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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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und wir erkennen ihre Führer, die unsichtbaren Häupter der hierarchischen Pro¬
paganda, die, zur Unterdrückung der Reformation gestiftet, ihre dämonische Sendung
sofort beurkundete durch die blutige Gegenreformation jener einst zu blühenden
Universität, deren Säcularfeier der unsrigen zunächst liegt. Der jetzt mit altem
Hasse erneute Kampf zwischen Klerus und Universität ist noch nicht über Deutsch¬
lands Grenze gedrungen. Aber anch hier entwickeln sich immer schroffere Gegen¬
sätze, und manche Erscheinungen in unsrer Kirche erinnern an die Tendenzen
jener alten Orthodoxen, die unter dem Namen der Adiaphora Dogmen und Ri¬
tus der verlassenen Konfession wieder einzuführen versuchten.

Noch mehr berührt uns der Andrang der materiellen Interessen, und die
immer lauter werdende Forderung, daß die Wissenschaft, sie, die Erzieherin des
Menschengeschlechts, ans ihren Mysterien hervortrete auf den Markt des Werkel¬
tags, nicht um das Leben zu läutern und zu veredeln, sondern um seinen wech¬
selnde" Bedürfnissen und Bequemlichkeiten dienstbar zu werden, und daß sie ihre
Lehre fortan ausschließlich auf die Vermehrung der Erwerbsmittel und den Be¬
darf der Weltmannsbildnng berechne und beschränke.

Und mit diesen Antipathien verbindet sich ein drittes gleich mächtiges, gleich
feindliches Element. Das ist der Pharisäismus der Wissenschaft, die Heuchelei
genialer Erleuchtung, welche den Resultaten ernster Forschung das Gaukelwerk
spielender Combinationen entgegenstellt, und statt des wissenschaftlich Erkennbaren
die ewigen Räthsel der Natur, die verblichenen Hieroglyphen der Vorwelt, die
Tiefen des Geisterreichs zu ergründen strebt. , Doch mitten unter diesen Vorzeichen
annähender Geistesverdunkelung tröstet und erhebt uns' der Glaube an die höhere
Bestimmung unsres Geschlechts, an die Kraft der Wahrheit.

Und nun erheben wir freudig und hoffnungsvoll unsren Blick zu dein Mor¬
genröthe des neuen Jahrhunderts empor, und geloben uns, nach unsrer Kräften
fortzuwirken in dem Geiste der wahren, freien, lebendigen Wissenschaft, auf daß,
wenn einst ein späteres Geschlecht sich zur Feier des vierten Säcularsestes in dem
neuen Albertinum versammelt, nicht blos der Name des hohen Erbauers ge¬
priesen, sondern auch des Eifers gedacht werde, mit welcher wir die, königliche
Gnade zu ehren wußten. Vielleicht, daß anch dieses neue Propyläen der aka¬
demischen Akropole sein drittes Jubeljahr erreicht, und daß dann der Genius
der Reformation sein Panier in weiteren Kreisen über reifere Völker siegreich ent¬
faltet hat. Dock) wie lange Dauer auch seinem Altar hier beschicken sein mag,


"Einst wird kommen der Tag, wo die heilige Ilios sinket"

sei es durch die Allgewalt des Schicksals, welches die irdischen Formen des Geistes¬
lebens ewig wandelt und wechselt, oder weil die Stunde naht, in welcher die Scheide¬
wand zwischen Schule und Leben fällt, wo alle Lehrvcreine wie in einem Accorde
aufgehn, in der wahren universttas, in der Einen, unsichtbaren, unvergänglichen
Gemeinde aller edlen Geister, denn die Kunst ist lang, aber das Leben ist ewig."




und wir erkennen ihre Führer, die unsichtbaren Häupter der hierarchischen Pro¬
paganda, die, zur Unterdrückung der Reformation gestiftet, ihre dämonische Sendung
sofort beurkundete durch die blutige Gegenreformation jener einst zu blühenden
Universität, deren Säcularfeier der unsrigen zunächst liegt. Der jetzt mit altem
Hasse erneute Kampf zwischen Klerus und Universität ist noch nicht über Deutsch¬
lands Grenze gedrungen. Aber anch hier entwickeln sich immer schroffere Gegen¬
sätze, und manche Erscheinungen in unsrer Kirche erinnern an die Tendenzen
jener alten Orthodoxen, die unter dem Namen der Adiaphora Dogmen und Ri¬
tus der verlassenen Konfession wieder einzuführen versuchten.

Noch mehr berührt uns der Andrang der materiellen Interessen, und die
immer lauter werdende Forderung, daß die Wissenschaft, sie, die Erzieherin des
Menschengeschlechts, ans ihren Mysterien hervortrete auf den Markt des Werkel¬
tags, nicht um das Leben zu läutern und zu veredeln, sondern um seinen wech¬
selnde» Bedürfnissen und Bequemlichkeiten dienstbar zu werden, und daß sie ihre
Lehre fortan ausschließlich auf die Vermehrung der Erwerbsmittel und den Be¬
darf der Weltmannsbildnng berechne und beschränke.

Und mit diesen Antipathien verbindet sich ein drittes gleich mächtiges, gleich
feindliches Element. Das ist der Pharisäismus der Wissenschaft, die Heuchelei
genialer Erleuchtung, welche den Resultaten ernster Forschung das Gaukelwerk
spielender Combinationen entgegenstellt, und statt des wissenschaftlich Erkennbaren
die ewigen Räthsel der Natur, die verblichenen Hieroglyphen der Vorwelt, die
Tiefen des Geisterreichs zu ergründen strebt. , Doch mitten unter diesen Vorzeichen
annähender Geistesverdunkelung tröstet und erhebt uns' der Glaube an die höhere
Bestimmung unsres Geschlechts, an die Kraft der Wahrheit.

Und nun erheben wir freudig und hoffnungsvoll unsren Blick zu dein Mor¬
genröthe des neuen Jahrhunderts empor, und geloben uns, nach unsrer Kräften
fortzuwirken in dem Geiste der wahren, freien, lebendigen Wissenschaft, auf daß,
wenn einst ein späteres Geschlecht sich zur Feier des vierten Säcularsestes in dem
neuen Albertinum versammelt, nicht blos der Name des hohen Erbauers ge¬
priesen, sondern auch des Eifers gedacht werde, mit welcher wir die, königliche
Gnade zu ehren wußten. Vielleicht, daß anch dieses neue Propyläen der aka¬
demischen Akropole sein drittes Jubeljahr erreicht, und daß dann der Genius
der Reformation sein Panier in weiteren Kreisen über reifere Völker siegreich ent¬
faltet hat. Dock) wie lange Dauer auch seinem Altar hier beschicken sein mag,


„Einst wird kommen der Tag, wo die heilige Ilios sinket"

sei es durch die Allgewalt des Schicksals, welches die irdischen Formen des Geistes¬
lebens ewig wandelt und wechselt, oder weil die Stunde naht, in welcher die Scheide¬
wand zwischen Schule und Leben fällt, wo alle Lehrvcreine wie in einem Accorde
aufgehn, in der wahren universttas, in der Einen, unsichtbaren, unvergänglichen
Gemeinde aller edlen Geister, denn die Kunst ist lang, aber das Leben ist ewig."




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/304>, abgerufen am 24.07.2024.