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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Sache höchst gefährlich werden mußte. Bei Kossuth finden wir allerdings einen
Idealismus, der in jedem Augenblicke geneigt war, die materiellen Bedingungen
zu übersehen, und eine Unkenntniß, die um so bedenklicher sein mußte, da von
ihm in letzter Instanz auch die Kriegsoperationen im Großen und Ganzen geleitet
wurden; aber wir sehen auch einen entschieden guten Willen, sich belehren zu
lassen und die eigene Meinung hinanzusetzen, wo es den Nutzen des Vater¬
landes galt. Görgei dagegen tritt ihm überall mit dem kalten, trotzigen Hoch¬
muth einer energischen Natur entgegen, die sich nicht für die Totalität der Sache
begeistert, sondern sich auf eine einzelne Seite derselben beschränkt und alles
Uebrige, was sie nicht unmittelbar angeht, mit Hohn und Ironie behandelt.
Er hat in seinem Wesen eine auffallende Ähnlichkeit mit Uork und andern
Generalen des Freiheitskrieges, die in ihrer Verachtung gegen die Phrase so
weit gingen, das geistige Moment überhaupt als unwesentlich bei Seite zu
setzen. In einem monarchischen Staate ist das qbcr noch viel weniger gefähr¬
lich, als bei einer Jnsurrection ohne bestimmtes Oberhaupt. Hier kommt es
gerade daraus an, daß die bedeutenden Kapacitäten sich im Interesse des Ganzen
fügen. Mit seiner fortwährenden gehässigen Opposition hat Görgei der Anarchie
nicht weniger Vorschub geleistet, als die parlamentarischen Idealisten mit ihren
unbestimmten Phantasien. Im Anfang capricirte er sich darauf, die Sache rein
vom militairischen Standpunkt zu betrachten, was bei einer Jnsurrection doch nicht
möglich ist, nachher bei den bekannten Beschlüssen des Debrecziner Reichstags
vom April warf er sich eben so eigensinnig aus das politische Gebiet, und
legte auf die Rechtsform des Kampfes gegen Oestreich ein Gewicht, von dem
er sich doch sagen mußte, daß es ihm in dem Angenblick nicht zukäme. Außer¬
dem war er nicht im Stande, sich mit irgend einem Vorgesetzten gut zu stellen,
während der Einfluß aus seine Untergebenen.bei seiner mächtigen Persönlichkeit
ein unermeßlicher war. Er kam in persönliche Reibungen sast mit jedem der
commandirenden Generale, und leider hat er die daraus hervorgegangene Ge¬
reiztheit auch in seinem gegenwärtigen Bericht nicht verläugnen können.

Bei alle dem erscheint er zwar als eine incommensnrable, aber nicht kleine Natur.
Er hat nicht jenen Adel der Seele, den man nur da antrifft,, wo ein inneres
Wohlwollen ihn vermittelt, aber er hat jenen Stolz und jene Vornehmheit, die.
ihn vor dem Niedrigen und Gewöhnlichen bewahrt. Gleich bei seinem ersten Auf¬
treten im Kriegsgericht gegen den Grafen Zichy erscheint er uns bedeutend. Er
schützt ihn zuerst mit Waffengewalt gegen die aufgeregten Honveds und bringt
ihn in Sicherheit, dann untersucht er seine Schuld und läßt ihn kaltblütig hängen.
Eine ähnliche Entschiedenheit und Rücksichtslosigkeit entwickelt er in allen übrigen
Fällen. Von der Anklage des Verraths ist er vollkommen freizusprechen. Gleich
beim ersten Einmarsch der Russen war er überzeugt, daß die Sache Ungarns ver¬
loren sei; sein einziger Zweck war damals noch, durch einen entschiedenen Hand-


Sache höchst gefährlich werden mußte. Bei Kossuth finden wir allerdings einen
Idealismus, der in jedem Augenblicke geneigt war, die materiellen Bedingungen
zu übersehen, und eine Unkenntniß, die um so bedenklicher sein mußte, da von
ihm in letzter Instanz auch die Kriegsoperationen im Großen und Ganzen geleitet
wurden; aber wir sehen auch einen entschieden guten Willen, sich belehren zu
lassen und die eigene Meinung hinanzusetzen, wo es den Nutzen des Vater¬
landes galt. Görgei dagegen tritt ihm überall mit dem kalten, trotzigen Hoch¬
muth einer energischen Natur entgegen, die sich nicht für die Totalität der Sache
begeistert, sondern sich auf eine einzelne Seite derselben beschränkt und alles
Uebrige, was sie nicht unmittelbar angeht, mit Hohn und Ironie behandelt.
Er hat in seinem Wesen eine auffallende Ähnlichkeit mit Uork und andern
Generalen des Freiheitskrieges, die in ihrer Verachtung gegen die Phrase so
weit gingen, das geistige Moment überhaupt als unwesentlich bei Seite zu
setzen. In einem monarchischen Staate ist das qbcr noch viel weniger gefähr¬
lich, als bei einer Jnsurrection ohne bestimmtes Oberhaupt. Hier kommt es
gerade daraus an, daß die bedeutenden Kapacitäten sich im Interesse des Ganzen
fügen. Mit seiner fortwährenden gehässigen Opposition hat Görgei der Anarchie
nicht weniger Vorschub geleistet, als die parlamentarischen Idealisten mit ihren
unbestimmten Phantasien. Im Anfang capricirte er sich darauf, die Sache rein
vom militairischen Standpunkt zu betrachten, was bei einer Jnsurrection doch nicht
möglich ist, nachher bei den bekannten Beschlüssen des Debrecziner Reichstags
vom April warf er sich eben so eigensinnig aus das politische Gebiet, und
legte auf die Rechtsform des Kampfes gegen Oestreich ein Gewicht, von dem
er sich doch sagen mußte, daß es ihm in dem Angenblick nicht zukäme. Außer¬
dem war er nicht im Stande, sich mit irgend einem Vorgesetzten gut zu stellen,
während der Einfluß aus seine Untergebenen.bei seiner mächtigen Persönlichkeit
ein unermeßlicher war. Er kam in persönliche Reibungen sast mit jedem der
commandirenden Generale, und leider hat er die daraus hervorgegangene Ge¬
reiztheit auch in seinem gegenwärtigen Bericht nicht verläugnen können.

Bei alle dem erscheint er zwar als eine incommensnrable, aber nicht kleine Natur.
Er hat nicht jenen Adel der Seele, den man nur da antrifft,, wo ein inneres
Wohlwollen ihn vermittelt, aber er hat jenen Stolz und jene Vornehmheit, die.
ihn vor dem Niedrigen und Gewöhnlichen bewahrt. Gleich bei seinem ersten Auf¬
treten im Kriegsgericht gegen den Grafen Zichy erscheint er uns bedeutend. Er
schützt ihn zuerst mit Waffengewalt gegen die aufgeregten Honveds und bringt
ihn in Sicherheit, dann untersucht er seine Schuld und läßt ihn kaltblütig hängen.
Eine ähnliche Entschiedenheit und Rücksichtslosigkeit entwickelt er in allen übrigen
Fällen. Von der Anklage des Verraths ist er vollkommen freizusprechen. Gleich
beim ersten Einmarsch der Russen war er überzeugt, daß die Sache Ungarns ver¬
loren sei; sein einziger Zweck war damals noch, durch einen entschiedenen Hand-


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[0254] Sache höchst gefährlich werden mußte. Bei Kossuth finden wir allerdings einen Idealismus, der in jedem Augenblicke geneigt war, die materiellen Bedingungen zu übersehen, und eine Unkenntniß, die um so bedenklicher sein mußte, da von ihm in letzter Instanz auch die Kriegsoperationen im Großen und Ganzen geleitet wurden; aber wir sehen auch einen entschieden guten Willen, sich belehren zu lassen und die eigene Meinung hinanzusetzen, wo es den Nutzen des Vater¬ landes galt. Görgei dagegen tritt ihm überall mit dem kalten, trotzigen Hoch¬ muth einer energischen Natur entgegen, die sich nicht für die Totalität der Sache begeistert, sondern sich auf eine einzelne Seite derselben beschränkt und alles Uebrige, was sie nicht unmittelbar angeht, mit Hohn und Ironie behandelt. Er hat in seinem Wesen eine auffallende Ähnlichkeit mit Uork und andern Generalen des Freiheitskrieges, die in ihrer Verachtung gegen die Phrase so weit gingen, das geistige Moment überhaupt als unwesentlich bei Seite zu setzen. In einem monarchischen Staate ist das qbcr noch viel weniger gefähr¬ lich, als bei einer Jnsurrection ohne bestimmtes Oberhaupt. Hier kommt es gerade daraus an, daß die bedeutenden Kapacitäten sich im Interesse des Ganzen fügen. Mit seiner fortwährenden gehässigen Opposition hat Görgei der Anarchie nicht weniger Vorschub geleistet, als die parlamentarischen Idealisten mit ihren unbestimmten Phantasien. Im Anfang capricirte er sich darauf, die Sache rein vom militairischen Standpunkt zu betrachten, was bei einer Jnsurrection doch nicht möglich ist, nachher bei den bekannten Beschlüssen des Debrecziner Reichstags vom April warf er sich eben so eigensinnig aus das politische Gebiet, und legte auf die Rechtsform des Kampfes gegen Oestreich ein Gewicht, von dem er sich doch sagen mußte, daß es ihm in dem Angenblick nicht zukäme. Außer¬ dem war er nicht im Stande, sich mit irgend einem Vorgesetzten gut zu stellen, während der Einfluß aus seine Untergebenen.bei seiner mächtigen Persönlichkeit ein unermeßlicher war. Er kam in persönliche Reibungen sast mit jedem der commandirenden Generale, und leider hat er die daraus hervorgegangene Ge¬ reiztheit auch in seinem gegenwärtigen Bericht nicht verläugnen können. Bei alle dem erscheint er zwar als eine incommensnrable, aber nicht kleine Natur. Er hat nicht jenen Adel der Seele, den man nur da antrifft,, wo ein inneres Wohlwollen ihn vermittelt, aber er hat jenen Stolz und jene Vornehmheit, die. ihn vor dem Niedrigen und Gewöhnlichen bewahrt. Gleich bei seinem ersten Auf¬ treten im Kriegsgericht gegen den Grafen Zichy erscheint er uns bedeutend. Er schützt ihn zuerst mit Waffengewalt gegen die aufgeregten Honveds und bringt ihn in Sicherheit, dann untersucht er seine Schuld und läßt ihn kaltblütig hängen. Eine ähnliche Entschiedenheit und Rücksichtslosigkeit entwickelt er in allen übrigen Fällen. Von der Anklage des Verraths ist er vollkommen freizusprechen. Gleich beim ersten Einmarsch der Russen war er überzeugt, daß die Sache Ungarns ver¬ loren sei; sein einziger Zweck war damals noch, durch einen entschiedenen Hand-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/254>, abgerufen am 04.07.2024.