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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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einem Lande von, so eigenthümlicher Kunstinitiative und so großer knnsthistorischer
Erregtheit, wie Frankreich, zu erwarten berechtigt wäre. Es scheint fast, als ob
der eigentliche Glaube an die Kunst fehlte, der Funke der Begeisterung, der den
wahren Beruf bezeichnet, erloschen wäre. Die große Mehrzahl der ausgestellten
Werke stellt wol ungewöhnliche Fertigkeit im Metier der Palette und des
Pinsels, die artistische Routine der französischen Maler außer Zweifel, aber weder
eigenthümliche Komposition, noch poetische Auffassung der dargestellten Gegenstände
thun sich hervor. Wir werden nur ganz mäßige Ausnahmen hervorzuheben haben.

Die sogenannte historische Komposition ist fast gar nicht vertreten: so wie in der
Politik und wie in der Literatur, haben sich Geist und Sinn der Franzosen auch in
der Malerei einer niedrigern Sphäre zugewandt. Es fehlt hier am Schwunge, an
der langathmigen Begeisterung, auch an den nöthigen Einflüssen von Außen, an der
unerläßlichen Anregung durch den allgemeinen Jdeenkreis, als daß der Gedanke
zu größeren Schöpfungen dieser Art, es sei nun im classischen oder romantischen
Style, bei den hiesigen Künstlern aufkommen, oder, wenn ja gefaßt, mit Beharr¬
lichkeit ausgeführt werden könnte. Die Absicht der Kunstjünger verzweigt sich, so wie
der Geschmack des Publicums und selbst eines Theils der sogenannten Kunstliebhaber
trivialer, bürgerlicher, kunstfeindlicher geworden ist. Die Liebe zum materiellen Genusse
spricht sich in den Kunstleistungen des modernen Frankreichs eben so deutlich aus,
wie in seinen politischen und literarischen. Die Decadenz guckt aus all den glän¬
zenden Oberflächen hervor, und es scheint mir ein Maßstab für die Intensität
dieses Anlaufs zum Verfalle, daß die moderne Geschichte Frankreichs mit der
Entwürdigung der Gesellschaft, mit der Demüthigung des ganzen Landes, die sie
auf ihre Blätter mit unauslöschlichen Zeichen geschrieben, anch nicht einen einzigen
bedeutenden Satyriker, es sei nun in der Kunst oder in der Literatur/hervor¬
gebracht hat. Kurz vor der Reformation in Deutschland hat Rabelais in Frank¬
reich den ersten Theil seines unsterblichen Werkes geschrieben. Die kranke Zeit
von damals trug in Frankreich wie in Deutschland den Keim zur eigenen Heilung
in sich selbst, während uns die Franzosen jetzt so krank scheinen, daß sie nicht
einmal den Zustand ihrer allgemeinen Verringerung recht fühlen können. Zu¬
stände, wie die gegenwärtigen, müßten in der Kunst wie in der Literatur einen
satyrischen Jeremias wach rufen, wenn dieser überhaupt existirte, und wir stellen
es eben als wichtiges Zeichen der Zeit hin,. daß sich gar kein Versuch zu einer
Bekämpfung der verkehrten sittlichen Anschanung des modernen Frcmzosenthums
in diesem selbst kund giebt. Die Caricatur der Tagespolitik kann natürlich hier
nicht in Rechnung gebracht werden, so gelungen sie auch übrigens sein möge,
aber wirkliche künstlerische Satyre giebt es in Frankreich nicht, und das Einzige,
was wir in dieser Beziehung im gegenwärtigen Salon geleistet sehen, sind die
vielen Portraits und Büsten des Prinzprästdenten mit seinen Adlern. Das sind
freilich anch nur unbewußte, naive Satyren.


einem Lande von, so eigenthümlicher Kunstinitiative und so großer knnsthistorischer
Erregtheit, wie Frankreich, zu erwarten berechtigt wäre. Es scheint fast, als ob
der eigentliche Glaube an die Kunst fehlte, der Funke der Begeisterung, der den
wahren Beruf bezeichnet, erloschen wäre. Die große Mehrzahl der ausgestellten
Werke stellt wol ungewöhnliche Fertigkeit im Metier der Palette und des
Pinsels, die artistische Routine der französischen Maler außer Zweifel, aber weder
eigenthümliche Komposition, noch poetische Auffassung der dargestellten Gegenstände
thun sich hervor. Wir werden nur ganz mäßige Ausnahmen hervorzuheben haben.

Die sogenannte historische Komposition ist fast gar nicht vertreten: so wie in der
Politik und wie in der Literatur, haben sich Geist und Sinn der Franzosen auch in
der Malerei einer niedrigern Sphäre zugewandt. Es fehlt hier am Schwunge, an
der langathmigen Begeisterung, auch an den nöthigen Einflüssen von Außen, an der
unerläßlichen Anregung durch den allgemeinen Jdeenkreis, als daß der Gedanke
zu größeren Schöpfungen dieser Art, es sei nun im classischen oder romantischen
Style, bei den hiesigen Künstlern aufkommen, oder, wenn ja gefaßt, mit Beharr¬
lichkeit ausgeführt werden könnte. Die Absicht der Kunstjünger verzweigt sich, so wie
der Geschmack des Publicums und selbst eines Theils der sogenannten Kunstliebhaber
trivialer, bürgerlicher, kunstfeindlicher geworden ist. Die Liebe zum materiellen Genusse
spricht sich in den Kunstleistungen des modernen Frankreichs eben so deutlich aus,
wie in seinen politischen und literarischen. Die Decadenz guckt aus all den glän¬
zenden Oberflächen hervor, und es scheint mir ein Maßstab für die Intensität
dieses Anlaufs zum Verfalle, daß die moderne Geschichte Frankreichs mit der
Entwürdigung der Gesellschaft, mit der Demüthigung des ganzen Landes, die sie
auf ihre Blätter mit unauslöschlichen Zeichen geschrieben, anch nicht einen einzigen
bedeutenden Satyriker, es sei nun in der Kunst oder in der Literatur/hervor¬
gebracht hat. Kurz vor der Reformation in Deutschland hat Rabelais in Frank¬
reich den ersten Theil seines unsterblichen Werkes geschrieben. Die kranke Zeit
von damals trug in Frankreich wie in Deutschland den Keim zur eigenen Heilung
in sich selbst, während uns die Franzosen jetzt so krank scheinen, daß sie nicht
einmal den Zustand ihrer allgemeinen Verringerung recht fühlen können. Zu¬
stände, wie die gegenwärtigen, müßten in der Kunst wie in der Literatur einen
satyrischen Jeremias wach rufen, wenn dieser überhaupt existirte, und wir stellen
es eben als wichtiges Zeichen der Zeit hin,. daß sich gar kein Versuch zu einer
Bekämpfung der verkehrten sittlichen Anschanung des modernen Frcmzosenthums
in diesem selbst kund giebt. Die Caricatur der Tagespolitik kann natürlich hier
nicht in Rechnung gebracht werden, so gelungen sie auch übrigens sein möge,
aber wirkliche künstlerische Satyre giebt es in Frankreich nicht, und das Einzige,
was wir in dieser Beziehung im gegenwärtigen Salon geleistet sehen, sind die
vielen Portraits und Büsten des Prinzprästdenten mit seinen Adlern. Das sind
freilich anch nur unbewußte, naive Satyren.


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[0257] einem Lande von, so eigenthümlicher Kunstinitiative und so großer knnsthistorischer Erregtheit, wie Frankreich, zu erwarten berechtigt wäre. Es scheint fast, als ob der eigentliche Glaube an die Kunst fehlte, der Funke der Begeisterung, der den wahren Beruf bezeichnet, erloschen wäre. Die große Mehrzahl der ausgestellten Werke stellt wol ungewöhnliche Fertigkeit im Metier der Palette und des Pinsels, die artistische Routine der französischen Maler außer Zweifel, aber weder eigenthümliche Komposition, noch poetische Auffassung der dargestellten Gegenstände thun sich hervor. Wir werden nur ganz mäßige Ausnahmen hervorzuheben haben. Die sogenannte historische Komposition ist fast gar nicht vertreten: so wie in der Politik und wie in der Literatur, haben sich Geist und Sinn der Franzosen auch in der Malerei einer niedrigern Sphäre zugewandt. Es fehlt hier am Schwunge, an der langathmigen Begeisterung, auch an den nöthigen Einflüssen von Außen, an der unerläßlichen Anregung durch den allgemeinen Jdeenkreis, als daß der Gedanke zu größeren Schöpfungen dieser Art, es sei nun im classischen oder romantischen Style, bei den hiesigen Künstlern aufkommen, oder, wenn ja gefaßt, mit Beharr¬ lichkeit ausgeführt werden könnte. Die Absicht der Kunstjünger verzweigt sich, so wie der Geschmack des Publicums und selbst eines Theils der sogenannten Kunstliebhaber trivialer, bürgerlicher, kunstfeindlicher geworden ist. Die Liebe zum materiellen Genusse spricht sich in den Kunstleistungen des modernen Frankreichs eben so deutlich aus, wie in seinen politischen und literarischen. Die Decadenz guckt aus all den glän¬ zenden Oberflächen hervor, und es scheint mir ein Maßstab für die Intensität dieses Anlaufs zum Verfalle, daß die moderne Geschichte Frankreichs mit der Entwürdigung der Gesellschaft, mit der Demüthigung des ganzen Landes, die sie auf ihre Blätter mit unauslöschlichen Zeichen geschrieben, anch nicht einen einzigen bedeutenden Satyriker, es sei nun in der Kunst oder in der Literatur/hervor¬ gebracht hat. Kurz vor der Reformation in Deutschland hat Rabelais in Frank¬ reich den ersten Theil seines unsterblichen Werkes geschrieben. Die kranke Zeit von damals trug in Frankreich wie in Deutschland den Keim zur eigenen Heilung in sich selbst, während uns die Franzosen jetzt so krank scheinen, daß sie nicht einmal den Zustand ihrer allgemeinen Verringerung recht fühlen können. Zu¬ stände, wie die gegenwärtigen, müßten in der Kunst wie in der Literatur einen satyrischen Jeremias wach rufen, wenn dieser überhaupt existirte, und wir stellen es eben als wichtiges Zeichen der Zeit hin,. daß sich gar kein Versuch zu einer Bekämpfung der verkehrten sittlichen Anschanung des modernen Frcmzosenthums in diesem selbst kund giebt. Die Caricatur der Tagespolitik kann natürlich hier nicht in Rechnung gebracht werden, so gelungen sie auch übrigens sein möge, aber wirkliche künstlerische Satyre giebt es in Frankreich nicht, und das Einzige, was wir in dieser Beziehung im gegenwärtigen Salon geleistet sehen, sind die vielen Portraits und Büsten des Prinzprästdenten mit seinen Adlern. Das sind freilich anch nur unbewußte, naive Satyren.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/257>, abgerufen am 24.07.2024.