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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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um Schonung des Officiers fleht, und zwei Lazzaroni die Beredtsamkeit ihrer
Terzerole versuchen. Wir wissen nicht, welches Ende diese Geschichte genomlncn
hat, wir begreifen aber noch weniger, wie so die Störung eines Frühstücks die
Hauptepisode der Belagerung Roms werden solle. Horace Vernet würde sich
sehr unglücklich fühlen, wenn er horte, was seine ehemaligen Bewunderer über
sein neuestes Bild sagen. Das ist eine ganz erbärmliche Mache.

Vortheilhaft zeichnen sich Glaize's gallische Frauen aus. Es ist das die
einzige historische Komposition von Bedeutung. Die Römer überfallen die Wei¬
ber der geschlagenen Gallier, und diese wehren sich muthig/ oder ziehen es vor,
sich und ihre Kinder zu morden, als sich dem Feinde zu ergeben. Die Kompo¬
sition ist eine gewaltige, obgleich nicht in allen Punkten glücklich durchgeführte.
Ein Römer zu Pferde reitet rücksichtslos über mehrere Frauen dahin, und seine
Waffe fällt erbarmungslos ans die kleinen Leiber. Auf einem Karren in der
Mitte sieht man eine Franengrnppe, die sich ihrer Verzweiflung hingeben. Links
vom Beschauer liegt ein todtes Weib, während ein kniender Knabe seinen Pfeil
ans den einstürmenden Römer losschießt. Im Hintergründe sind ähnliche Gruppen
angebracht. Dieses, der Farbe nach mißglückte Bild zeigt vielen Compositions-
sinn und> ein bedeutendes Verständniß der Leidenschaft. Die Bewegung der Fi¬
guren ist eben so wahr, als diese poetisch und harmonisch angeordnet sind. Trotz
des wirren Zusammenstoßes leidet der einheitliche Eindruck doch nicht im Mindesten,
und die Jury konnte Horace Vernet gar kein schlechteres Compliment und kei¬
nen gefährlichern Nachbar geben, als indem sie dieses Bild neben die Belagerung
von Rom stellte. Einzelne Gestalten sind von ausnehmender Schönheit und mit
viel Kraft gezeichnet und geformt. Glaize hat alle Vorzüge, die Gallait fehlen;
doch fehlen ihm wieder manche Vorzüge des belgischen Delaroche.

Nächst der Genremalerei lieferten die Portraitmaler die gelungensten Arbeiten
des Salons. Doch haben die wenigsten, selbst der besseren modernen Portraits
die Eigenschaften, welche ans den Portraits der großen Meister unvergängliche
Kunstwerke machten. Dies mag wol zum Theil auch daher kommen, weil sich
unsre Maler im Costume wie in der Anordnung zu sehr an die ganz unschöne
moderne Tracht halten müssen, und weil die wenigsten es verstehen, dem mo¬
dernen Anzüge seine minder unpoetischen Seiten abzulauschen. Unter den vorzüg¬
lichsten Portraitmalern Frankreichs steht der junge Maler Riccard, welcher ver¬
gangenes Jahr zum ersten Male in die Schranken der Oeffentlichkeit trat, obenan.
Er ist von den französischen Malern der Jetztzeit der einzige, welcher den alten
italienischen Meistern das Geheimniß des Colorits abzulauschen verstanden. Sein
Vorhaben scheint ganz so einfach wie das der besten Italiener, und man kann
sich nicht gut Rechenschaft ablegen von dem mächtigen Farbeneffecte, den er durch
so einfache Mittel hervorbringt. Der Hintergrund in seinen Portraits ist immer
dunkel und ernst gehalten, so daß das Portrait in seinem ganzen Lichtglanze heüwr-


um Schonung des Officiers fleht, und zwei Lazzaroni die Beredtsamkeit ihrer
Terzerole versuchen. Wir wissen nicht, welches Ende diese Geschichte genomlncn
hat, wir begreifen aber noch weniger, wie so die Störung eines Frühstücks die
Hauptepisode der Belagerung Roms werden solle. Horace Vernet würde sich
sehr unglücklich fühlen, wenn er horte, was seine ehemaligen Bewunderer über
sein neuestes Bild sagen. Das ist eine ganz erbärmliche Mache.

Vortheilhaft zeichnen sich Glaize's gallische Frauen aus. Es ist das die
einzige historische Komposition von Bedeutung. Die Römer überfallen die Wei¬
ber der geschlagenen Gallier, und diese wehren sich muthig/ oder ziehen es vor,
sich und ihre Kinder zu morden, als sich dem Feinde zu ergeben. Die Kompo¬
sition ist eine gewaltige, obgleich nicht in allen Punkten glücklich durchgeführte.
Ein Römer zu Pferde reitet rücksichtslos über mehrere Frauen dahin, und seine
Waffe fällt erbarmungslos ans die kleinen Leiber. Auf einem Karren in der
Mitte sieht man eine Franengrnppe, die sich ihrer Verzweiflung hingeben. Links
vom Beschauer liegt ein todtes Weib, während ein kniender Knabe seinen Pfeil
ans den einstürmenden Römer losschießt. Im Hintergründe sind ähnliche Gruppen
angebracht. Dieses, der Farbe nach mißglückte Bild zeigt vielen Compositions-
sinn und> ein bedeutendes Verständniß der Leidenschaft. Die Bewegung der Fi¬
guren ist eben so wahr, als diese poetisch und harmonisch angeordnet sind. Trotz
des wirren Zusammenstoßes leidet der einheitliche Eindruck doch nicht im Mindesten,
und die Jury konnte Horace Vernet gar kein schlechteres Compliment und kei¬
nen gefährlichern Nachbar geben, als indem sie dieses Bild neben die Belagerung
von Rom stellte. Einzelne Gestalten sind von ausnehmender Schönheit und mit
viel Kraft gezeichnet und geformt. Glaize hat alle Vorzüge, die Gallait fehlen;
doch fehlen ihm wieder manche Vorzüge des belgischen Delaroche.

Nächst der Genremalerei lieferten die Portraitmaler die gelungensten Arbeiten
des Salons. Doch haben die wenigsten, selbst der besseren modernen Portraits
die Eigenschaften, welche ans den Portraits der großen Meister unvergängliche
Kunstwerke machten. Dies mag wol zum Theil auch daher kommen, weil sich
unsre Maler im Costume wie in der Anordnung zu sehr an die ganz unschöne
moderne Tracht halten müssen, und weil die wenigsten es verstehen, dem mo¬
dernen Anzüge seine minder unpoetischen Seiten abzulauschen. Unter den vorzüg¬
lichsten Portraitmalern Frankreichs steht der junge Maler Riccard, welcher ver¬
gangenes Jahr zum ersten Male in die Schranken der Oeffentlichkeit trat, obenan.
Er ist von den französischen Malern der Jetztzeit der einzige, welcher den alten
italienischen Meistern das Geheimniß des Colorits abzulauschen verstanden. Sein
Vorhaben scheint ganz so einfach wie das der besten Italiener, und man kann
sich nicht gut Rechenschaft ablegen von dem mächtigen Farbeneffecte, den er durch
so einfache Mittel hervorbringt. Der Hintergrund in seinen Portraits ist immer
dunkel und ernst gehalten, so daß das Portrait in seinem ganzen Lichtglanze heüwr-


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[0262] um Schonung des Officiers fleht, und zwei Lazzaroni die Beredtsamkeit ihrer Terzerole versuchen. Wir wissen nicht, welches Ende diese Geschichte genomlncn hat, wir begreifen aber noch weniger, wie so die Störung eines Frühstücks die Hauptepisode der Belagerung Roms werden solle. Horace Vernet würde sich sehr unglücklich fühlen, wenn er horte, was seine ehemaligen Bewunderer über sein neuestes Bild sagen. Das ist eine ganz erbärmliche Mache. Vortheilhaft zeichnen sich Glaize's gallische Frauen aus. Es ist das die einzige historische Komposition von Bedeutung. Die Römer überfallen die Wei¬ ber der geschlagenen Gallier, und diese wehren sich muthig/ oder ziehen es vor, sich und ihre Kinder zu morden, als sich dem Feinde zu ergeben. Die Kompo¬ sition ist eine gewaltige, obgleich nicht in allen Punkten glücklich durchgeführte. Ein Römer zu Pferde reitet rücksichtslos über mehrere Frauen dahin, und seine Waffe fällt erbarmungslos ans die kleinen Leiber. Auf einem Karren in der Mitte sieht man eine Franengrnppe, die sich ihrer Verzweiflung hingeben. Links vom Beschauer liegt ein todtes Weib, während ein kniender Knabe seinen Pfeil ans den einstürmenden Römer losschießt. Im Hintergründe sind ähnliche Gruppen angebracht. Dieses, der Farbe nach mißglückte Bild zeigt vielen Compositions- sinn und> ein bedeutendes Verständniß der Leidenschaft. Die Bewegung der Fi¬ guren ist eben so wahr, als diese poetisch und harmonisch angeordnet sind. Trotz des wirren Zusammenstoßes leidet der einheitliche Eindruck doch nicht im Mindesten, und die Jury konnte Horace Vernet gar kein schlechteres Compliment und kei¬ nen gefährlichern Nachbar geben, als indem sie dieses Bild neben die Belagerung von Rom stellte. Einzelne Gestalten sind von ausnehmender Schönheit und mit viel Kraft gezeichnet und geformt. Glaize hat alle Vorzüge, die Gallait fehlen; doch fehlen ihm wieder manche Vorzüge des belgischen Delaroche. Nächst der Genremalerei lieferten die Portraitmaler die gelungensten Arbeiten des Salons. Doch haben die wenigsten, selbst der besseren modernen Portraits die Eigenschaften, welche ans den Portraits der großen Meister unvergängliche Kunstwerke machten. Dies mag wol zum Theil auch daher kommen, weil sich unsre Maler im Costume wie in der Anordnung zu sehr an die ganz unschöne moderne Tracht halten müssen, und weil die wenigsten es verstehen, dem mo¬ dernen Anzüge seine minder unpoetischen Seiten abzulauschen. Unter den vorzüg¬ lichsten Portraitmalern Frankreichs steht der junge Maler Riccard, welcher ver¬ gangenes Jahr zum ersten Male in die Schranken der Oeffentlichkeit trat, obenan. Er ist von den französischen Malern der Jetztzeit der einzige, welcher den alten italienischen Meistern das Geheimniß des Colorits abzulauschen verstanden. Sein Vorhaben scheint ganz so einfach wie das der besten Italiener, und man kann sich nicht gut Rechenschaft ablegen von dem mächtigen Farbeneffecte, den er durch so einfache Mittel hervorbringt. Der Hintergrund in seinen Portraits ist immer dunkel und ernst gehalten, so daß das Portrait in seinem ganzen Lichtglanze heüwr-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/262>, abgerufen am 24.07.2024.