Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Seine kleinen Bildchen sind wirkliche Meisterstücke, und er ist vielleicht der Ein¬
zige, von dem man vollkommene Befriedigung nach Hause bringt. Er hat einen
Mann, der seinen Degen prüft, zwei Bravi, die vor einer geschlossenen Thür von
Eichenholz lauern, und einen Schriftsteller aus dem vorigen'Jahrhundert aus¬
gestellt. Diese Bilder sind eben so vortrefflich gedacht, als meisterhaft ausgeführt.
Die Einzelheiten, die bei dieser Art von Malerei die Hauptsache bilden, find mit
solcher Musterhaftigkeit ausgeführt, wie mau sie bei einem gelungenen Daguerreo-
type bewundert, und dabei haben diese kleinen Dinger doch so viel Bewegung und
Leben, wie sie nur Denier seinen vertrauten Scenen einzuhauchen verstand.
Meissonier's Genre.mag nicht Jedermann behagen; Leute, die nnr die tragischen
großen Intentionen der Kunst gelten lassen wollen, mögen immerhin mit vor¬
nehmem Achselzucken an diesen Kunstwerken vorübergehen; in seiner Art leistet
Mcissonier das Vollendetste/ und das ist in unsrer Zeit denn doch nicht zu
verachten. Die Zeichnung bei Mcissonier ist so scharf, die Farben so glücklich
vertheilt, die kleinsten Details mit so viel Sorgfalt und doch auch mit so viel
Mäßigung und Verständniß berücksichtigt, daß man fast vermuthen möchte, Meissönier
arbeite wie ein Uhrmacher mit der Lupe. Wenn ich die Auswahl hätte, ich
würde mich unbedingt für die drei kleinen Meissoniers entscheiden. Daß es in Frank¬
reich nach einem so langjährigen Erfolge Meissonier's nicht an Nachahmern fehlen
konnte, wird Jedermann mit Recht erwarten und ohne sich zu täuschen. Allein
die Nachahmer bleiben weit hinter ihrem Lehrer zurück, obgleich der Salon Harz
nette Bildchen dieser Art auszuweisen hat. Dieser Kleinmalerei schließen sich die
Straßengeschichten von Adolph Lelenr, mit Glück an, doch hat dieser Biograph
der französischen Barricadenscenen dieses Jahr weniger gelungene Schilderungen
gebracht. Sein bestes Bild hat einen Transport von Gefangenen während der
Junitage 1848 zum Gegenstände, und sowol Anordnung des Zuges als reiche Cha-
rakterisirung einzelner Individualitäten betreffend, leistet er Lvbenswerthes. Seine
Bilder haben, was man hier einen gewissen Chic nennt, sie sind routinirt, und
man sieht ihnen die Vertrautheit des Meisters mit seinen Gegenständen an. Eine
reizende Komposition brachte Gendron, Francesca da Rimini'S Ueberfahrt über den
Styx darstellend. Sie steht auf einem kleinen runden Nachen und hält ihren
Paolo umschlungen. Die dunklen Fluthen und der geflügelte Kahn bilden einen
effectvollcn Gegensatz zu den bleichen weißgekleideten Gestalten. Es liegt eine
ganz eigenthümliche Poesie in dieser fleißigen, träumerischen Komposition. Die
Zeichnung ist weich und harmonisch, die Farben etwas verschwommen, was
aber hier als verzeihliche Absicht betrachtet werden kann. -- In dieser Galerie
befindet sich anch das Bild von Gallait, von dem man uns von Brüssel aus
als vou dem Meisterstücke der modernen Kunst geschrieben. Man erkennt in
Gallait's Horn und Egmont aus dem Todtenbette augenblicklich die Nachahmung
von Paul Delaroche's Manier. Die Manier macht sich auch hier geltend,


Seine kleinen Bildchen sind wirkliche Meisterstücke, und er ist vielleicht der Ein¬
zige, von dem man vollkommene Befriedigung nach Hause bringt. Er hat einen
Mann, der seinen Degen prüft, zwei Bravi, die vor einer geschlossenen Thür von
Eichenholz lauern, und einen Schriftsteller aus dem vorigen'Jahrhundert aus¬
gestellt. Diese Bilder sind eben so vortrefflich gedacht, als meisterhaft ausgeführt.
Die Einzelheiten, die bei dieser Art von Malerei die Hauptsache bilden, find mit
solcher Musterhaftigkeit ausgeführt, wie mau sie bei einem gelungenen Daguerreo-
type bewundert, und dabei haben diese kleinen Dinger doch so viel Bewegung und
Leben, wie sie nur Denier seinen vertrauten Scenen einzuhauchen verstand.
Meissonier's Genre.mag nicht Jedermann behagen; Leute, die nnr die tragischen
großen Intentionen der Kunst gelten lassen wollen, mögen immerhin mit vor¬
nehmem Achselzucken an diesen Kunstwerken vorübergehen; in seiner Art leistet
Mcissonier das Vollendetste/ und das ist in unsrer Zeit denn doch nicht zu
verachten. Die Zeichnung bei Mcissonier ist so scharf, die Farben so glücklich
vertheilt, die kleinsten Details mit so viel Sorgfalt und doch auch mit so viel
Mäßigung und Verständniß berücksichtigt, daß man fast vermuthen möchte, Meissönier
arbeite wie ein Uhrmacher mit der Lupe. Wenn ich die Auswahl hätte, ich
würde mich unbedingt für die drei kleinen Meissoniers entscheiden. Daß es in Frank¬
reich nach einem so langjährigen Erfolge Meissonier's nicht an Nachahmern fehlen
konnte, wird Jedermann mit Recht erwarten und ohne sich zu täuschen. Allein
die Nachahmer bleiben weit hinter ihrem Lehrer zurück, obgleich der Salon Harz
nette Bildchen dieser Art auszuweisen hat. Dieser Kleinmalerei schließen sich die
Straßengeschichten von Adolph Lelenr, mit Glück an, doch hat dieser Biograph
der französischen Barricadenscenen dieses Jahr weniger gelungene Schilderungen
gebracht. Sein bestes Bild hat einen Transport von Gefangenen während der
Junitage 1848 zum Gegenstände, und sowol Anordnung des Zuges als reiche Cha-
rakterisirung einzelner Individualitäten betreffend, leistet er Lvbenswerthes. Seine
Bilder haben, was man hier einen gewissen Chic nennt, sie sind routinirt, und
man sieht ihnen die Vertrautheit des Meisters mit seinen Gegenständen an. Eine
reizende Komposition brachte Gendron, Francesca da Rimini'S Ueberfahrt über den
Styx darstellend. Sie steht auf einem kleinen runden Nachen und hält ihren
Paolo umschlungen. Die dunklen Fluthen und der geflügelte Kahn bilden einen
effectvollcn Gegensatz zu den bleichen weißgekleideten Gestalten. Es liegt eine
ganz eigenthümliche Poesie in dieser fleißigen, träumerischen Komposition. Die
Zeichnung ist weich und harmonisch, die Farben etwas verschwommen, was
aber hier als verzeihliche Absicht betrachtet werden kann. — In dieser Galerie
befindet sich anch das Bild von Gallait, von dem man uns von Brüssel aus
als vou dem Meisterstücke der modernen Kunst geschrieben. Man erkennt in
Gallait's Horn und Egmont aus dem Todtenbette augenblicklich die Nachahmung
von Paul Delaroche's Manier. Die Manier macht sich auch hier geltend,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0260" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94161"/>
          <p xml:id="ID_718" prev="#ID_717" next="#ID_719"> Seine kleinen Bildchen sind wirkliche Meisterstücke, und er ist vielleicht der Ein¬<lb/>
zige, von dem man vollkommene Befriedigung nach Hause bringt. Er hat einen<lb/>
Mann, der seinen Degen prüft, zwei Bravi, die vor einer geschlossenen Thür von<lb/>
Eichenholz lauern, und einen Schriftsteller aus dem vorigen'Jahrhundert aus¬<lb/>
gestellt. Diese Bilder sind eben so vortrefflich gedacht, als meisterhaft ausgeführt.<lb/>
Die Einzelheiten, die bei dieser Art von Malerei die Hauptsache bilden, find mit<lb/>
solcher Musterhaftigkeit ausgeführt, wie mau sie bei einem gelungenen Daguerreo-<lb/>
type bewundert, und dabei haben diese kleinen Dinger doch so viel Bewegung und<lb/>
Leben, wie sie nur Denier seinen vertrauten Scenen einzuhauchen verstand.<lb/>
Meissonier's Genre.mag nicht Jedermann behagen; Leute, die nnr die tragischen<lb/>
großen Intentionen der Kunst gelten lassen wollen, mögen immerhin mit vor¬<lb/>
nehmem Achselzucken an diesen Kunstwerken vorübergehen; in seiner Art leistet<lb/>
Mcissonier das Vollendetste/ und das ist in unsrer Zeit denn doch nicht zu<lb/>
verachten. Die Zeichnung bei Mcissonier ist so scharf, die Farben so glücklich<lb/>
vertheilt, die kleinsten Details mit so viel Sorgfalt und doch auch mit so viel<lb/>
Mäßigung und Verständniß berücksichtigt, daß man fast vermuthen möchte, Meissönier<lb/>
arbeite wie ein Uhrmacher mit der Lupe. Wenn ich die Auswahl hätte, ich<lb/>
würde mich unbedingt für die drei kleinen Meissoniers entscheiden. Daß es in Frank¬<lb/>
reich nach einem so langjährigen Erfolge Meissonier's nicht an Nachahmern fehlen<lb/>
konnte, wird Jedermann mit Recht erwarten und ohne sich zu täuschen. Allein<lb/>
die Nachahmer bleiben weit hinter ihrem Lehrer zurück, obgleich der Salon Harz<lb/>
nette Bildchen dieser Art auszuweisen hat. Dieser Kleinmalerei schließen sich die<lb/>
Straßengeschichten von Adolph Lelenr, mit Glück an, doch hat dieser Biograph<lb/>
der französischen Barricadenscenen dieses Jahr weniger gelungene Schilderungen<lb/>
gebracht. Sein bestes Bild hat einen Transport von Gefangenen während der<lb/>
Junitage 1848 zum Gegenstände, und sowol Anordnung des Zuges als reiche Cha-<lb/>
rakterisirung einzelner Individualitäten betreffend, leistet er Lvbenswerthes. Seine<lb/>
Bilder haben, was man hier einen gewissen Chic nennt, sie sind routinirt, und<lb/>
man sieht ihnen die Vertrautheit des Meisters mit seinen Gegenständen an. Eine<lb/>
reizende Komposition brachte Gendron, Francesca da Rimini'S Ueberfahrt über den<lb/>
Styx darstellend. Sie steht auf einem kleinen runden Nachen und hält ihren<lb/>
Paolo umschlungen. Die dunklen Fluthen und der geflügelte Kahn bilden einen<lb/>
effectvollcn Gegensatz zu den bleichen weißgekleideten Gestalten. Es liegt eine<lb/>
ganz eigenthümliche Poesie in dieser fleißigen, träumerischen Komposition. Die<lb/>
Zeichnung ist weich und harmonisch, die Farben etwas verschwommen, was<lb/>
aber hier als verzeihliche Absicht betrachtet werden kann. &#x2014; In dieser Galerie<lb/>
befindet sich anch das Bild von Gallait, von dem man uns von Brüssel aus<lb/>
als vou dem Meisterstücke der modernen Kunst geschrieben. Man erkennt in<lb/>
Gallait's Horn und Egmont aus dem Todtenbette augenblicklich die Nachahmung<lb/>
von Paul Delaroche's Manier.  Die Manier macht sich auch hier geltend,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0260] Seine kleinen Bildchen sind wirkliche Meisterstücke, und er ist vielleicht der Ein¬ zige, von dem man vollkommene Befriedigung nach Hause bringt. Er hat einen Mann, der seinen Degen prüft, zwei Bravi, die vor einer geschlossenen Thür von Eichenholz lauern, und einen Schriftsteller aus dem vorigen'Jahrhundert aus¬ gestellt. Diese Bilder sind eben so vortrefflich gedacht, als meisterhaft ausgeführt. Die Einzelheiten, die bei dieser Art von Malerei die Hauptsache bilden, find mit solcher Musterhaftigkeit ausgeführt, wie mau sie bei einem gelungenen Daguerreo- type bewundert, und dabei haben diese kleinen Dinger doch so viel Bewegung und Leben, wie sie nur Denier seinen vertrauten Scenen einzuhauchen verstand. Meissonier's Genre.mag nicht Jedermann behagen; Leute, die nnr die tragischen großen Intentionen der Kunst gelten lassen wollen, mögen immerhin mit vor¬ nehmem Achselzucken an diesen Kunstwerken vorübergehen; in seiner Art leistet Mcissonier das Vollendetste/ und das ist in unsrer Zeit denn doch nicht zu verachten. Die Zeichnung bei Mcissonier ist so scharf, die Farben so glücklich vertheilt, die kleinsten Details mit so viel Sorgfalt und doch auch mit so viel Mäßigung und Verständniß berücksichtigt, daß man fast vermuthen möchte, Meissönier arbeite wie ein Uhrmacher mit der Lupe. Wenn ich die Auswahl hätte, ich würde mich unbedingt für die drei kleinen Meissoniers entscheiden. Daß es in Frank¬ reich nach einem so langjährigen Erfolge Meissonier's nicht an Nachahmern fehlen konnte, wird Jedermann mit Recht erwarten und ohne sich zu täuschen. Allein die Nachahmer bleiben weit hinter ihrem Lehrer zurück, obgleich der Salon Harz nette Bildchen dieser Art auszuweisen hat. Dieser Kleinmalerei schließen sich die Straßengeschichten von Adolph Lelenr, mit Glück an, doch hat dieser Biograph der französischen Barricadenscenen dieses Jahr weniger gelungene Schilderungen gebracht. Sein bestes Bild hat einen Transport von Gefangenen während der Junitage 1848 zum Gegenstände, und sowol Anordnung des Zuges als reiche Cha- rakterisirung einzelner Individualitäten betreffend, leistet er Lvbenswerthes. Seine Bilder haben, was man hier einen gewissen Chic nennt, sie sind routinirt, und man sieht ihnen die Vertrautheit des Meisters mit seinen Gegenständen an. Eine reizende Komposition brachte Gendron, Francesca da Rimini'S Ueberfahrt über den Styx darstellend. Sie steht auf einem kleinen runden Nachen und hält ihren Paolo umschlungen. Die dunklen Fluthen und der geflügelte Kahn bilden einen effectvollcn Gegensatz zu den bleichen weißgekleideten Gestalten. Es liegt eine ganz eigenthümliche Poesie in dieser fleißigen, träumerischen Komposition. Die Zeichnung ist weich und harmonisch, die Farben etwas verschwommen, was aber hier als verzeihliche Absicht betrachtet werden kann. — In dieser Galerie befindet sich anch das Bild von Gallait, von dem man uns von Brüssel aus als vou dem Meisterstücke der modernen Kunst geschrieben. Man erkennt in Gallait's Horn und Egmont aus dem Todtenbette augenblicklich die Nachahmung von Paul Delaroche's Manier. Die Manier macht sich auch hier geltend,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/260
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/260>, abgerufen am 24.07.2024.