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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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und man muß dem Bilde trotz aller Anerkennung, die man ihm sonst zollen mag,
vorwerfen, daß es zu gemalt sei. Die Effekthascherei macht sich vor Allem gel¬
tend, und wir sehen darüber das eigentliche Leben und die künstlerische Wahrheit
zu Grunde gehen. Das ist Alles zu neu, zu viel von Sammet und Seide, die
Lichteffecte alle nach einer Seite und in monotoner Weise aufgehäuft. Die Ge¬
stalten und Gesichter selbst zu conventionell, und nicht warm, nicht natürlich genug.
So ist der Kopf der vordersten Figur des Officiers der Schützengilde zwar nicht
ohne Ausdruck, aber Gesichtsfarbe, Haar und Beleuchtung sind unwahr. Der
Gesammteindruck ist der wahrscheinlichen Absicht des Malers gemäß ein schauer¬
licher, aber er ist kein poetischer und kein nachhaltiger. Der Schauer, der uns
überfährt, ist ein melodramatischer, die mächtigen Mittel wirken aus unsre Nerven,
"sie wirken auf unsre Einbildungskraft, aber so wie wir dem Bilde deu Rücken
gekehrt haben, ist auch Alles vorbei, mau wird nicht zu demselben zurückgezogen. --
Der Uebergang von Gallait zu Horace Vernet'ö Diorama, welches die Belagerung
von Rom vorstellen soll, ist natürlich und von selbst gegeben. Horace Vernet ist
eben so conventionell wie Gallait, und er hat darum auch einen so großen Erfolg
bei der ganzen Bourgeoisie von Frankreich, wie die conventionelle Kunst überhaupt.
Die Beschreibung dieses Bildes erlassen Sie mir, denn das ist ein unbeschreibliches
, Chaos. Horace Vernet hat in diesem, wie in den meisten seiner großen Schlacht¬
gemälde, eine Reihe von Episoden dargestellt, und Gestalten und Figuren ohne
Einheit, ohne historische Wahrheit und ohne poetische Absicht durch einander ge¬
würfelt. Bei dem besten Meisterwerke seines DmnpspinselS mag ihm auch sein
Gewissen ein wenig zu schaffen gegeben haben, und die Confusion ist mir eine
um so größere geworden., Diese Scenen, welche eine Belagerung oder die Weg¬
nahme einer Schanze vorstellen sollen, bieten ein vollkommen unverständliches
Durcheinander, das durch die dunkelgraue, deu frühen Morgen bezeichnende Farbe
nur noch vermehrt wird. Der malerische Speichellecker aller Orden und Penstonen
verleihenden Regierungen, welcher die Heldenthaten der Franzosen in Rom ver¬
herrlichen sollte, hatte wider seinen Willen nnr eine gemalte Ironie zu Staude
gebracht. Wir sehen nämlich so viele Franzvsenheldcn ans >dieser ungeheuren
Leinwand, und so wenig Italiener, daß man sich fragen muß, woher diese kampf¬
erhitzten Gesichter, wozu der wilde Ausdruck dieser wuthschuaubenden Soldaten?
Gegen wen kämpfen sie? woher kommen sie? wohin ziehen sie? wo führt der
Weg nach Rom? Das sind Fragen, die das Gemälde unbeantwortet läßt, und
wir können uus selbst nach zur Ratheziehnng der Seitenlängen Erklärung im
Kataloge noch nicht ganz aus dem Labyrinthe von Gestalten und Attitüden heraus¬
finden. Wie im Gemälde des senata bildet auch hier eine Art improvisirter Zelter
den Mittelpunkt. Ein italienischer Officier, der von seinem frugalen Mahle von
den galauren Franzosen aufgejagt wurde, hat sich aus Gnade und Ungnade erge¬
ben, während ein römisches Weib die Bayonnette zweier Fantassins auf-deu Knien


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und man muß dem Bilde trotz aller Anerkennung, die man ihm sonst zollen mag,
vorwerfen, daß es zu gemalt sei. Die Effekthascherei macht sich vor Allem gel¬
tend, und wir sehen darüber das eigentliche Leben und die künstlerische Wahrheit
zu Grunde gehen. Das ist Alles zu neu, zu viel von Sammet und Seide, die
Lichteffecte alle nach einer Seite und in monotoner Weise aufgehäuft. Die Ge¬
stalten und Gesichter selbst zu conventionell, und nicht warm, nicht natürlich genug.
So ist der Kopf der vordersten Figur des Officiers der Schützengilde zwar nicht
ohne Ausdruck, aber Gesichtsfarbe, Haar und Beleuchtung sind unwahr. Der
Gesammteindruck ist der wahrscheinlichen Absicht des Malers gemäß ein schauer¬
licher, aber er ist kein poetischer und kein nachhaltiger. Der Schauer, der uns
überfährt, ist ein melodramatischer, die mächtigen Mittel wirken aus unsre Nerven,
«sie wirken auf unsre Einbildungskraft, aber so wie wir dem Bilde deu Rücken
gekehrt haben, ist auch Alles vorbei, mau wird nicht zu demselben zurückgezogen. —
Der Uebergang von Gallait zu Horace Vernet'ö Diorama, welches die Belagerung
von Rom vorstellen soll, ist natürlich und von selbst gegeben. Horace Vernet ist
eben so conventionell wie Gallait, und er hat darum auch einen so großen Erfolg
bei der ganzen Bourgeoisie von Frankreich, wie die conventionelle Kunst überhaupt.
Die Beschreibung dieses Bildes erlassen Sie mir, denn das ist ein unbeschreibliches
, Chaos. Horace Vernet hat in diesem, wie in den meisten seiner großen Schlacht¬
gemälde, eine Reihe von Episoden dargestellt, und Gestalten und Figuren ohne
Einheit, ohne historische Wahrheit und ohne poetische Absicht durch einander ge¬
würfelt. Bei dem besten Meisterwerke seines DmnpspinselS mag ihm auch sein
Gewissen ein wenig zu schaffen gegeben haben, und die Confusion ist mir eine
um so größere geworden., Diese Scenen, welche eine Belagerung oder die Weg¬
nahme einer Schanze vorstellen sollen, bieten ein vollkommen unverständliches
Durcheinander, das durch die dunkelgraue, deu frühen Morgen bezeichnende Farbe
nur noch vermehrt wird. Der malerische Speichellecker aller Orden und Penstonen
verleihenden Regierungen, welcher die Heldenthaten der Franzosen in Rom ver¬
herrlichen sollte, hatte wider seinen Willen nnr eine gemalte Ironie zu Staude
gebracht. Wir sehen nämlich so viele Franzvsenheldcn ans >dieser ungeheuren
Leinwand, und so wenig Italiener, daß man sich fragen muß, woher diese kampf¬
erhitzten Gesichter, wozu der wilde Ausdruck dieser wuthschuaubenden Soldaten?
Gegen wen kämpfen sie? woher kommen sie? wohin ziehen sie? wo führt der
Weg nach Rom? Das sind Fragen, die das Gemälde unbeantwortet läßt, und
wir können uus selbst nach zur Ratheziehnng der Seitenlängen Erklärung im
Kataloge noch nicht ganz aus dem Labyrinthe von Gestalten und Attitüden heraus¬
finden. Wie im Gemälde des senata bildet auch hier eine Art improvisirter Zelter
den Mittelpunkt. Ein italienischer Officier, der von seinem frugalen Mahle von
den galauren Franzosen aufgejagt wurde, hat sich aus Gnade und Ungnade erge¬
ben, während ein römisches Weib die Bayonnette zweier Fantassins auf-deu Knien


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/261>, abgerufen am 24.07.2024.