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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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das Bewußtsein eigener Ueberlegenheit vermochten ihn, sie aus der stillen Werkstatt
zu entlassen, bis sie dem eignen unerbittlich prüfenden Blick vollendet erschienen.
In einer seiner spätern Vorreden hat er scherzend gesagt, daß ihm Alle, die vor
ihrem Tode Bücher herausgaben, zu sehr zu eilen schienen. Darum, trotz einer
riesigen Arbeitskraft, trotz einer Concentration auf den Gegenstand der Forschung,
die ihres Gleichen schwerlich finden dürfte, schienen sich Lobeck's Productionen
langsamer zu vollenden; sie schienen es in der That nur gegenüber der heutigen
Vielgeschäftigkeit, die ihre Waaren nicht schnell genug ans den Markt bringen
zu können vermeint. Dagegen, wer die ganze Reihe seiner Werke überblickt und
ihren Inhalt ermißt, kann nicht genug staunen, daß das Leben eines Einzigen hin¬
gereicht hat, dies Alles zu vollenden.

Im Jahre 1814 wurde die durch Erfurdts Tod erledigte Professur der
alten Sprachen in Königsberg Lobeck übertragen, und diese Stellung hat er
trotz mehrmaliger ehrenvoller Aufforderung uicht verlassen. Während er nnn fort-
fuhr, für das gewaltige Werk, das,die Symbolik von Grund aus vernichten sollte,
das ganze Alterthum zu durchforschen, entstand als "Nebenwerk" die Ausgabe
des Phrynichus (1820). Phrynichus, im zweiten Jahrhundert der christlichen
Zeitrechnung, ist ein sogenannter Minist, d. h. einer-von den Philologen, welche
die in Jahrhunderte lauger Dienstbarkeit und Vermischung mit fremden Idiomen
entartete griechische Sprache durch strengen Anschluß an die Mnsterschriftstcllcr
der attischen Blüthezeit ihrer ursprünglichen Reinheit anzunähern strebten. Diese
Atticisten waren beiläufig gesagt ein Dom im Ange der Theologen, welche die
wörtliche Inspiration des neuen Testaments behaupteten; denn da die meisten von
ihnen getadelten Ausdrücke dort vorkamen, bildeten die frommen Männer sich ein,
jene Heiden hätten ihre Bemerkungen in der Absicht gemacht, den heiligen Geist
um den Ruf einer guten Gräcität zu bringen. Um seinen Phrynichus auf das
Umfassendste commentiren, und die Berechtigung aller/einer Ansprüche feststellen
zu können, hatte der Herausgeber "die meisten griechischen Schriftsteller sorgfäl¬
tig, und dieselben zwei, auch drei mal" gelesen. Die Ausgabe ward als ein
Werk von unerhörter Gelehrsamkeit angestaunt; in den angehängten sprachlichen
Untersuchungen waren die Anfänge zu der später im weiteren Umfange zu begrün¬
denden Lehre von der Wortbildung niedergelegt.

Endlich 1829 erschien das Werk einer zwanzigjährigen unablässigen Arbeit,
bewundernswürdig auch wenn es das eines ganzen Lebens gewesen wäre: Aglao-
Phamus oder drei Bücher über die Ursachen der mystischen Theologie der
Griechen"). Die Symbvliter, die die Spuren ihrer Lehre trotz aller Deutungen und
Verdrehungen in der griechischen Literatur nicht einmal zu ihrer eigenen Zufrieden-



*) Azlavphamuö nennt die Sage den Lehrer des Pythagoras in der Mystik; Pythagoras
aber wurde im Alterthum als der Chorag des Mysticismus angesehn.

das Bewußtsein eigener Ueberlegenheit vermochten ihn, sie aus der stillen Werkstatt
zu entlassen, bis sie dem eignen unerbittlich prüfenden Blick vollendet erschienen.
In einer seiner spätern Vorreden hat er scherzend gesagt, daß ihm Alle, die vor
ihrem Tode Bücher herausgaben, zu sehr zu eilen schienen. Darum, trotz einer
riesigen Arbeitskraft, trotz einer Concentration auf den Gegenstand der Forschung,
die ihres Gleichen schwerlich finden dürfte, schienen sich Lobeck's Productionen
langsamer zu vollenden; sie schienen es in der That nur gegenüber der heutigen
Vielgeschäftigkeit, die ihre Waaren nicht schnell genug ans den Markt bringen
zu können vermeint. Dagegen, wer die ganze Reihe seiner Werke überblickt und
ihren Inhalt ermißt, kann nicht genug staunen, daß das Leben eines Einzigen hin¬
gereicht hat, dies Alles zu vollenden.

Im Jahre 1814 wurde die durch Erfurdts Tod erledigte Professur der
alten Sprachen in Königsberg Lobeck übertragen, und diese Stellung hat er
trotz mehrmaliger ehrenvoller Aufforderung uicht verlassen. Während er nnn fort-
fuhr, für das gewaltige Werk, das,die Symbolik von Grund aus vernichten sollte,
das ganze Alterthum zu durchforschen, entstand als „Nebenwerk" die Ausgabe
des Phrynichus (1820). Phrynichus, im zweiten Jahrhundert der christlichen
Zeitrechnung, ist ein sogenannter Minist, d. h. einer-von den Philologen, welche
die in Jahrhunderte lauger Dienstbarkeit und Vermischung mit fremden Idiomen
entartete griechische Sprache durch strengen Anschluß an die Mnsterschriftstcllcr
der attischen Blüthezeit ihrer ursprünglichen Reinheit anzunähern strebten. Diese
Atticisten waren beiläufig gesagt ein Dom im Ange der Theologen, welche die
wörtliche Inspiration des neuen Testaments behaupteten; denn da die meisten von
ihnen getadelten Ausdrücke dort vorkamen, bildeten die frommen Männer sich ein,
jene Heiden hätten ihre Bemerkungen in der Absicht gemacht, den heiligen Geist
um den Ruf einer guten Gräcität zu bringen. Um seinen Phrynichus auf das
Umfassendste commentiren, und die Berechtigung aller/einer Ansprüche feststellen
zu können, hatte der Herausgeber „die meisten griechischen Schriftsteller sorgfäl¬
tig, und dieselben zwei, auch drei mal" gelesen. Die Ausgabe ward als ein
Werk von unerhörter Gelehrsamkeit angestaunt; in den angehängten sprachlichen
Untersuchungen waren die Anfänge zu der später im weiteren Umfange zu begrün¬
denden Lehre von der Wortbildung niedergelegt.

Endlich 1829 erschien das Werk einer zwanzigjährigen unablässigen Arbeit,
bewundernswürdig auch wenn es das eines ganzen Lebens gewesen wäre: Aglao-
Phamus oder drei Bücher über die Ursachen der mystischen Theologie der
Griechen"). Die Symbvliter, die die Spuren ihrer Lehre trotz aller Deutungen und
Verdrehungen in der griechischen Literatur nicht einmal zu ihrer eigenen Zufrieden-



*) Azlavphamuö nennt die Sage den Lehrer des Pythagoras in der Mystik; Pythagoras
aber wurde im Alterthum als der Chorag des Mysticismus angesehn.
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[0297] das Bewußtsein eigener Ueberlegenheit vermochten ihn, sie aus der stillen Werkstatt zu entlassen, bis sie dem eignen unerbittlich prüfenden Blick vollendet erschienen. In einer seiner spätern Vorreden hat er scherzend gesagt, daß ihm Alle, die vor ihrem Tode Bücher herausgaben, zu sehr zu eilen schienen. Darum, trotz einer riesigen Arbeitskraft, trotz einer Concentration auf den Gegenstand der Forschung, die ihres Gleichen schwerlich finden dürfte, schienen sich Lobeck's Productionen langsamer zu vollenden; sie schienen es in der That nur gegenüber der heutigen Vielgeschäftigkeit, die ihre Waaren nicht schnell genug ans den Markt bringen zu können vermeint. Dagegen, wer die ganze Reihe seiner Werke überblickt und ihren Inhalt ermißt, kann nicht genug staunen, daß das Leben eines Einzigen hin¬ gereicht hat, dies Alles zu vollenden. Im Jahre 1814 wurde die durch Erfurdts Tod erledigte Professur der alten Sprachen in Königsberg Lobeck übertragen, und diese Stellung hat er trotz mehrmaliger ehrenvoller Aufforderung uicht verlassen. Während er nnn fort- fuhr, für das gewaltige Werk, das,die Symbolik von Grund aus vernichten sollte, das ganze Alterthum zu durchforschen, entstand als „Nebenwerk" die Ausgabe des Phrynichus (1820). Phrynichus, im zweiten Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung, ist ein sogenannter Minist, d. h. einer-von den Philologen, welche die in Jahrhunderte lauger Dienstbarkeit und Vermischung mit fremden Idiomen entartete griechische Sprache durch strengen Anschluß an die Mnsterschriftstcllcr der attischen Blüthezeit ihrer ursprünglichen Reinheit anzunähern strebten. Diese Atticisten waren beiläufig gesagt ein Dom im Ange der Theologen, welche die wörtliche Inspiration des neuen Testaments behaupteten; denn da die meisten von ihnen getadelten Ausdrücke dort vorkamen, bildeten die frommen Männer sich ein, jene Heiden hätten ihre Bemerkungen in der Absicht gemacht, den heiligen Geist um den Ruf einer guten Gräcität zu bringen. Um seinen Phrynichus auf das Umfassendste commentiren, und die Berechtigung aller/einer Ansprüche feststellen zu können, hatte der Herausgeber „die meisten griechischen Schriftsteller sorgfäl¬ tig, und dieselben zwei, auch drei mal" gelesen. Die Ausgabe ward als ein Werk von unerhörter Gelehrsamkeit angestaunt; in den angehängten sprachlichen Untersuchungen waren die Anfänge zu der später im weiteren Umfange zu begrün¬ denden Lehre von der Wortbildung niedergelegt. Endlich 1829 erschien das Werk einer zwanzigjährigen unablässigen Arbeit, bewundernswürdig auch wenn es das eines ganzen Lebens gewesen wäre: Aglao- Phamus oder drei Bücher über die Ursachen der mystischen Theologie der Griechen"). Die Symbvliter, die die Spuren ihrer Lehre trotz aller Deutungen und Verdrehungen in der griechischen Literatur nicht einmal zu ihrer eigenen Zufrieden- *) Azlavphamuö nennt die Sage den Lehrer des Pythagoras in der Mystik; Pythagoras aber wurde im Alterthum als der Chorag des Mysticismus angesehn.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/297>, abgerufen am 24.07.2024.