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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Pfeilerstellungen getrennten Nischen füllen. Durch diese Anordnung erhielt jede
der acht Gemäldegruppen eine dreitheilige Gliederung: linke Fensterseite, Mitte
über dem Fenster und rechte Fensterseite.

Erste Nische, gemalt von Heidenreich. Hertha, die fruchtbringende
mütterliche Erde, fahrt auf ihrem Wagen, von zwei milchweißen Kühen gezogen,
über den freundlichen Herthaseu dahin. Mit freigebiger Hand spendet sie den
Bewohnern der Erde Blumen und Früchte. In der Mitte reiten Dagur und
Noth -- Tag und Nacht --, von der gefräßigen Zeit in doppelköpfiger Wolfs¬
gestalt verfolgt, einher ans dem glanzmähnigen Donnerosse Skinfax und dem
thaumähnigen Nachtrosse Hrinfax. Rechts thront Wodan auf seinem Königs-
stuhle Hlidskialf, bewaffnet mit Helm und Schild und mit dem Speer Gungnir,
durch welchen er den Helden Sieg verleiht. Denn er herrscht über die weise
Lenkung des.Krieges und leitet den Sieg. Aber auch die Dichtkunst erweckt er,
verleiht den Menschen und allen Dingen Gestalt und Schönheit, ist Herr über
die Fruchtbarkeit des Feldes, wie über alle höchsten Güter und Gaben, kurz, er
vereint in sich die Alles durchdringende, Alles schaffende Kraft, von der nur ein¬
zelne Fähigkeiten auf die anderen Gottheiten übergingen. Die Raben umrauschen
ihn und tragen zu ihm die Kunde alles Geschehenden; zu Füßen sitzen ihm seine
Tischgenossen, Geri und Freki, die zcitbedeutenden Wölfe.

Zweite Nische, gemalt von Richter/ Baldur, der gute Gott, tritt im
leuchtend weißen Gewände, Braga's Harfe im Arm, aus dem Thore seines
Hauses Breitablick, des Sonnenschlosses. Der naive Natursinn der alten
Deutschen ließ es ihn bekanntlich stets um Johanni beziehen, im Rosenmond,
wenn die Sonne am höchsten steht. Dort hat ihn der 'todtbringende Schütze
Hödr erblickt, der in Baldur's freie, unbewehrte Brust den Pfeil mit dein Mstel-
steine sendet, während hinter ihm Lote, der böse Verführer, den verhängnißvollen
Mistelzweig führt. In tiefem- Entsetzen über die Unthat scheint auch Baldur's
Gattin, die verzweifelnde Nanna, dem Tode nahe, und vergebens sucht Friggh,
Wodan's Gemahlin, die Unglückliche zu trösten. Diese Gruppe bildet die Mitte.
Auf der rechten Seite, der jugendlich edlen Gestalt Baldur's gegenüber, erblicken
wir die Göttin Hulda oder Frau Holle mit dem Spinnrocken am Hollebrunnen
und als Vorsteherin der Familie ihre Pflege den Kindern zuwendend, welche im
klaren Gewässer des Brunnens spielen.

Dritte Nische, gemalt von Müller. Froh oder Freir, der schöne Früh¬
lingsgott, welcher Sonnenschein und Regen beherrscht, reitet ans dem Eber Gnllin-
bursti, dem Sinnbild der Fruchtbarkeit, dessen goldene Borsten sogar die Nacht
erleuchten. Froh gießt Regen ans einer Schale nieder, die Sonne wirft ihre
Strahlen darein, und unter dem Reiter bildet sich der Regenbogen, die Bifröst¬
brücke, welche den Fuß der Götter durch den Aether trägt. Wane, einer der
kleinen Luftgeister, von denen das Geschwisterpaar Froh und Freia stammt,


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der acht Gemäldegruppen eine dreitheilige Gliederung: linke Fensterseite, Mitte
über dem Fenster und rechte Fensterseite.

Erste Nische, gemalt von Heidenreich. Hertha, die fruchtbringende
mütterliche Erde, fahrt auf ihrem Wagen, von zwei milchweißen Kühen gezogen,
über den freundlichen Herthaseu dahin. Mit freigebiger Hand spendet sie den
Bewohnern der Erde Blumen und Früchte. In der Mitte reiten Dagur und
Noth — Tag und Nacht —, von der gefräßigen Zeit in doppelköpfiger Wolfs¬
gestalt verfolgt, einher ans dem glanzmähnigen Donnerosse Skinfax und dem
thaumähnigen Nachtrosse Hrinfax. Rechts thront Wodan auf seinem Königs-
stuhle Hlidskialf, bewaffnet mit Helm und Schild und mit dem Speer Gungnir,
durch welchen er den Helden Sieg verleiht. Denn er herrscht über die weise
Lenkung des.Krieges und leitet den Sieg. Aber auch die Dichtkunst erweckt er,
verleiht den Menschen und allen Dingen Gestalt und Schönheit, ist Herr über
die Fruchtbarkeit des Feldes, wie über alle höchsten Güter und Gaben, kurz, er
vereint in sich die Alles durchdringende, Alles schaffende Kraft, von der nur ein¬
zelne Fähigkeiten auf die anderen Gottheiten übergingen. Die Raben umrauschen
ihn und tragen zu ihm die Kunde alles Geschehenden; zu Füßen sitzen ihm seine
Tischgenossen, Geri und Freki, die zcitbedeutenden Wölfe.

Zweite Nische, gemalt von Richter/ Baldur, der gute Gott, tritt im
leuchtend weißen Gewände, Braga's Harfe im Arm, aus dem Thore seines
Hauses Breitablick, des Sonnenschlosses. Der naive Natursinn der alten
Deutschen ließ es ihn bekanntlich stets um Johanni beziehen, im Rosenmond,
wenn die Sonne am höchsten steht. Dort hat ihn der 'todtbringende Schütze
Hödr erblickt, der in Baldur's freie, unbewehrte Brust den Pfeil mit dein Mstel-
steine sendet, während hinter ihm Lote, der böse Verführer, den verhängnißvollen
Mistelzweig führt. In tiefem- Entsetzen über die Unthat scheint auch Baldur's
Gattin, die verzweifelnde Nanna, dem Tode nahe, und vergebens sucht Friggh,
Wodan's Gemahlin, die Unglückliche zu trösten. Diese Gruppe bildet die Mitte.
Auf der rechten Seite, der jugendlich edlen Gestalt Baldur's gegenüber, erblicken
wir die Göttin Hulda oder Frau Holle mit dem Spinnrocken am Hollebrunnen
und als Vorsteherin der Familie ihre Pflege den Kindern zuwendend, welche im
klaren Gewässer des Brunnens spielen.

Dritte Nische, gemalt von Müller. Froh oder Freir, der schöne Früh¬
lingsgott, welcher Sonnenschein und Regen beherrscht, reitet ans dem Eber Gnllin-
bursti, dem Sinnbild der Fruchtbarkeit, dessen goldene Borsten sogar die Nacht
erleuchten. Froh gießt Regen ans einer Schale nieder, die Sonne wirft ihre
Strahlen darein, und unter dem Reiter bildet sich der Regenbogen, die Bifröst¬
brücke, welche den Fuß der Götter durch den Aether trägt. Wane, einer der
kleinen Luftgeister, von denen das Geschwisterpaar Froh und Freia stammt,


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[0306] Pfeilerstellungen getrennten Nischen füllen. Durch diese Anordnung erhielt jede der acht Gemäldegruppen eine dreitheilige Gliederung: linke Fensterseite, Mitte über dem Fenster und rechte Fensterseite. Erste Nische, gemalt von Heidenreich. Hertha, die fruchtbringende mütterliche Erde, fahrt auf ihrem Wagen, von zwei milchweißen Kühen gezogen, über den freundlichen Herthaseu dahin. Mit freigebiger Hand spendet sie den Bewohnern der Erde Blumen und Früchte. In der Mitte reiten Dagur und Noth — Tag und Nacht —, von der gefräßigen Zeit in doppelköpfiger Wolfs¬ gestalt verfolgt, einher ans dem glanzmähnigen Donnerosse Skinfax und dem thaumähnigen Nachtrosse Hrinfax. Rechts thront Wodan auf seinem Königs- stuhle Hlidskialf, bewaffnet mit Helm und Schild und mit dem Speer Gungnir, durch welchen er den Helden Sieg verleiht. Denn er herrscht über die weise Lenkung des.Krieges und leitet den Sieg. Aber auch die Dichtkunst erweckt er, verleiht den Menschen und allen Dingen Gestalt und Schönheit, ist Herr über die Fruchtbarkeit des Feldes, wie über alle höchsten Güter und Gaben, kurz, er vereint in sich die Alles durchdringende, Alles schaffende Kraft, von der nur ein¬ zelne Fähigkeiten auf die anderen Gottheiten übergingen. Die Raben umrauschen ihn und tragen zu ihm die Kunde alles Geschehenden; zu Füßen sitzen ihm seine Tischgenossen, Geri und Freki, die zcitbedeutenden Wölfe. Zweite Nische, gemalt von Richter/ Baldur, der gute Gott, tritt im leuchtend weißen Gewände, Braga's Harfe im Arm, aus dem Thore seines Hauses Breitablick, des Sonnenschlosses. Der naive Natursinn der alten Deutschen ließ es ihn bekanntlich stets um Johanni beziehen, im Rosenmond, wenn die Sonne am höchsten steht. Dort hat ihn der 'todtbringende Schütze Hödr erblickt, der in Baldur's freie, unbewehrte Brust den Pfeil mit dein Mstel- steine sendet, während hinter ihm Lote, der böse Verführer, den verhängnißvollen Mistelzweig führt. In tiefem- Entsetzen über die Unthat scheint auch Baldur's Gattin, die verzweifelnde Nanna, dem Tode nahe, und vergebens sucht Friggh, Wodan's Gemahlin, die Unglückliche zu trösten. Diese Gruppe bildet die Mitte. Auf der rechten Seite, der jugendlich edlen Gestalt Baldur's gegenüber, erblicken wir die Göttin Hulda oder Frau Holle mit dem Spinnrocken am Hollebrunnen und als Vorsteherin der Familie ihre Pflege den Kindern zuwendend, welche im klaren Gewässer des Brunnens spielen. Dritte Nische, gemalt von Müller. Froh oder Freir, der schöne Früh¬ lingsgott, welcher Sonnenschein und Regen beherrscht, reitet ans dem Eber Gnllin- bursti, dem Sinnbild der Fruchtbarkeit, dessen goldene Borsten sogar die Nacht erleuchten. Froh gießt Regen ans einer Schale nieder, die Sonne wirft ihre Strahlen darein, und unter dem Reiter bildet sich der Regenbogen, die Bifröst¬ brücke, welche den Fuß der Götter durch den Aether trägt. Wane, einer der kleinen Luftgeister, von denen das Geschwisterpaar Froh und Freia stammt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/306>, abgerufen am 04.07.2024.