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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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So wie die historische Komposition überhaupt so gut wie abwesend ist, so
hat die historische Kirchenmalerei auch nur wenige Werke geliefert, was bei dem
wachsenden Einflüsse des Klerus und dem Wiedererscheinen der wunderthätigen
Madonna allerdings zu verwundern ist. Aber selbst die wenigen kirchlichen Ge¬
mälde, die dieses Jahr ausgestellt sind, zeichnen sich so sehr durch Mittelmäßigkeit >
aus, daß man annehmen muß, der Klerus habe über seinen Auslagen für die
politische Propagcmdamacherei keine Fonds mehr, seine Kirchen durch die besseren
Künstler schmücken zu lassen. Wir wollen auch gern erwähnen, daß Maler, wie
Hyppolite Flandrin und andere, diesmal nicht ausgestellt haben, weil sie, wie
der Obengenanute, mit Frescomalereien für einige der frischrestaurirten Kirchen
des Landes beschäftigt sind. Charakteristisch für unsre Kunstzustände ist nur der
Umstand, daß selbst die bildenden Künstler, welche historische Intentionen haben,
immer mehr in der Allegorie sich verwickeln. Während also die großen Meister
der Kuustblüthezeit selbst den mythisch-allegorischen oder biblisch-historischen Ge¬
genständen durch Hinzndichtung kleiner Nebensachen oder durch Veränderung des
Costums ein rein menschliches Interesse zu geben wußten, versuchen die fran¬
zösischen Maler der Jetztzeit Gegenstände des allgemeinen Interesses durch alle¬
gorische Auffassung unsrem Antheile zu entrücken. Die Vorliebe für die Allegorie
muß natürlich eine gewisse Anzahl von Kunstwerke" hervorrufen, die sich aber
nicht anders als allegorisch vorführen lassen, die aber zugleich ein Beweis sür
den verminderten Beruf unsrer Epoche sind. Das erste Erfordernis) einer kunst¬
gewaltigen Zeit scheint mir nämlich das Bewußtsein dessen zu sein, was eine Kunst
überhaupt zu leisten im Stande ist, und Versuche, welche über diese Schranken
hinausgehen, beweisen, wenn sie zahlreich sind, und, wie hier, zugleich mit großer
Prätension auftreten, nur die Ohnmacht der ganzen Kunstperiode. So sucht
Herr Abel de Pujol, ein Schüler David's und Mitglied der Akademie, das Ende
der Welt durch einen sterbenden Amor auf dunklen Ruinen und durch die allein
übrigbleibende Zeit darzustellen. Abgesehen ron der ganz verfehlten Ausführung
dieses Gegenstandes selbst in dieser Auffassung, muß dieser Versuch von vorn
herein verdammt werden. Einmal ist die Idee zu transcendental, und dann muß
sie in ihrer Verwirklichung unpoetisch erscheinen, weil die Liebe, als Amor dar¬
gestellt und in diesem Zusammenhange, unsrem Bewußtsein nicht als das ethische
wärmende Alles belebende Princip sich aufdrängt, sondern als Sinnbild Her
fleischlichen Vermehrung. Das Bild bekommt so durch den todten Amor einen
pathologischen Beigeschmack, und man erinnert sich noch überdies an Münch-
hausen's zwei Löwen, die sich gegenseitig auffraßen, so daß mir die beiden Schwänze
übrig blieben. Ein anderes Gemälde von Omer-Charlet, das von eben so
großer Ausdehnung ist, und auch die Ehre des viereckigen Salons erhalten,
stellt die Vergänglichkeit menschlicher Dinge vor. Es hat die Verse Horazens:


So wie die historische Komposition überhaupt so gut wie abwesend ist, so
hat die historische Kirchenmalerei auch nur wenige Werke geliefert, was bei dem
wachsenden Einflüsse des Klerus und dem Wiedererscheinen der wunderthätigen
Madonna allerdings zu verwundern ist. Aber selbst die wenigen kirchlichen Ge¬
mälde, die dieses Jahr ausgestellt sind, zeichnen sich so sehr durch Mittelmäßigkeit >
aus, daß man annehmen muß, der Klerus habe über seinen Auslagen für die
politische Propagcmdamacherei keine Fonds mehr, seine Kirchen durch die besseren
Künstler schmücken zu lassen. Wir wollen auch gern erwähnen, daß Maler, wie
Hyppolite Flandrin und andere, diesmal nicht ausgestellt haben, weil sie, wie
der Obengenanute, mit Frescomalereien für einige der frischrestaurirten Kirchen
des Landes beschäftigt sind. Charakteristisch für unsre Kunstzustände ist nur der
Umstand, daß selbst die bildenden Künstler, welche historische Intentionen haben,
immer mehr in der Allegorie sich verwickeln. Während also die großen Meister
der Kuustblüthezeit selbst den mythisch-allegorischen oder biblisch-historischen Ge¬
genständen durch Hinzndichtung kleiner Nebensachen oder durch Veränderung des
Costums ein rein menschliches Interesse zu geben wußten, versuchen die fran¬
zösischen Maler der Jetztzeit Gegenstände des allgemeinen Interesses durch alle¬
gorische Auffassung unsrem Antheile zu entrücken. Die Vorliebe für die Allegorie
muß natürlich eine gewisse Anzahl von Kunstwerke» hervorrufen, die sich aber
nicht anders als allegorisch vorführen lassen, die aber zugleich ein Beweis sür
den verminderten Beruf unsrer Epoche sind. Das erste Erfordernis) einer kunst¬
gewaltigen Zeit scheint mir nämlich das Bewußtsein dessen zu sein, was eine Kunst
überhaupt zu leisten im Stande ist, und Versuche, welche über diese Schranken
hinausgehen, beweisen, wenn sie zahlreich sind, und, wie hier, zugleich mit großer
Prätension auftreten, nur die Ohnmacht der ganzen Kunstperiode. So sucht
Herr Abel de Pujol, ein Schüler David's und Mitglied der Akademie, das Ende
der Welt durch einen sterbenden Amor auf dunklen Ruinen und durch die allein
übrigbleibende Zeit darzustellen. Abgesehen ron der ganz verfehlten Ausführung
dieses Gegenstandes selbst in dieser Auffassung, muß dieser Versuch von vorn
herein verdammt werden. Einmal ist die Idee zu transcendental, und dann muß
sie in ihrer Verwirklichung unpoetisch erscheinen, weil die Liebe, als Amor dar¬
gestellt und in diesem Zusammenhange, unsrem Bewußtsein nicht als das ethische
wärmende Alles belebende Princip sich aufdrängt, sondern als Sinnbild Her
fleischlichen Vermehrung. Das Bild bekommt so durch den todten Amor einen
pathologischen Beigeschmack, und man erinnert sich noch überdies an Münch-
hausen's zwei Löwen, die sich gegenseitig auffraßen, so daß mir die beiden Schwänze
übrig blieben. Ein anderes Gemälde von Omer-Charlet, das von eben so
großer Ausdehnung ist, und auch die Ehre des viereckigen Salons erhalten,
stellt die Vergänglichkeit menschlicher Dinge vor. Es hat die Verse Horazens:


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[0258] So wie die historische Komposition überhaupt so gut wie abwesend ist, so hat die historische Kirchenmalerei auch nur wenige Werke geliefert, was bei dem wachsenden Einflüsse des Klerus und dem Wiedererscheinen der wunderthätigen Madonna allerdings zu verwundern ist. Aber selbst die wenigen kirchlichen Ge¬ mälde, die dieses Jahr ausgestellt sind, zeichnen sich so sehr durch Mittelmäßigkeit > aus, daß man annehmen muß, der Klerus habe über seinen Auslagen für die politische Propagcmdamacherei keine Fonds mehr, seine Kirchen durch die besseren Künstler schmücken zu lassen. Wir wollen auch gern erwähnen, daß Maler, wie Hyppolite Flandrin und andere, diesmal nicht ausgestellt haben, weil sie, wie der Obengenanute, mit Frescomalereien für einige der frischrestaurirten Kirchen des Landes beschäftigt sind. Charakteristisch für unsre Kunstzustände ist nur der Umstand, daß selbst die bildenden Künstler, welche historische Intentionen haben, immer mehr in der Allegorie sich verwickeln. Während also die großen Meister der Kuustblüthezeit selbst den mythisch-allegorischen oder biblisch-historischen Ge¬ genständen durch Hinzndichtung kleiner Nebensachen oder durch Veränderung des Costums ein rein menschliches Interesse zu geben wußten, versuchen die fran¬ zösischen Maler der Jetztzeit Gegenstände des allgemeinen Interesses durch alle¬ gorische Auffassung unsrem Antheile zu entrücken. Die Vorliebe für die Allegorie muß natürlich eine gewisse Anzahl von Kunstwerke» hervorrufen, die sich aber nicht anders als allegorisch vorführen lassen, die aber zugleich ein Beweis sür den verminderten Beruf unsrer Epoche sind. Das erste Erfordernis) einer kunst¬ gewaltigen Zeit scheint mir nämlich das Bewußtsein dessen zu sein, was eine Kunst überhaupt zu leisten im Stande ist, und Versuche, welche über diese Schranken hinausgehen, beweisen, wenn sie zahlreich sind, und, wie hier, zugleich mit großer Prätension auftreten, nur die Ohnmacht der ganzen Kunstperiode. So sucht Herr Abel de Pujol, ein Schüler David's und Mitglied der Akademie, das Ende der Welt durch einen sterbenden Amor auf dunklen Ruinen und durch die allein übrigbleibende Zeit darzustellen. Abgesehen ron der ganz verfehlten Ausführung dieses Gegenstandes selbst in dieser Auffassung, muß dieser Versuch von vorn herein verdammt werden. Einmal ist die Idee zu transcendental, und dann muß sie in ihrer Verwirklichung unpoetisch erscheinen, weil die Liebe, als Amor dar¬ gestellt und in diesem Zusammenhange, unsrem Bewußtsein nicht als das ethische wärmende Alles belebende Princip sich aufdrängt, sondern als Sinnbild Her fleischlichen Vermehrung. Das Bild bekommt so durch den todten Amor einen pathologischen Beigeschmack, und man erinnert sich noch überdies an Münch- hausen's zwei Löwen, die sich gegenseitig auffraßen, so daß mir die beiden Schwänze übrig blieben. Ein anderes Gemälde von Omer-Charlet, das von eben so großer Ausdehnung ist, und auch die Ehre des viereckigen Salons erhalten, stellt die Vergänglichkeit menschlicher Dinge vor. Es hat die Verse Horazens:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/258>, abgerufen am 24.07.2024.