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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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gebracht wird, eine immer interessantere, mehr polyphonisch gehaltene Stimmen-
führung eintritt. Auch die Unterschiede in der Klangwirkung sind sehr bedeutend:
die ersten Theile erklingen voll und ruhig, in dem Charakter eines idealisirten
Tanzes; durch die beiden folgenden zieht sich eine leise, zu spielende, spitzklingende,
lebhafte Violinfigur, die imitatorisch in allen Stimmlagen erscheint, und sich am
Schluß sehr schön mit den Motiven aus den ersten Theilen verbindet. Die
beiden Theile der dritten Abtheilung liegen auf einem Orgelpunkte, darüber schwebt
eine durch Horn und Klarinette unisono geblasene und in gleichem, aber har¬
monisch sehr interessantem Contrapunkte begleitete Melodie, der sich am passenden
Orte die lebhast springende Figur der zweiten Abtheilung in den Violinen bei¬
gesellt. In geschickten Wendungen gleitet dann der Satz wieder in das erste
Motiv hinein, und endet nach längerer Ausführung in einem ruhigen Schlüsse.
In diesen Nummern liegen die am meisten wirkenden Momente; er ist trotz
aller Feinheit der Behandlung und der Noblesse in deu Motiven doch populair
gehalten und darum zugänglich. Der dritte Satz, ^nA^mes ^8 aur, ^, ist eine
bescheidene, zarte und sparsam ausgestattete Nummer, deren Cantilene hauptsächlich
in der Clarinettenstimme liegt, von deren Ausführung deshalb das bessere oder
schlechtere Gelingen des Satzes abhängig ist. Es liegt in ihm eüie stille, sinnige
Melancholie, jede leidenschaftliche Erhebung scheint ausdrücklich vermieden. Der
i. Satz, moll, Krapf, in feierlicher Haltung L, und ^2, erklingt wie ein
ernster Grabesgesang, und die feierlichen, langgezogenen Klänge der hier zum
ersten Male in der Symphonie erscheinenden Posaunen tönen Schmerz und Trauer.
Die Färbung des Satzes ist mit vieler Konsequenz vom Anfang bis ans Ende
festgehalten, und die contrapunktische Behandlung des o-uiws ürmris und der Neben¬
figuren, die sich schon in den früheren Sätzen nachweisen, ein gutes Zeugniß
von Schumann's großer Sicherheit und Kenntniß in dem ernsten Style. Wir
vermögen nicht den Zusammenhang dieses Satzes mit den anderen aufzufinden,
denkbar ist uns uur der eine, daß der Componist geflissentlich den stärksten
Contrast zur Hebung des letzten Satzes gesucht habe. So würdig und schön
wir ihn finden, er würde uns noch mehr erheben, begegnete er uns noch im
Zusammenhange mit gleich ernsten Musikstücken. Ein Grabeshymnus und ein
Tanz sind zu harte Gegensätze, noch ungünstiger erscheint aber seine Stellung
gegenüber dem leichten und kurz pbgemachten letzten Satze (?.8 an,r, C, Leb¬
haft), der weder in seinen Motiven, noch in seiner Durchführung und räumlichen
Ausdehnung einen würdigen Schluß der vorhergegangenen Theile bildet. Jede
neue Aufführung, jedes wiederholte Durchlesen des Satzes hat diese Ueber¬
zeugung in uns gefestigt, und wenn auch der schwungvoll gehaltene Schluß die
Magerheit des Vorhergegangenen einigermaßen vergessen macht, so reichen
seine Vorzüge doch nicht dazu aus, uns genügend zu versöhnen. -- Die Schwie¬
rigkeiten der Ausführung dieser Symphonie sind leicht zu überwältigen, nur


gebracht wird, eine immer interessantere, mehr polyphonisch gehaltene Stimmen-
führung eintritt. Auch die Unterschiede in der Klangwirkung sind sehr bedeutend:
die ersten Theile erklingen voll und ruhig, in dem Charakter eines idealisirten
Tanzes; durch die beiden folgenden zieht sich eine leise, zu spielende, spitzklingende,
lebhafte Violinfigur, die imitatorisch in allen Stimmlagen erscheint, und sich am
Schluß sehr schön mit den Motiven aus den ersten Theilen verbindet. Die
beiden Theile der dritten Abtheilung liegen auf einem Orgelpunkte, darüber schwebt
eine durch Horn und Klarinette unisono geblasene und in gleichem, aber har¬
monisch sehr interessantem Contrapunkte begleitete Melodie, der sich am passenden
Orte die lebhast springende Figur der zweiten Abtheilung in den Violinen bei¬
gesellt. In geschickten Wendungen gleitet dann der Satz wieder in das erste
Motiv hinein, und endet nach längerer Ausführung in einem ruhigen Schlüsse.
In diesen Nummern liegen die am meisten wirkenden Momente; er ist trotz
aller Feinheit der Behandlung und der Noblesse in deu Motiven doch populair
gehalten und darum zugänglich. Der dritte Satz, ^nA^mes ^8 aur, ^, ist eine
bescheidene, zarte und sparsam ausgestattete Nummer, deren Cantilene hauptsächlich
in der Clarinettenstimme liegt, von deren Ausführung deshalb das bessere oder
schlechtere Gelingen des Satzes abhängig ist. Es liegt in ihm eüie stille, sinnige
Melancholie, jede leidenschaftliche Erhebung scheint ausdrücklich vermieden. Der
i. Satz, moll, Krapf, in feierlicher Haltung L, und ^2, erklingt wie ein
ernster Grabesgesang, und die feierlichen, langgezogenen Klänge der hier zum
ersten Male in der Symphonie erscheinenden Posaunen tönen Schmerz und Trauer.
Die Färbung des Satzes ist mit vieler Konsequenz vom Anfang bis ans Ende
festgehalten, und die contrapunktische Behandlung des o-uiws ürmris und der Neben¬
figuren, die sich schon in den früheren Sätzen nachweisen, ein gutes Zeugniß
von Schumann's großer Sicherheit und Kenntniß in dem ernsten Style. Wir
vermögen nicht den Zusammenhang dieses Satzes mit den anderen aufzufinden,
denkbar ist uns uur der eine, daß der Componist geflissentlich den stärksten
Contrast zur Hebung des letzten Satzes gesucht habe. So würdig und schön
wir ihn finden, er würde uns noch mehr erheben, begegnete er uns noch im
Zusammenhange mit gleich ernsten Musikstücken. Ein Grabeshymnus und ein
Tanz sind zu harte Gegensätze, noch ungünstiger erscheint aber seine Stellung
gegenüber dem leichten und kurz pbgemachten letzten Satze (?.8 an,r, C, Leb¬
haft), der weder in seinen Motiven, noch in seiner Durchführung und räumlichen
Ausdehnung einen würdigen Schluß der vorhergegangenen Theile bildet. Jede
neue Aufführung, jedes wiederholte Durchlesen des Satzes hat diese Ueber¬
zeugung in uns gefestigt, und wenn auch der schwungvoll gehaltene Schluß die
Magerheit des Vorhergegangenen einigermaßen vergessen macht, so reichen
seine Vorzüge doch nicht dazu aus, uns genügend zu versöhnen. — Die Schwie¬
rigkeiten der Ausführung dieser Symphonie sind leicht zu überwältigen, nur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/270>, abgerufen am 24.07.2024.