Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

vrirfähig. Die wenigen regulciiren Truppen und einige Honvedbataillons aus¬
genommen, besteht unsre Armee aus Abtheilungen, welche bei den einfachsten Be¬
wegungen auf dem Exercirplatze in Unordnung gerathen; und diese werden
meistens von Leuten commandirt, welche bei ihrer geringen militairischen Bildung
die einmal eingerissene Unordnung nur zu erhöhen geeignet find. -- Auf dem
Schlachtfelde entscheidet in kritischen Momenten nicht selten eine von einzelnen
Abtheilungen mit Präcision ausgeführte Bewegung, meistens aber das ruhige,
geordnete Beisammenbleiben der Truppen im Vertrauen auf die Selbstständigkeit
ihres Commandanten, und die ruhige Entschlossenheit des Letztern im Vertrauen
aus den unerschütterlichen Gehorsam seiner Untergebenen. Bei allen Abtheilun¬
gen der Nationalgarde und der sogenannten Freiwilligen, aus welchen nahe an
zwei Drittheile unsrer Armee zusammengesetzt sind, können wir dieses gegenseitige
Vertrauen nicht voraussetzen,, denn wir vermissen die Bedingnisse hierzu. -- Jede
Offensive fordert ferner, soll sie nachhallend gelingen, eine sichere, geregelte Ver¬
pflegung der Truppen, sonst scheitert sie an deren physischer Entkräftung.
Disciplinirte Truppen kann man auf mehrere Tage voraus mit den nöthigen
Lebensmitteln versehen, nicht so die undisciplinirten. Dem Nationalgardisten und
dem Freiwilligen dünkt es unbequem, seine mehrtägige Ration ans dem ohnedies
beschwerlichen Marsche mitzuschleppen; er stillt seinen augenblicklichen Hunger und
verkauft oder verschenkt den Nest, oder er wirft ihn geradezu weg. Aus diesem
Uebelstande folgt die Nothwendigkeit, sogar die für den nächsten Tag bestimmten
Lebensmittel den Truppen stets nachführen zu lassen, und die Armee wird mit
einem Wagentrain belastet, welcher nicht selten allein hinreicht, ihre Bewegungen
gerade in den kritischen Momenten zu hemmen n. s. w." Kossuth wurde über diese
Erklärung, die sich noch über alle übrigen nothwendigen Punkte verbreitete, ver¬
stimmt und fragte Görgei, wie hoch er die Begeisterung anschlage, welche seine
Anrede bei den Truppen hervorzurufen vermöge? -- Im Lager und unmittelbar
nach der Anrede sehr hoch, erwiderte Görgei, nach erlittenen Strapazen und An-,
gesichts des Feindes jedoch sehr gering. -- Also glauben Sie, fragte Kossuth,
daß wir von unsrer Armee keinen Mann mehr zurückbringen werden? -- Für
die Rettung der Nationalgarten und Freiwillige", antwortete Görgei, bürgt mir
deren Leichtfüßigkeit, aber die wenigen guten Truppen, über welche wir disponiren,
könnten dabei zu Grunde gehen, und mit ihnen das Material, dessen wir zur
Herbeischaffung einer brauchbaren Armee so dringend bedürfen.

Wir haben diese Bemerkungen mitgetheilt, um auf den Gegensatz im
Wesen dieser beiden Männer und der von ihnen vertretenen Parteien hinzudeuten.
Der nämliche Gegensatz geht im ganzen Laus des Feldzugs ununterbrochen fort.
Wenn aber auch in diesem Fall, Und vielleicht stets, wo es eine praktische Frage
galt, der Soldat im Recht war gegen den Rhetor, so können wir uns doch nicht
läugnen, daß die Art und Weise, wie er sein Recht geltend machte, seiner eigenen


31*

vrirfähig. Die wenigen regulciiren Truppen und einige Honvedbataillons aus¬
genommen, besteht unsre Armee aus Abtheilungen, welche bei den einfachsten Be¬
wegungen auf dem Exercirplatze in Unordnung gerathen; und diese werden
meistens von Leuten commandirt, welche bei ihrer geringen militairischen Bildung
die einmal eingerissene Unordnung nur zu erhöhen geeignet find. — Auf dem
Schlachtfelde entscheidet in kritischen Momenten nicht selten eine von einzelnen
Abtheilungen mit Präcision ausgeführte Bewegung, meistens aber das ruhige,
geordnete Beisammenbleiben der Truppen im Vertrauen auf die Selbstständigkeit
ihres Commandanten, und die ruhige Entschlossenheit des Letztern im Vertrauen
aus den unerschütterlichen Gehorsam seiner Untergebenen. Bei allen Abtheilun¬
gen der Nationalgarde und der sogenannten Freiwilligen, aus welchen nahe an
zwei Drittheile unsrer Armee zusammengesetzt sind, können wir dieses gegenseitige
Vertrauen nicht voraussetzen,, denn wir vermissen die Bedingnisse hierzu. — Jede
Offensive fordert ferner, soll sie nachhallend gelingen, eine sichere, geregelte Ver¬
pflegung der Truppen, sonst scheitert sie an deren physischer Entkräftung.
Disciplinirte Truppen kann man auf mehrere Tage voraus mit den nöthigen
Lebensmitteln versehen, nicht so die undisciplinirten. Dem Nationalgardisten und
dem Freiwilligen dünkt es unbequem, seine mehrtägige Ration ans dem ohnedies
beschwerlichen Marsche mitzuschleppen; er stillt seinen augenblicklichen Hunger und
verkauft oder verschenkt den Nest, oder er wirft ihn geradezu weg. Aus diesem
Uebelstande folgt die Nothwendigkeit, sogar die für den nächsten Tag bestimmten
Lebensmittel den Truppen stets nachführen zu lassen, und die Armee wird mit
einem Wagentrain belastet, welcher nicht selten allein hinreicht, ihre Bewegungen
gerade in den kritischen Momenten zu hemmen n. s. w." Kossuth wurde über diese
Erklärung, die sich noch über alle übrigen nothwendigen Punkte verbreitete, ver¬
stimmt und fragte Görgei, wie hoch er die Begeisterung anschlage, welche seine
Anrede bei den Truppen hervorzurufen vermöge? — Im Lager und unmittelbar
nach der Anrede sehr hoch, erwiderte Görgei, nach erlittenen Strapazen und An-,
gesichts des Feindes jedoch sehr gering. — Also glauben Sie, fragte Kossuth,
daß wir von unsrer Armee keinen Mann mehr zurückbringen werden? — Für
die Rettung der Nationalgarten und Freiwillige«, antwortete Görgei, bürgt mir
deren Leichtfüßigkeit, aber die wenigen guten Truppen, über welche wir disponiren,
könnten dabei zu Grunde gehen, und mit ihnen das Material, dessen wir zur
Herbeischaffung einer brauchbaren Armee so dringend bedürfen.

Wir haben diese Bemerkungen mitgetheilt, um auf den Gegensatz im
Wesen dieser beiden Männer und der von ihnen vertretenen Parteien hinzudeuten.
Der nämliche Gegensatz geht im ganzen Laus des Feldzugs ununterbrochen fort.
Wenn aber auch in diesem Fall, Und vielleicht stets, wo es eine praktische Frage
galt, der Soldat im Recht war gegen den Rhetor, so können wir uns doch nicht
läugnen, daß die Art und Weise, wie er sein Recht geltend machte, seiner eigenen


31*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0253" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/94154"/>
          <p xml:id="ID_704" prev="#ID_703"> vrirfähig. Die wenigen regulciiren Truppen und einige Honvedbataillons aus¬<lb/>
genommen, besteht unsre Armee aus Abtheilungen, welche bei den einfachsten Be¬<lb/>
wegungen auf dem Exercirplatze in Unordnung gerathen; und diese werden<lb/>
meistens von Leuten commandirt, welche bei ihrer geringen militairischen Bildung<lb/>
die einmal eingerissene Unordnung nur zu erhöhen geeignet find. &#x2014; Auf dem<lb/>
Schlachtfelde entscheidet in kritischen Momenten nicht selten eine von einzelnen<lb/>
Abtheilungen mit Präcision ausgeführte Bewegung, meistens aber das ruhige,<lb/>
geordnete Beisammenbleiben der Truppen im Vertrauen auf die Selbstständigkeit<lb/>
ihres Commandanten, und die ruhige Entschlossenheit des Letztern im Vertrauen<lb/>
aus den unerschütterlichen Gehorsam seiner Untergebenen. Bei allen Abtheilun¬<lb/>
gen der Nationalgarde und der sogenannten Freiwilligen, aus welchen nahe an<lb/>
zwei Drittheile unsrer Armee zusammengesetzt sind, können wir dieses gegenseitige<lb/>
Vertrauen nicht voraussetzen,, denn wir vermissen die Bedingnisse hierzu. &#x2014; Jede<lb/>
Offensive fordert ferner, soll sie nachhallend gelingen, eine sichere, geregelte Ver¬<lb/>
pflegung der Truppen, sonst scheitert sie an deren physischer Entkräftung.<lb/>
Disciplinirte Truppen kann man auf mehrere Tage voraus mit den nöthigen<lb/>
Lebensmitteln versehen, nicht so die undisciplinirten. Dem Nationalgardisten und<lb/>
dem Freiwilligen dünkt es unbequem, seine mehrtägige Ration ans dem ohnedies<lb/>
beschwerlichen Marsche mitzuschleppen; er stillt seinen augenblicklichen Hunger und<lb/>
verkauft oder verschenkt den Nest, oder er wirft ihn geradezu weg. Aus diesem<lb/>
Uebelstande folgt die Nothwendigkeit, sogar die für den nächsten Tag bestimmten<lb/>
Lebensmittel den Truppen stets nachführen zu lassen, und die Armee wird mit<lb/>
einem Wagentrain belastet, welcher nicht selten allein hinreicht, ihre Bewegungen<lb/>
gerade in den kritischen Momenten zu hemmen n. s. w." Kossuth wurde über diese<lb/>
Erklärung, die sich noch über alle übrigen nothwendigen Punkte verbreitete, ver¬<lb/>
stimmt und fragte Görgei, wie hoch er die Begeisterung anschlage, welche seine<lb/>
Anrede bei den Truppen hervorzurufen vermöge? &#x2014; Im Lager und unmittelbar<lb/>
nach der Anrede sehr hoch, erwiderte Görgei, nach erlittenen Strapazen und An-,<lb/>
gesichts des Feindes jedoch sehr gering. &#x2014; Also glauben Sie, fragte Kossuth,<lb/>
daß wir von unsrer Armee keinen Mann mehr zurückbringen werden? &#x2014; Für<lb/>
die Rettung der Nationalgarten und Freiwillige«, antwortete Görgei, bürgt mir<lb/>
deren Leichtfüßigkeit, aber die wenigen guten Truppen, über welche wir disponiren,<lb/>
könnten dabei zu Grunde gehen, und mit ihnen das Material, dessen wir zur<lb/>
Herbeischaffung einer brauchbaren Armee so dringend bedürfen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_705" next="#ID_706"> Wir haben diese Bemerkungen mitgetheilt, um auf den Gegensatz im<lb/>
Wesen dieser beiden Männer und der von ihnen vertretenen Parteien hinzudeuten.<lb/>
Der nämliche Gegensatz geht im ganzen Laus des Feldzugs ununterbrochen fort.<lb/>
Wenn aber auch in diesem Fall, Und vielleicht stets, wo es eine praktische Frage<lb/>
galt, der Soldat im Recht war gegen den Rhetor, so können wir uns doch nicht<lb/>
läugnen, daß die Art und Weise, wie er sein Recht geltend machte, seiner eigenen</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 31*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0253] vrirfähig. Die wenigen regulciiren Truppen und einige Honvedbataillons aus¬ genommen, besteht unsre Armee aus Abtheilungen, welche bei den einfachsten Be¬ wegungen auf dem Exercirplatze in Unordnung gerathen; und diese werden meistens von Leuten commandirt, welche bei ihrer geringen militairischen Bildung die einmal eingerissene Unordnung nur zu erhöhen geeignet find. — Auf dem Schlachtfelde entscheidet in kritischen Momenten nicht selten eine von einzelnen Abtheilungen mit Präcision ausgeführte Bewegung, meistens aber das ruhige, geordnete Beisammenbleiben der Truppen im Vertrauen auf die Selbstständigkeit ihres Commandanten, und die ruhige Entschlossenheit des Letztern im Vertrauen aus den unerschütterlichen Gehorsam seiner Untergebenen. Bei allen Abtheilun¬ gen der Nationalgarde und der sogenannten Freiwilligen, aus welchen nahe an zwei Drittheile unsrer Armee zusammengesetzt sind, können wir dieses gegenseitige Vertrauen nicht voraussetzen,, denn wir vermissen die Bedingnisse hierzu. — Jede Offensive fordert ferner, soll sie nachhallend gelingen, eine sichere, geregelte Ver¬ pflegung der Truppen, sonst scheitert sie an deren physischer Entkräftung. Disciplinirte Truppen kann man auf mehrere Tage voraus mit den nöthigen Lebensmitteln versehen, nicht so die undisciplinirten. Dem Nationalgardisten und dem Freiwilligen dünkt es unbequem, seine mehrtägige Ration ans dem ohnedies beschwerlichen Marsche mitzuschleppen; er stillt seinen augenblicklichen Hunger und verkauft oder verschenkt den Nest, oder er wirft ihn geradezu weg. Aus diesem Uebelstande folgt die Nothwendigkeit, sogar die für den nächsten Tag bestimmten Lebensmittel den Truppen stets nachführen zu lassen, und die Armee wird mit einem Wagentrain belastet, welcher nicht selten allein hinreicht, ihre Bewegungen gerade in den kritischen Momenten zu hemmen n. s. w." Kossuth wurde über diese Erklärung, die sich noch über alle übrigen nothwendigen Punkte verbreitete, ver¬ stimmt und fragte Görgei, wie hoch er die Begeisterung anschlage, welche seine Anrede bei den Truppen hervorzurufen vermöge? — Im Lager und unmittelbar nach der Anrede sehr hoch, erwiderte Görgei, nach erlittenen Strapazen und An-, gesichts des Feindes jedoch sehr gering. — Also glauben Sie, fragte Kossuth, daß wir von unsrer Armee keinen Mann mehr zurückbringen werden? — Für die Rettung der Nationalgarten und Freiwillige«, antwortete Görgei, bürgt mir deren Leichtfüßigkeit, aber die wenigen guten Truppen, über welche wir disponiren, könnten dabei zu Grunde gehen, und mit ihnen das Material, dessen wir zur Herbeischaffung einer brauchbaren Armee so dringend bedürfen. Wir haben diese Bemerkungen mitgetheilt, um auf den Gegensatz im Wesen dieser beiden Männer und der von ihnen vertretenen Parteien hinzudeuten. Der nämliche Gegensatz geht im ganzen Laus des Feldzugs ununterbrochen fort. Wenn aber auch in diesem Fall, Und vielleicht stets, wo es eine praktische Frage galt, der Soldat im Recht war gegen den Rhetor, so können wir uns doch nicht läugnen, daß die Art und Weise, wie er sein Recht geltend machte, seiner eigenen 31*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/253
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/253>, abgerufen am 04.07.2024.