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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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heit nachweisen konnten, hatten zu den Mysterien ihre Zuflucht genommen; in
diesen heiligen Couventikeln sei von dem erleuchteten Priesterstande die reine Lehre
den Eingeweihten mitgetheilt worden -- aber natürlich unter dem Siegel der Ver¬
schwiegenheit. Die Erforschung der Mysterien hat daher Lobeck dem Aglaopha-
mus zu Grunde gelegt; die drei Bücher sind nach den berühmtesten, den Eleu¬
sinischen, Orphischen und Samothrakischen benannt/ Das Resultat ist, daß der
Cultus auch hier wie bei deu Griechen überall ein rein ceremonieller war, und
daß die Entzückungen der Eingeweihten durch ganz äußerliche auf die Sinne.
berechnete Mittel, keineswegs durch höhere Belehrungen bewirkt wurden. Und
so wird im Aglaophamus die Mystik überall hin verfolgt, aus allen ihren Schlupf-
winkeln herausgetrieben, Zoll für Zoll ihr der Boden entrissen, auf dem sie fußen
zu können meinte, und diese schnell zu schwindelnder Höhe erwachsenen Gebäude
stürzen in wüste Trümmer. Der Hauptinhalt des Buches ist also ein negativer,
wenn auch gelegentlich und im Vorbeigehn ans dem langen Wege unzählige
Fragen beantwortet, Verworrenes entwirrt, Räthsel gelöst werden, so daß dieser
überall ausgestreute Reichthum genügte, um eine gute Anzahl von Büchern mit
positivem Inhalt auszustatten. Die Waffe des Witzes handhabt Lobeck nicht
runder leicht und sicher; unter Anderen hat er die Symboliker, die anch in den
Formen der griechischen Opferkuchen tiefe Bedeutungen entdeckten, unübertrefflich
in der "heiligen Kuchcnlehre" parodirt. Die Missionaire aus Indien hätten die
Griechen, die sie als uncivilisirte rohfressende Barbaren vorfanden, zunächst von
ihren thierischen Mahlzeiten zu einer gebildeten Kost zu führen gesucht, und sie
deshalb systematisch in der Kochkunst unterrichten zu müssen geglaubt. Damit
nnn dieser Unterricht in den rohen Gemüthern leichter Wurzel schlüge, hätten sie
angeordnet, daß reine und erlaubte Speisen und deren Bereiter heilig gehalten
und angebetet werden sollten, und überall Küchen und Herde eingerichtet; die
ganze griechische Religion ist also nur ein symboliflrtes System der Kochkunst,
die Götternamen bedeuten entweder Köche oder Gerichte oder Küchengeräthe;
zur Erhaltung und Verbreitung der l)obern Gastronomie waren die Mysterien
bestimmt. Dieser Scherz ist mit ernsthafter Miene ausgeführt, und mit scharf¬
sinnigen Combinationen und Citaten ausgestattet, die mindestens eben so beweisend
und bei weitem gelehrter siud, als die Symboliker sie sür ihre Hauptsätze aus¬
zubringen vermochten.

Mehr als zwanzig Jahre sind seit dem Erscheinen des Aglaophamus ver¬
flossen, und welchen Einfluß hat er auf die wissenschaftliche Behandlung der
griechischen Religion und Theologie geübt? Hat er die symbolische Erklärung ver¬
nichtet, hat er überall hin die Ueberzeugung verbreitet, daß die griechische Religion
weder in Acgypten, noch in Indien entsprungen ist, sondern in Griechenland selbst,
hat man allgemein eingesehen, daß in den Mysterien keine monotheistischen Pre¬
digten gehalten wurden? Nichts weniger. Die Anhänger der Urreligion des


heit nachweisen konnten, hatten zu den Mysterien ihre Zuflucht genommen; in
diesen heiligen Couventikeln sei von dem erleuchteten Priesterstande die reine Lehre
den Eingeweihten mitgetheilt worden — aber natürlich unter dem Siegel der Ver¬
schwiegenheit. Die Erforschung der Mysterien hat daher Lobeck dem Aglaopha-
mus zu Grunde gelegt; die drei Bücher sind nach den berühmtesten, den Eleu¬
sinischen, Orphischen und Samothrakischen benannt/ Das Resultat ist, daß der
Cultus auch hier wie bei deu Griechen überall ein rein ceremonieller war, und
daß die Entzückungen der Eingeweihten durch ganz äußerliche auf die Sinne.
berechnete Mittel, keineswegs durch höhere Belehrungen bewirkt wurden. Und
so wird im Aglaophamus die Mystik überall hin verfolgt, aus allen ihren Schlupf-
winkeln herausgetrieben, Zoll für Zoll ihr der Boden entrissen, auf dem sie fußen
zu können meinte, und diese schnell zu schwindelnder Höhe erwachsenen Gebäude
stürzen in wüste Trümmer. Der Hauptinhalt des Buches ist also ein negativer,
wenn auch gelegentlich und im Vorbeigehn ans dem langen Wege unzählige
Fragen beantwortet, Verworrenes entwirrt, Räthsel gelöst werden, so daß dieser
überall ausgestreute Reichthum genügte, um eine gute Anzahl von Büchern mit
positivem Inhalt auszustatten. Die Waffe des Witzes handhabt Lobeck nicht
runder leicht und sicher; unter Anderen hat er die Symboliker, die anch in den
Formen der griechischen Opferkuchen tiefe Bedeutungen entdeckten, unübertrefflich
in der „heiligen Kuchcnlehre" parodirt. Die Missionaire aus Indien hätten die
Griechen, die sie als uncivilisirte rohfressende Barbaren vorfanden, zunächst von
ihren thierischen Mahlzeiten zu einer gebildeten Kost zu führen gesucht, und sie
deshalb systematisch in der Kochkunst unterrichten zu müssen geglaubt. Damit
nnn dieser Unterricht in den rohen Gemüthern leichter Wurzel schlüge, hätten sie
angeordnet, daß reine und erlaubte Speisen und deren Bereiter heilig gehalten
und angebetet werden sollten, und überall Küchen und Herde eingerichtet; die
ganze griechische Religion ist also nur ein symboliflrtes System der Kochkunst,
die Götternamen bedeuten entweder Köche oder Gerichte oder Küchengeräthe;
zur Erhaltung und Verbreitung der l)obern Gastronomie waren die Mysterien
bestimmt. Dieser Scherz ist mit ernsthafter Miene ausgeführt, und mit scharf¬
sinnigen Combinationen und Citaten ausgestattet, die mindestens eben so beweisend
und bei weitem gelehrter siud, als die Symboliker sie sür ihre Hauptsätze aus¬
zubringen vermochten.

Mehr als zwanzig Jahre sind seit dem Erscheinen des Aglaophamus ver¬
flossen, und welchen Einfluß hat er auf die wissenschaftliche Behandlung der
griechischen Religion und Theologie geübt? Hat er die symbolische Erklärung ver¬
nichtet, hat er überall hin die Ueberzeugung verbreitet, daß die griechische Religion
weder in Acgypten, noch in Indien entsprungen ist, sondern in Griechenland selbst,
hat man allgemein eingesehen, daß in den Mysterien keine monotheistischen Pre¬
digten gehalten wurden? Nichts weniger. Die Anhänger der Urreligion des


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[0298] heit nachweisen konnten, hatten zu den Mysterien ihre Zuflucht genommen; in diesen heiligen Couventikeln sei von dem erleuchteten Priesterstande die reine Lehre den Eingeweihten mitgetheilt worden — aber natürlich unter dem Siegel der Ver¬ schwiegenheit. Die Erforschung der Mysterien hat daher Lobeck dem Aglaopha- mus zu Grunde gelegt; die drei Bücher sind nach den berühmtesten, den Eleu¬ sinischen, Orphischen und Samothrakischen benannt/ Das Resultat ist, daß der Cultus auch hier wie bei deu Griechen überall ein rein ceremonieller war, und daß die Entzückungen der Eingeweihten durch ganz äußerliche auf die Sinne. berechnete Mittel, keineswegs durch höhere Belehrungen bewirkt wurden. Und so wird im Aglaophamus die Mystik überall hin verfolgt, aus allen ihren Schlupf- winkeln herausgetrieben, Zoll für Zoll ihr der Boden entrissen, auf dem sie fußen zu können meinte, und diese schnell zu schwindelnder Höhe erwachsenen Gebäude stürzen in wüste Trümmer. Der Hauptinhalt des Buches ist also ein negativer, wenn auch gelegentlich und im Vorbeigehn ans dem langen Wege unzählige Fragen beantwortet, Verworrenes entwirrt, Räthsel gelöst werden, so daß dieser überall ausgestreute Reichthum genügte, um eine gute Anzahl von Büchern mit positivem Inhalt auszustatten. Die Waffe des Witzes handhabt Lobeck nicht runder leicht und sicher; unter Anderen hat er die Symboliker, die anch in den Formen der griechischen Opferkuchen tiefe Bedeutungen entdeckten, unübertrefflich in der „heiligen Kuchcnlehre" parodirt. Die Missionaire aus Indien hätten die Griechen, die sie als uncivilisirte rohfressende Barbaren vorfanden, zunächst von ihren thierischen Mahlzeiten zu einer gebildeten Kost zu führen gesucht, und sie deshalb systematisch in der Kochkunst unterrichten zu müssen geglaubt. Damit nnn dieser Unterricht in den rohen Gemüthern leichter Wurzel schlüge, hätten sie angeordnet, daß reine und erlaubte Speisen und deren Bereiter heilig gehalten und angebetet werden sollten, und überall Küchen und Herde eingerichtet; die ganze griechische Religion ist also nur ein symboliflrtes System der Kochkunst, die Götternamen bedeuten entweder Köche oder Gerichte oder Küchengeräthe; zur Erhaltung und Verbreitung der l)obern Gastronomie waren die Mysterien bestimmt. Dieser Scherz ist mit ernsthafter Miene ausgeführt, und mit scharf¬ sinnigen Combinationen und Citaten ausgestattet, die mindestens eben so beweisend und bei weitem gelehrter siud, als die Symboliker sie sür ihre Hauptsätze aus¬ zubringen vermochten. Mehr als zwanzig Jahre sind seit dem Erscheinen des Aglaophamus ver¬ flossen, und welchen Einfluß hat er auf die wissenschaftliche Behandlung der griechischen Religion und Theologie geübt? Hat er die symbolische Erklärung ver¬ nichtet, hat er überall hin die Ueberzeugung verbreitet, daß die griechische Religion weder in Acgypten, noch in Indien entsprungen ist, sondern in Griechenland selbst, hat man allgemein eingesehen, daß in den Mysterien keine monotheistischen Pre¬ digten gehalten wurden? Nichts weniger. Die Anhänger der Urreligion des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/298>, abgerufen am 24.07.2024.