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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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ist darauf zu sehen, .daß das Messingchor mit guten Kräften besetzt ist, daß be¬
sonders ein guter erster Hornist, dessen Höhe leicht anspricht, zu Gebote steht.
Unter den jüngsten Kompositionen Schumann's steht diese Symphonie oben an,
weil sich in ihr die ihm früher eigene Kraft und Natürlichkeit wiederfindet. Sie ist
ein Bild mit Licht und Schatten, mit lebendigen und ausdrucksvollen Gruppen, nicht
mehr, wie die Gesaugswerke, die Zeichnung einer fetten, niedrigen Marschgegend,
die zwar von Ueberfluß schwellt, aber durch ihre Monotonie den Reisenden lästig wird.

Außerdem lernten wir zwei neue Ouvertüren kennen: zu Schillers Braut
von Messina und zu Byron's Manfred. Seit Beethoven ist es üblich ge¬
worden, zu Trauerspielen einleitende Musikwerke zu schreiben. Die wenigsten
Kompositionen dieser Art gelingen, und es bleibt für einen mit der Ueberschrift
unbekannten Zuhörer eine Räthselausgabe, aus einer solchen Komposition ein
Dichterwerk zu erkennen. Den wirklichen Jdeengang eines Drama's vermag
die Musik nicht wiederzugeben; sie kann dazu dienen, die Empfindungen
der Angst, des Schmerzes, der Trauer in uns zu erwecken, sie vermag
nur die Totalität der Stimmungen zu schildern, welche wir beim Lesen
oder Anschauen des Trauerspiels mit nach Hause tragen. -- Die Ouvertüre
zu Manfred ist die bedeutendere und inhaltschwerere, anch ist der sinnliche Ein¬
druck wohlthuender, als bei der Ouvertüre zur Braut von Messina. Letztere
erinnert in ihrer Form und Haltung, nicht minder in ihrem Ausdrucke, an die
Ouvertüre zur Genovefa, doch ist sie nicht so schwunghaft gearbeitet, es mangelt
ihr der hier freilich unmögliche, versöhnende Schluß, Den Komponisten erfüllten
zu sehr beim Schaffen die Gestalten der feindlichen Brüder, darüber hat er die
Schilderung der contrastirenden weichen Frauengemüther verabsäumt, oder doch ist
der Versuch dazu nicht vollständig gelungen/ Die Andeutung der Absicht liegt
in dem zweiten Motiv, in einer Anfangs der Klarinette, später mit dieser dem
Fagott zuertheilten Cantilene, deren Schluß dann von den Violinen aufgenommen
wird. Die vorausgehenden Motive sind zwar hart, aber rhythmisch gut gegliedert,
und dem Zuhörer verständlich; jenes zweite Hauptmotiv aber besteht aus Melodie¬
phrasen, die bis zur Unverständlichkeit weit ausgesponnen sind, die man nicht
begreisen kann, weil sie keine rhythmischen Einschnitte haben, sondern ohne Ende
und Ziel vag hin und her schweifen. Die Ouverture zu Manfred hat gelungenere
Gegensätze auszuweisen, darum erfaßt sie besser beim Hören, es wird leichter, sie
zu verfolgen, weil sie Zeit genug zum ruhigen Anschauen darbietet, und die Ge¬
hörsnerven zu so angestrengter Thätigkeit nicht antreibt, Sie ist in ihrer Anlage
größer und weiter, als die übrigen Ouvertüren Schumann's; sie ist ebenfalls in
ihren Motiven bedeutender, und die Summe ihres musikalischen Inhalts überragt
die übrigen. Die leichte Erfindung der Motive und eine gewisse natürliche Hand¬
habung derselben thut wohl, und dieser günstige Eindruck wird durch die gute
und angenehm klingende Jnstrumentation noch erhöht.


ist darauf zu sehen, .daß das Messingchor mit guten Kräften besetzt ist, daß be¬
sonders ein guter erster Hornist, dessen Höhe leicht anspricht, zu Gebote steht.
Unter den jüngsten Kompositionen Schumann's steht diese Symphonie oben an,
weil sich in ihr die ihm früher eigene Kraft und Natürlichkeit wiederfindet. Sie ist
ein Bild mit Licht und Schatten, mit lebendigen und ausdrucksvollen Gruppen, nicht
mehr, wie die Gesaugswerke, die Zeichnung einer fetten, niedrigen Marschgegend,
die zwar von Ueberfluß schwellt, aber durch ihre Monotonie den Reisenden lästig wird.

Außerdem lernten wir zwei neue Ouvertüren kennen: zu Schillers Braut
von Messina und zu Byron's Manfred. Seit Beethoven ist es üblich ge¬
worden, zu Trauerspielen einleitende Musikwerke zu schreiben. Die wenigsten
Kompositionen dieser Art gelingen, und es bleibt für einen mit der Ueberschrift
unbekannten Zuhörer eine Räthselausgabe, aus einer solchen Komposition ein
Dichterwerk zu erkennen. Den wirklichen Jdeengang eines Drama's vermag
die Musik nicht wiederzugeben; sie kann dazu dienen, die Empfindungen
der Angst, des Schmerzes, der Trauer in uns zu erwecken, sie vermag
nur die Totalität der Stimmungen zu schildern, welche wir beim Lesen
oder Anschauen des Trauerspiels mit nach Hause tragen. — Die Ouvertüre
zu Manfred ist die bedeutendere und inhaltschwerere, anch ist der sinnliche Ein¬
druck wohlthuender, als bei der Ouvertüre zur Braut von Messina. Letztere
erinnert in ihrer Form und Haltung, nicht minder in ihrem Ausdrucke, an die
Ouvertüre zur Genovefa, doch ist sie nicht so schwunghaft gearbeitet, es mangelt
ihr der hier freilich unmögliche, versöhnende Schluß, Den Komponisten erfüllten
zu sehr beim Schaffen die Gestalten der feindlichen Brüder, darüber hat er die
Schilderung der contrastirenden weichen Frauengemüther verabsäumt, oder doch ist
der Versuch dazu nicht vollständig gelungen/ Die Andeutung der Absicht liegt
in dem zweiten Motiv, in einer Anfangs der Klarinette, später mit dieser dem
Fagott zuertheilten Cantilene, deren Schluß dann von den Violinen aufgenommen
wird. Die vorausgehenden Motive sind zwar hart, aber rhythmisch gut gegliedert,
und dem Zuhörer verständlich; jenes zweite Hauptmotiv aber besteht aus Melodie¬
phrasen, die bis zur Unverständlichkeit weit ausgesponnen sind, die man nicht
begreisen kann, weil sie keine rhythmischen Einschnitte haben, sondern ohne Ende
und Ziel vag hin und her schweifen. Die Ouverture zu Manfred hat gelungenere
Gegensätze auszuweisen, darum erfaßt sie besser beim Hören, es wird leichter, sie
zu verfolgen, weil sie Zeit genug zum ruhigen Anschauen darbietet, und die Ge¬
hörsnerven zu so angestrengter Thätigkeit nicht antreibt, Sie ist in ihrer Anlage
größer und weiter, als die übrigen Ouvertüren Schumann's; sie ist ebenfalls in
ihren Motiven bedeutender, und die Summe ihres musikalischen Inhalts überragt
die übrigen. Die leichte Erfindung der Motive und eine gewisse natürliche Hand¬
habung derselben thut wohl, und dieser günstige Eindruck wird durch die gute
und angenehm klingende Jnstrumentation noch erhöht.


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[0271] ist darauf zu sehen, .daß das Messingchor mit guten Kräften besetzt ist, daß be¬ sonders ein guter erster Hornist, dessen Höhe leicht anspricht, zu Gebote steht. Unter den jüngsten Kompositionen Schumann's steht diese Symphonie oben an, weil sich in ihr die ihm früher eigene Kraft und Natürlichkeit wiederfindet. Sie ist ein Bild mit Licht und Schatten, mit lebendigen und ausdrucksvollen Gruppen, nicht mehr, wie die Gesaugswerke, die Zeichnung einer fetten, niedrigen Marschgegend, die zwar von Ueberfluß schwellt, aber durch ihre Monotonie den Reisenden lästig wird. Außerdem lernten wir zwei neue Ouvertüren kennen: zu Schillers Braut von Messina und zu Byron's Manfred. Seit Beethoven ist es üblich ge¬ worden, zu Trauerspielen einleitende Musikwerke zu schreiben. Die wenigsten Kompositionen dieser Art gelingen, und es bleibt für einen mit der Ueberschrift unbekannten Zuhörer eine Räthselausgabe, aus einer solchen Komposition ein Dichterwerk zu erkennen. Den wirklichen Jdeengang eines Drama's vermag die Musik nicht wiederzugeben; sie kann dazu dienen, die Empfindungen der Angst, des Schmerzes, der Trauer in uns zu erwecken, sie vermag nur die Totalität der Stimmungen zu schildern, welche wir beim Lesen oder Anschauen des Trauerspiels mit nach Hause tragen. — Die Ouvertüre zu Manfred ist die bedeutendere und inhaltschwerere, anch ist der sinnliche Ein¬ druck wohlthuender, als bei der Ouvertüre zur Braut von Messina. Letztere erinnert in ihrer Form und Haltung, nicht minder in ihrem Ausdrucke, an die Ouvertüre zur Genovefa, doch ist sie nicht so schwunghaft gearbeitet, es mangelt ihr der hier freilich unmögliche, versöhnende Schluß, Den Komponisten erfüllten zu sehr beim Schaffen die Gestalten der feindlichen Brüder, darüber hat er die Schilderung der contrastirenden weichen Frauengemüther verabsäumt, oder doch ist der Versuch dazu nicht vollständig gelungen/ Die Andeutung der Absicht liegt in dem zweiten Motiv, in einer Anfangs der Klarinette, später mit dieser dem Fagott zuertheilten Cantilene, deren Schluß dann von den Violinen aufgenommen wird. Die vorausgehenden Motive sind zwar hart, aber rhythmisch gut gegliedert, und dem Zuhörer verständlich; jenes zweite Hauptmotiv aber besteht aus Melodie¬ phrasen, die bis zur Unverständlichkeit weit ausgesponnen sind, die man nicht begreisen kann, weil sie keine rhythmischen Einschnitte haben, sondern ohne Ende und Ziel vag hin und her schweifen. Die Ouverture zu Manfred hat gelungenere Gegensätze auszuweisen, darum erfaßt sie besser beim Hören, es wird leichter, sie zu verfolgen, weil sie Zeit genug zum ruhigen Anschauen darbietet, und die Ge¬ hörsnerven zu so angestrengter Thätigkeit nicht antreibt, Sie ist in ihrer Anlage größer und weiter, als die übrigen Ouvertüren Schumann's; sie ist ebenfalls in ihren Motiven bedeutender, und die Summe ihres musikalischen Inhalts überragt die übrigen. Die leichte Erfindung der Motive und eine gewisse natürliche Hand¬ habung derselben thut wohl, und dieser günstige Eindruck wird durch die gute und angenehm klingende Jnstrumentation noch erhöht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/271>, abgerufen am 24.07.2024.