert die Häupter der Bergriesen. Wir sind am Ende des gemalten Mythen-Cyklus. Man wird ihm ein dich¬ terisches Eingehen in die alte Sagenwelt nicht absprechen können. Sinnig leitet er uns vom Entstehen der Schöpfung durch die Verbildlichung ihrer Fülle und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/308>, abgerufen am 04.07.2024.