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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Jahr mit Lehrs gemeinschaftlich) an seinen Schülern die Haupteigenschaften künftiger
Philologen zu bilden: scharfe Beobachtung und strenge Untersuchung. Gegen¬
stand des Unterrichts ist hier ausschließlich die Sprache, deren Kenntniß als
unentbehrliches Fundament aller Alterthumsstndien nie eifrig genug erstrebt
werden kauu. Der Unterricht besteht von Seiten des Lehrers in Vortragen über
Sprachbildung und Sprachbau, die Schüler interpretiren unter seiner Leitung
alte Klassiker und behandeln schriftlich Aufgaben, denen Anfänger gewachsen sind.
Dieser vou Lobeck im Ganzen seit Jahren befolgte Unterrichtsplan entspricht voll¬
kommen der Absicht, angehenden Philologen eine zugleich umfassende und gründ¬
liche Kenntniß der Anfangsgründe zu geben, und die Methode wissenschaftlicher
Untersuchung für immer zu befestigen. Auch hat es auf deutschen Universitäten
immer für eine gute Empfehlung gegolten, sich einen Schüler von Lobeck nennen
zu dürfen, und wenn die Lehrer der Ost- und Westpreußischcn Gymnasien, die
größtentheils ans Lobeck's Schule stammen, von denen anderer Provinzen freilich
in wissenschaftlicher Thätigkeit übertroffen werden, so dürften sie ihnen häufig
durch Gründlichkeit und systematische Fundamentalbildung voranstehn, ein Vorzug,
den sie ausschließlich Lobeck's Unterricht verdanken.

Wenn es nach allem bisher Gesagten einleuchtet, daß Wenige im Staude
sind, Lobeck's wissenschaftliche Bedeutung zu würdigen, so übt dagegen seine Per¬
sönlichkeit ihre unwiderstehliche Wirkung aus Jeden, der sich ihm nähern darf.
Denn die reinste Humanität, die "nichts Menschliches von sich fremd achtet",
verbindet sich der gewaltigen wissenschaftlichen Größe, um sie nur wohlthuend, ja
erhebend wirken zu lassen. Nie besaß ein Gelehrter nachsichtigere Theilnahme für
jedes wissenschaftliche Streben selbst des Anfängers, neidlosere Anerkennung fremden
Verdienstes, und in dem Verhältniß zu Voß und Hermann hat er gezeigt, daß
er der wahre große Mann ist, "der eigenes Lob nicht hören kann: er sucht be¬
scheiden auszuweichen, und thut, als gäb' es seines Gleichen." Die Freiheit der
Wissenschaft hat er überall, wo es galt, vertreten, und sich nie durch Rücksichten
abhalten lassen, die so manchen Gelehrten zum Verräther an der eigenen Sache
gemacht haben. Der Geist, der neben der Wissenschaft keine anderen Götter
kennt, wird von kleinen Leidenschaften und Interessen nicht bewegt. Wie ganz
Lobeck jeden äußern Schein verschmäht, zeigt schon die prunklose Einfachheit seiner
Lebensweise. Fremde Gelehrte, die nach Königsberg kommen und das kleine
Haus an der Bibliothek aufsuchen, Pflegen nicht wenig verwundert zu sein, wenn
man sie aus das Verlangen, dem Herrn Geheimrath gemeldet zu werde", ohne
Weiteres in ein Zimmer weist, das, von blauen Rauchwolken durchzogen, vom
Boden bis zur Decke fast Nichts enthält als Büchermassen über und durch einander.
Erst allmählich erholt man sich von diesem Erstaunen, wenn man von dem berühm¬
ten Mann mit herzgewinnender Freundlichkeit auf ein alterthümliches Sopha ge¬
nöthigt wird, in dessen ausschließlichem Besitz in früheren Jahren ein Kater und


Jahr mit Lehrs gemeinschaftlich) an seinen Schülern die Haupteigenschaften künftiger
Philologen zu bilden: scharfe Beobachtung und strenge Untersuchung. Gegen¬
stand des Unterrichts ist hier ausschließlich die Sprache, deren Kenntniß als
unentbehrliches Fundament aller Alterthumsstndien nie eifrig genug erstrebt
werden kauu. Der Unterricht besteht von Seiten des Lehrers in Vortragen über
Sprachbildung und Sprachbau, die Schüler interpretiren unter seiner Leitung
alte Klassiker und behandeln schriftlich Aufgaben, denen Anfänger gewachsen sind.
Dieser vou Lobeck im Ganzen seit Jahren befolgte Unterrichtsplan entspricht voll¬
kommen der Absicht, angehenden Philologen eine zugleich umfassende und gründ¬
liche Kenntniß der Anfangsgründe zu geben, und die Methode wissenschaftlicher
Untersuchung für immer zu befestigen. Auch hat es auf deutschen Universitäten
immer für eine gute Empfehlung gegolten, sich einen Schüler von Lobeck nennen
zu dürfen, und wenn die Lehrer der Ost- und Westpreußischcn Gymnasien, die
größtentheils ans Lobeck's Schule stammen, von denen anderer Provinzen freilich
in wissenschaftlicher Thätigkeit übertroffen werden, so dürften sie ihnen häufig
durch Gründlichkeit und systematische Fundamentalbildung voranstehn, ein Vorzug,
den sie ausschließlich Lobeck's Unterricht verdanken.

Wenn es nach allem bisher Gesagten einleuchtet, daß Wenige im Staude
sind, Lobeck's wissenschaftliche Bedeutung zu würdigen, so übt dagegen seine Per¬
sönlichkeit ihre unwiderstehliche Wirkung aus Jeden, der sich ihm nähern darf.
Denn die reinste Humanität, die „nichts Menschliches von sich fremd achtet",
verbindet sich der gewaltigen wissenschaftlichen Größe, um sie nur wohlthuend, ja
erhebend wirken zu lassen. Nie besaß ein Gelehrter nachsichtigere Theilnahme für
jedes wissenschaftliche Streben selbst des Anfängers, neidlosere Anerkennung fremden
Verdienstes, und in dem Verhältniß zu Voß und Hermann hat er gezeigt, daß
er der wahre große Mann ist, „der eigenes Lob nicht hören kann: er sucht be¬
scheiden auszuweichen, und thut, als gäb' es seines Gleichen." Die Freiheit der
Wissenschaft hat er überall, wo es galt, vertreten, und sich nie durch Rücksichten
abhalten lassen, die so manchen Gelehrten zum Verräther an der eigenen Sache
gemacht haben. Der Geist, der neben der Wissenschaft keine anderen Götter
kennt, wird von kleinen Leidenschaften und Interessen nicht bewegt. Wie ganz
Lobeck jeden äußern Schein verschmäht, zeigt schon die prunklose Einfachheit seiner
Lebensweise. Fremde Gelehrte, die nach Königsberg kommen und das kleine
Haus an der Bibliothek aufsuchen, Pflegen nicht wenig verwundert zu sein, wenn
man sie aus das Verlangen, dem Herrn Geheimrath gemeldet zu werde«, ohne
Weiteres in ein Zimmer weist, das, von blauen Rauchwolken durchzogen, vom
Boden bis zur Decke fast Nichts enthält als Büchermassen über und durch einander.
Erst allmählich erholt man sich von diesem Erstaunen, wenn man von dem berühm¬
ten Mann mit herzgewinnender Freundlichkeit auf ein alterthümliches Sopha ge¬
nöthigt wird, in dessen ausschließlichem Besitz in früheren Jahren ein Kater und


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[0302] Jahr mit Lehrs gemeinschaftlich) an seinen Schülern die Haupteigenschaften künftiger Philologen zu bilden: scharfe Beobachtung und strenge Untersuchung. Gegen¬ stand des Unterrichts ist hier ausschließlich die Sprache, deren Kenntniß als unentbehrliches Fundament aller Alterthumsstndien nie eifrig genug erstrebt werden kauu. Der Unterricht besteht von Seiten des Lehrers in Vortragen über Sprachbildung und Sprachbau, die Schüler interpretiren unter seiner Leitung alte Klassiker und behandeln schriftlich Aufgaben, denen Anfänger gewachsen sind. Dieser vou Lobeck im Ganzen seit Jahren befolgte Unterrichtsplan entspricht voll¬ kommen der Absicht, angehenden Philologen eine zugleich umfassende und gründ¬ liche Kenntniß der Anfangsgründe zu geben, und die Methode wissenschaftlicher Untersuchung für immer zu befestigen. Auch hat es auf deutschen Universitäten immer für eine gute Empfehlung gegolten, sich einen Schüler von Lobeck nennen zu dürfen, und wenn die Lehrer der Ost- und Westpreußischcn Gymnasien, die größtentheils ans Lobeck's Schule stammen, von denen anderer Provinzen freilich in wissenschaftlicher Thätigkeit übertroffen werden, so dürften sie ihnen häufig durch Gründlichkeit und systematische Fundamentalbildung voranstehn, ein Vorzug, den sie ausschließlich Lobeck's Unterricht verdanken. Wenn es nach allem bisher Gesagten einleuchtet, daß Wenige im Staude sind, Lobeck's wissenschaftliche Bedeutung zu würdigen, so übt dagegen seine Per¬ sönlichkeit ihre unwiderstehliche Wirkung aus Jeden, der sich ihm nähern darf. Denn die reinste Humanität, die „nichts Menschliches von sich fremd achtet", verbindet sich der gewaltigen wissenschaftlichen Größe, um sie nur wohlthuend, ja erhebend wirken zu lassen. Nie besaß ein Gelehrter nachsichtigere Theilnahme für jedes wissenschaftliche Streben selbst des Anfängers, neidlosere Anerkennung fremden Verdienstes, und in dem Verhältniß zu Voß und Hermann hat er gezeigt, daß er der wahre große Mann ist, „der eigenes Lob nicht hören kann: er sucht be¬ scheiden auszuweichen, und thut, als gäb' es seines Gleichen." Die Freiheit der Wissenschaft hat er überall, wo es galt, vertreten, und sich nie durch Rücksichten abhalten lassen, die so manchen Gelehrten zum Verräther an der eigenen Sache gemacht haben. Der Geist, der neben der Wissenschaft keine anderen Götter kennt, wird von kleinen Leidenschaften und Interessen nicht bewegt. Wie ganz Lobeck jeden äußern Schein verschmäht, zeigt schon die prunklose Einfachheit seiner Lebensweise. Fremde Gelehrte, die nach Königsberg kommen und das kleine Haus an der Bibliothek aufsuchen, Pflegen nicht wenig verwundert zu sein, wenn man sie aus das Verlangen, dem Herrn Geheimrath gemeldet zu werde«, ohne Weiteres in ein Zimmer weist, das, von blauen Rauchwolken durchzogen, vom Boden bis zur Decke fast Nichts enthält als Büchermassen über und durch einander. Erst allmählich erholt man sich von diesem Erstaunen, wenn man von dem berühm¬ ten Mann mit herzgewinnender Freundlichkeit auf ein alterthümliches Sopha ge¬ nöthigt wird, in dessen ausschließlichem Besitz in früheren Jahren ein Kater und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/302>, abgerufen am 24.07.2024.