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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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ein Pudel zu sein pflegten. Leider ist der letztere, der nach der Behauptung der
Studenten griechisch verstanden haben soll, bereits zu seinen Vätern versammelt.--
Es konnte nicht fehlen, daß der bei aller Unscheinbarkeit seines Aeußern so ehr¬
würdige Mann, den man an öffentlichen Vergnügungsörtern und Spaziergängen
häufig sah, und der sür Jedermann zugänglich war, allmählich für seine Mitbürger
der Gegenstand andächtiger Bewunderung -- und zugleich der Kern eines ganzen
Sagenkreises wurde. Daß Lobeck der Verfasser des Aglaophamus ist, wissen die
wenigsten Königsberger, aber das wissen die meisten, daß, als er den Gcheimraths-
titcl erhielt, er vergaß,, ^ dieses seiner, Fran mitzutheilen, und daß er eine ihm
übersendete höhere Klasse des rothen Adlerordens zurückschickte, in der festen Ueber¬
zeugung, er habe sie schon, und die Sendung sei nur durch Irrthum an ihn gelangt.
Dies und Aehnliches macht ihn in ihren Augen zu einer märchenhaften Persönlich¬
keit, und in der That ist die mythenbildende Thätigkeit von Königsberg nicht
müßig gewesen, Geschichten zu erfinden, in denen Lobeck irgend eine wunderbare
Rolle zugetheilt ist.

Eine unmittelbare Beziehung zum Publicum hat Lobeck in seiner Eigenschaft
als akademischer Redner. Bei diesen Acten, womit die Universität die Erhebung
Preußens zur Monarchie und den Geburtstag des Königs feiert, war früher
lateinisch geredet worden. Lobeck führte die deutsche Sprache ein, und mit un¬
nachahmlicher Gewandtheit und Grazie wußte er seinen Zuhörern jedesmal ein
kleines Bild aus dem Alterthume vorzuhalten, das schlagende 'Lichter aus die
Situation der Gegenwart warf. Seit Kurzem hat, er sich genöthigt gesehen,
wieder lateinisch zu reden. Der Oeffentlichkeit ist von seinen Reden keine über¬
geben worden, ausgenommen die -I8zi bei der dritten Säkularfeier der Universi¬
tät vor dem Könige im Dom gehaltene Festrede. Sie ist jedoch wenig bekannt
geworden, und so mag denn zum Schlüsse dieses Versuches hier ihr zweiter Theil
folgen, mit Auslassung einiger speciellen Beziehungen.

"Auf der Grenzscheide zweier Jahrhunderte schweift der Blick hinüber in das
dunkle Land der Zukunft mit froher und mit trüber Ahnung. Denn mich
zur Besvkgniß -- nicht insbesondere für uns, sondern für die Pflanzschulen
höherer Geistesbildung überhaupt, geben die Symptome einer weit herrschenden
Zeitstimmung mehrfache" Anlaß. Der Janustempel unsres Welttheils ist längst
geschlossen, aber aus der Stille des Friedens werden mißhellige Stimmen laut
von einer Grenze Europa's bis zur andern. Es sind dieselben Stimmen, die sich
einst gegen die wiedcraufblühende Wissenschaft, gegen die freigewordene Kirche
erhoben. Die Eumeniden der Glanbenszwietracht, die einer Hellem Zeit gewichen
w.iren, steigen von neuem aus ihrem Dunkel empor, es mahnt uns, als vernähmen
wir die Fesselhymne des alten Trauerspiels:


Geistverwirrend, hcrzbethörend,
Seelensefsclnd, sonder Leyer,
Schallt der Hymnos der Erümyen;

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ein Pudel zu sein pflegten. Leider ist der letztere, der nach der Behauptung der
Studenten griechisch verstanden haben soll, bereits zu seinen Vätern versammelt.—
Es konnte nicht fehlen, daß der bei aller Unscheinbarkeit seines Aeußern so ehr¬
würdige Mann, den man an öffentlichen Vergnügungsörtern und Spaziergängen
häufig sah, und der sür Jedermann zugänglich war, allmählich für seine Mitbürger
der Gegenstand andächtiger Bewunderung — und zugleich der Kern eines ganzen
Sagenkreises wurde. Daß Lobeck der Verfasser des Aglaophamus ist, wissen die
wenigsten Königsberger, aber das wissen die meisten, daß, als er den Gcheimraths-
titcl erhielt, er vergaß,, ^ dieses seiner, Fran mitzutheilen, und daß er eine ihm
übersendete höhere Klasse des rothen Adlerordens zurückschickte, in der festen Ueber¬
zeugung, er habe sie schon, und die Sendung sei nur durch Irrthum an ihn gelangt.
Dies und Aehnliches macht ihn in ihren Augen zu einer märchenhaften Persönlich¬
keit, und in der That ist die mythenbildende Thätigkeit von Königsberg nicht
müßig gewesen, Geschichten zu erfinden, in denen Lobeck irgend eine wunderbare
Rolle zugetheilt ist.

Eine unmittelbare Beziehung zum Publicum hat Lobeck in seiner Eigenschaft
als akademischer Redner. Bei diesen Acten, womit die Universität die Erhebung
Preußens zur Monarchie und den Geburtstag des Königs feiert, war früher
lateinisch geredet worden. Lobeck führte die deutsche Sprache ein, und mit un¬
nachahmlicher Gewandtheit und Grazie wußte er seinen Zuhörern jedesmal ein
kleines Bild aus dem Alterthume vorzuhalten, das schlagende 'Lichter aus die
Situation der Gegenwart warf. Seit Kurzem hat, er sich genöthigt gesehen,
wieder lateinisch zu reden. Der Oeffentlichkeit ist von seinen Reden keine über¬
geben worden, ausgenommen die -I8zi bei der dritten Säkularfeier der Universi¬
tät vor dem Könige im Dom gehaltene Festrede. Sie ist jedoch wenig bekannt
geworden, und so mag denn zum Schlüsse dieses Versuches hier ihr zweiter Theil
folgen, mit Auslassung einiger speciellen Beziehungen.

„Auf der Grenzscheide zweier Jahrhunderte schweift der Blick hinüber in das
dunkle Land der Zukunft mit froher und mit trüber Ahnung. Denn mich
zur Besvkgniß — nicht insbesondere für uns, sondern für die Pflanzschulen
höherer Geistesbildung überhaupt, geben die Symptome einer weit herrschenden
Zeitstimmung mehrfache» Anlaß. Der Janustempel unsres Welttheils ist längst
geschlossen, aber aus der Stille des Friedens werden mißhellige Stimmen laut
von einer Grenze Europa's bis zur andern. Es sind dieselben Stimmen, die sich
einst gegen die wiedcraufblühende Wissenschaft, gegen die freigewordene Kirche
erhoben. Die Eumeniden der Glanbenszwietracht, die einer Hellem Zeit gewichen
w.iren, steigen von neuem aus ihrem Dunkel empor, es mahnt uns, als vernähmen
wir die Fesselhymne des alten Trauerspiels:


Geistverwirrend, hcrzbethörend,
Seelensefsclnd, sonder Leyer,
Schallt der Hymnos der Erümyen;

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[0303] ein Pudel zu sein pflegten. Leider ist der letztere, der nach der Behauptung der Studenten griechisch verstanden haben soll, bereits zu seinen Vätern versammelt.— Es konnte nicht fehlen, daß der bei aller Unscheinbarkeit seines Aeußern so ehr¬ würdige Mann, den man an öffentlichen Vergnügungsörtern und Spaziergängen häufig sah, und der sür Jedermann zugänglich war, allmählich für seine Mitbürger der Gegenstand andächtiger Bewunderung — und zugleich der Kern eines ganzen Sagenkreises wurde. Daß Lobeck der Verfasser des Aglaophamus ist, wissen die wenigsten Königsberger, aber das wissen die meisten, daß, als er den Gcheimraths- titcl erhielt, er vergaß,, ^ dieses seiner, Fran mitzutheilen, und daß er eine ihm übersendete höhere Klasse des rothen Adlerordens zurückschickte, in der festen Ueber¬ zeugung, er habe sie schon, und die Sendung sei nur durch Irrthum an ihn gelangt. Dies und Aehnliches macht ihn in ihren Augen zu einer märchenhaften Persönlich¬ keit, und in der That ist die mythenbildende Thätigkeit von Königsberg nicht müßig gewesen, Geschichten zu erfinden, in denen Lobeck irgend eine wunderbare Rolle zugetheilt ist. Eine unmittelbare Beziehung zum Publicum hat Lobeck in seiner Eigenschaft als akademischer Redner. Bei diesen Acten, womit die Universität die Erhebung Preußens zur Monarchie und den Geburtstag des Königs feiert, war früher lateinisch geredet worden. Lobeck führte die deutsche Sprache ein, und mit un¬ nachahmlicher Gewandtheit und Grazie wußte er seinen Zuhörern jedesmal ein kleines Bild aus dem Alterthume vorzuhalten, das schlagende 'Lichter aus die Situation der Gegenwart warf. Seit Kurzem hat, er sich genöthigt gesehen, wieder lateinisch zu reden. Der Oeffentlichkeit ist von seinen Reden keine über¬ geben worden, ausgenommen die -I8zi bei der dritten Säkularfeier der Universi¬ tät vor dem Könige im Dom gehaltene Festrede. Sie ist jedoch wenig bekannt geworden, und so mag denn zum Schlüsse dieses Versuches hier ihr zweiter Theil folgen, mit Auslassung einiger speciellen Beziehungen. „Auf der Grenzscheide zweier Jahrhunderte schweift der Blick hinüber in das dunkle Land der Zukunft mit froher und mit trüber Ahnung. Denn mich zur Besvkgniß — nicht insbesondere für uns, sondern für die Pflanzschulen höherer Geistesbildung überhaupt, geben die Symptome einer weit herrschenden Zeitstimmung mehrfache» Anlaß. Der Janustempel unsres Welttheils ist längst geschlossen, aber aus der Stille des Friedens werden mißhellige Stimmen laut von einer Grenze Europa's bis zur andern. Es sind dieselben Stimmen, die sich einst gegen die wiedcraufblühende Wissenschaft, gegen die freigewordene Kirche erhoben. Die Eumeniden der Glanbenszwietracht, die einer Hellem Zeit gewichen w.iren, steigen von neuem aus ihrem Dunkel empor, es mahnt uns, als vernähmen wir die Fesselhymne des alten Trauerspiels: Geistverwirrend, hcrzbethörend, Seelensefsclnd, sonder Leyer, Schallt der Hymnos der Erümyen; 37*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/303>, abgerufen am 24.07.2024.