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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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in Leipzig aufgeführt worden, zwei Mal im Gewandhausc und ein Mal in der
Euterpe. Sie wußte das Publicum zu fesseln, und erlangte reichen, auch verdienten
Beifall. Vor allen anderen neuen Werken des Komponisten zeichnet sie sich durch
Frische und natürliche, gesunde Kraft aus; einzelne Sätze dringen sogleich mäch¬
tig in das Ohr, die anderen Anfangs weniger einleuchtenden Stellen gewinnen
bei öfteren Anhören, und befriedigen wenigstens durch die logische Anordnung und
das richtige Verhältniß, in dem sie zum Ganzen stehn. Die Klangfarbe des
Werkes ist frisch und hell, die ganz richtige ils cor-Färbung, doch wird .sie im
Schlußsätze etwas matter, was wir den weniger bedeutenden Motiven und der
nicht recht saubern Jnstrumentation zuschreiben. Am schwersten zu hören und
zu verstehen ist der erste Satz, nur eine längere und genauere Bekanntschaft kann
mit dem vielen Außergewöhnlichem und Befremdenden, das. sich in ihm findet, ver¬
söhnen. Eine ruhlose, synkopische Bewegung durchdringt ihn vom Anfang bis aus
Ende. Man giebt sich Mühe, das Rhythmische zu erfassen und über dieser
Thätigkeit entschwinden die Motive; es bleibt nur wenig Zeit, die Anordnung des
Ganzen und den kunstvollen nud wohlgeordneten Bau zu beobachten. Ferner
wird das Hören erschwert durch das fast immer in gleichmäßiger Stärke ertönende
Orchester, dnrch die unausgesetzte Anwendung des Mesfiugchores, obwol der Ge¬
brauch der Posaunen unterlassen ist, und nnr vier Hörner und zwei Trompeten
gebraucht werden. Da Schumann aber stets ein Paar Ventilhörner und Ventil¬
trompeten anwendet, so giebt ihm dies kein Hinderniß, dieselben auch an Stellen
anzuwenden, welche der Natur der früher angewendeten Instrumente entgegen¬
standen. Die bei unsren älteren Meistern durch die Nothwendigkeit gebotene
Sparsamkeit erscheint unsrem Ohre stets wohlthuender, und das Ausschreiten aus
dieser Art und Weise sollte stets mit großer Vorsicht geschehe". Mendelssohn
hat sich der neuen Erfindungen enthalten, und dennoch die mannichfachsten Klang¬
wirkungen erzielt, weil er so trefflich verstand, für Orchester zu denken. In der
musikalischen Ausführung ist dieser erste Satz unter allen am breitesten gehalten,
obwol sein erster Theil nur mäßigen Umfang hat. Wie schon in der zweiten
Symphonie in cour concentrirt sich alle Kunst und aller Gedankenreichthum in
der Durchführung, die fast zu lang ausgesponnen ist. Der zweite Satz Scherzo,
sehr mäßig, c)on-, 2/4 in einer ruhigen Tanzbewegung, erscheint in Form und
Haltung eines Charakterstücks für Orchester, .und ähnelt nach den Begriffen der
ältern Symphoniemusik der Menuett, mit welcher er auch die Uebereinstimmung
der Theilung in 8kalkige Clausen hat. Die ruhige, in der Tiefe dnrch Cello
und Fagott geführte Melodie, wird einfach begleitet durch ein erstes accentuirtes,
anschlagendes Viertel des Grundbasses, dem die accentlosen zwei nachschlagenden
Viertel in deu begleitenden Stimmen folgen. Je zwei Theile tragen einen überein-
stimmenden Charakter, und zwar ändert sich derselbe so, daß bis gegen das Ende
hin, wo die erste Melodie wieder beginnt und in breiterer Weise zum Schluß


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in Leipzig aufgeführt worden, zwei Mal im Gewandhausc und ein Mal in der
Euterpe. Sie wußte das Publicum zu fesseln, und erlangte reichen, auch verdienten
Beifall. Vor allen anderen neuen Werken des Komponisten zeichnet sie sich durch
Frische und natürliche, gesunde Kraft aus; einzelne Sätze dringen sogleich mäch¬
tig in das Ohr, die anderen Anfangs weniger einleuchtenden Stellen gewinnen
bei öfteren Anhören, und befriedigen wenigstens durch die logische Anordnung und
das richtige Verhältniß, in dem sie zum Ganzen stehn. Die Klangfarbe des
Werkes ist frisch und hell, die ganz richtige ils cor-Färbung, doch wird .sie im
Schlußsätze etwas matter, was wir den weniger bedeutenden Motiven und der
nicht recht saubern Jnstrumentation zuschreiben. Am schwersten zu hören und
zu verstehen ist der erste Satz, nur eine längere und genauere Bekanntschaft kann
mit dem vielen Außergewöhnlichem und Befremdenden, das. sich in ihm findet, ver¬
söhnen. Eine ruhlose, synkopische Bewegung durchdringt ihn vom Anfang bis aus
Ende. Man giebt sich Mühe, das Rhythmische zu erfassen und über dieser
Thätigkeit entschwinden die Motive; es bleibt nur wenig Zeit, die Anordnung des
Ganzen und den kunstvollen nud wohlgeordneten Bau zu beobachten. Ferner
wird das Hören erschwert durch das fast immer in gleichmäßiger Stärke ertönende
Orchester, dnrch die unausgesetzte Anwendung des Mesfiugchores, obwol der Ge¬
brauch der Posaunen unterlassen ist, und nnr vier Hörner und zwei Trompeten
gebraucht werden. Da Schumann aber stets ein Paar Ventilhörner und Ventil¬
trompeten anwendet, so giebt ihm dies kein Hinderniß, dieselben auch an Stellen
anzuwenden, welche der Natur der früher angewendeten Instrumente entgegen¬
standen. Die bei unsren älteren Meistern durch die Nothwendigkeit gebotene
Sparsamkeit erscheint unsrem Ohre stets wohlthuender, und das Ausschreiten aus
dieser Art und Weise sollte stets mit großer Vorsicht geschehe». Mendelssohn
hat sich der neuen Erfindungen enthalten, und dennoch die mannichfachsten Klang¬
wirkungen erzielt, weil er so trefflich verstand, für Orchester zu denken. In der
musikalischen Ausführung ist dieser erste Satz unter allen am breitesten gehalten,
obwol sein erster Theil nur mäßigen Umfang hat. Wie schon in der zweiten
Symphonie in cour concentrirt sich alle Kunst und aller Gedankenreichthum in
der Durchführung, die fast zu lang ausgesponnen ist. Der zweite Satz Scherzo,
sehr mäßig, c)on-, 2/4 in einer ruhigen Tanzbewegung, erscheint in Form und
Haltung eines Charakterstücks für Orchester, .und ähnelt nach den Begriffen der
ältern Symphoniemusik der Menuett, mit welcher er auch die Uebereinstimmung
der Theilung in 8kalkige Clausen hat. Die ruhige, in der Tiefe dnrch Cello
und Fagott geführte Melodie, wird einfach begleitet durch ein erstes accentuirtes,
anschlagendes Viertel des Grundbasses, dem die accentlosen zwei nachschlagenden
Viertel in deu begleitenden Stimmen folgen. Je zwei Theile tragen einen überein-
stimmenden Charakter, und zwar ändert sich derselbe so, daß bis gegen das Ende
hin, wo die erste Melodie wieder beginnt und in breiterer Weise zum Schluß


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[0269] in Leipzig aufgeführt worden, zwei Mal im Gewandhausc und ein Mal in der Euterpe. Sie wußte das Publicum zu fesseln, und erlangte reichen, auch verdienten Beifall. Vor allen anderen neuen Werken des Komponisten zeichnet sie sich durch Frische und natürliche, gesunde Kraft aus; einzelne Sätze dringen sogleich mäch¬ tig in das Ohr, die anderen Anfangs weniger einleuchtenden Stellen gewinnen bei öfteren Anhören, und befriedigen wenigstens durch die logische Anordnung und das richtige Verhältniß, in dem sie zum Ganzen stehn. Die Klangfarbe des Werkes ist frisch und hell, die ganz richtige ils cor-Färbung, doch wird .sie im Schlußsätze etwas matter, was wir den weniger bedeutenden Motiven und der nicht recht saubern Jnstrumentation zuschreiben. Am schwersten zu hören und zu verstehen ist der erste Satz, nur eine längere und genauere Bekanntschaft kann mit dem vielen Außergewöhnlichem und Befremdenden, das. sich in ihm findet, ver¬ söhnen. Eine ruhlose, synkopische Bewegung durchdringt ihn vom Anfang bis aus Ende. Man giebt sich Mühe, das Rhythmische zu erfassen und über dieser Thätigkeit entschwinden die Motive; es bleibt nur wenig Zeit, die Anordnung des Ganzen und den kunstvollen nud wohlgeordneten Bau zu beobachten. Ferner wird das Hören erschwert durch das fast immer in gleichmäßiger Stärke ertönende Orchester, dnrch die unausgesetzte Anwendung des Mesfiugchores, obwol der Ge¬ brauch der Posaunen unterlassen ist, und nnr vier Hörner und zwei Trompeten gebraucht werden. Da Schumann aber stets ein Paar Ventilhörner und Ventil¬ trompeten anwendet, so giebt ihm dies kein Hinderniß, dieselben auch an Stellen anzuwenden, welche der Natur der früher angewendeten Instrumente entgegen¬ standen. Die bei unsren älteren Meistern durch die Nothwendigkeit gebotene Sparsamkeit erscheint unsrem Ohre stets wohlthuender, und das Ausschreiten aus dieser Art und Weise sollte stets mit großer Vorsicht geschehe». Mendelssohn hat sich der neuen Erfindungen enthalten, und dennoch die mannichfachsten Klang¬ wirkungen erzielt, weil er so trefflich verstand, für Orchester zu denken. In der musikalischen Ausführung ist dieser erste Satz unter allen am breitesten gehalten, obwol sein erster Theil nur mäßigen Umfang hat. Wie schon in der zweiten Symphonie in cour concentrirt sich alle Kunst und aller Gedankenreichthum in der Durchführung, die fast zu lang ausgesponnen ist. Der zweite Satz Scherzo, sehr mäßig, c)on-, 2/4 in einer ruhigen Tanzbewegung, erscheint in Form und Haltung eines Charakterstücks für Orchester, .und ähnelt nach den Begriffen der ältern Symphoniemusik der Menuett, mit welcher er auch die Uebereinstimmung der Theilung in 8kalkige Clausen hat. Die ruhige, in der Tiefe dnrch Cello und Fagott geführte Melodie, wird einfach begleitet durch ein erstes accentuirtes, anschlagendes Viertel des Grundbasses, dem die accentlosen zwei nachschlagenden Viertel in deu begleitenden Stimmen folgen. Je zwei Theile tragen einen überein- stimmenden Charakter, und zwar ändert sich derselbe so, daß bis gegen das Ende hin, wo die erste Melodie wieder beginnt und in breiterer Weise zum Schluß 33*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/269>, abgerufen am 24.07.2024.