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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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parlamentarische und militärische Größen Ungarns geredet wird, weder befremden,
noch zu einseitiger Ansicht verleiten. Gerade weil die subjective Stimmung so
grell hervortritt, können wir uns sehr bald entscheiden, wie weit wir ihr zu fol¬
gen haben.

Aber diese Färbung bezieht sich nur auf die mitgetheilten Ansichten, nicht
auf die Thatsachen. In Beziehung auf. die letzteren macht das Buch deu Ein¬
druck der unbedingtesten Wahrheitsliebe, und wir glauben uns namentlich auf
die Berichte über einzelne Unterredungen mit Kossuth :c>, so seltsam sie mitunter
klinge", unbedingt verlassen zu können. -- Fassen wir den Eindruck zusammen, den
die Darstellung des ungarischen Feldzugs auf uns macht, so ist er ein nicht sehr
erfreulicher. Von der poetischen Färbung, welche die älteren halb belletristischen
Berichte dem ungarischen Freiheitskämpfe gaben, ist gar keine Rede, wir haben
die nackteste Prosa, aber gerade darum können wir viel daraus lernen. Die
Romantik der Tschikosen, der Steppen, des Rakvczy-Marsches und der Zigeuner
verschwindet im Nebel, und aus dem epischen Heroismus wird die historische Tak¬
tik. Im Jahre 1848 lebte namentlich in Deutschland der unglückselige Wahn,
daß ein Volk sich nur für die Freiheit zu begeistern, seine Sensen zu schleifen
und sich im Pistolenschießen zu üben brauche, um jeder beliebigen Armee Wider¬
stand zu leisten. Bei der neuern Kriegführung ist dieser Wahn nicht nachdrück¬
lich genug zu bekämpfen. Wo eine Jnsurrection sich gegen massenhafte feindliche
Truppen auch nur eine Zeit lang behauptete, war immer eine disciplinirte Armee
als Grundlage der Jnsurrection vorhanden, an die sich dann die freiwillig oder
unfreiwillig ausgehobenen Recruten allmählich anfügen ließen. So in Polen 1831,
so in Schleswig-Holstein, so in Deutschland 1813, so in Ungarn. Die Begeiste¬
rung allein reicht nicht ans. Sie schasst zwar Freiwillige und unter Umständen
auch Geld, aber sie macht es dem Feldherrn allein noch nicht möglich, über sein
Heer so zu gebieten, wie es nothwendig ist, um den Feind mit Erfolg anzugreifen.
Sehr interessant ist in dieser Beziehung die Stellung, welche Görgei bei Ge¬
legenheit der Wiener, Jnsurrection im Kriegsrathe gegen Kossuth einnahm.
Kossuth verlangte eine Ueberschreitung des östreichischen Gebiets, ein Theil der
Officiere hielt einen solchen Einbruch für eine Rechtsverletzung, für ein frevel¬
haftes Ueberschreiten der dem ungarischen Heere gesetzten Ausgabe. - Görgei theilte
diese Bedenken nicht; vom politischen Standpunkt hatte er gegen die Operation Nichts
einzuwenden, desto mehr vom militärischen. Er führte das folgendermaßen aus: "Ab¬
gesehen von der numerischen Ueberlegenheit des Feindes, haben wir uns blos zu fra¬
gen, ob unsre Armee in jener Verfassung sei, welche das Gelingen einer Offensivope¬
ration bedingt? Truppen, mit welchen man offensiv operiren will, müssen manövrir-
sähig sein, d. h. jede Abtheilung derselben muß die Fertigkeit besitzen, die anbefohlenen
Bewegungen in der vorgeschriebenen Zeit und im Einklange mit den nebenstehenden
Abtheilungen auszuführen. -- Nur ein sehr geringer Theil unsrer Arme ist mano-


parlamentarische und militärische Größen Ungarns geredet wird, weder befremden,
noch zu einseitiger Ansicht verleiten. Gerade weil die subjective Stimmung so
grell hervortritt, können wir uns sehr bald entscheiden, wie weit wir ihr zu fol¬
gen haben.

Aber diese Färbung bezieht sich nur auf die mitgetheilten Ansichten, nicht
auf die Thatsachen. In Beziehung auf. die letzteren macht das Buch deu Ein¬
druck der unbedingtesten Wahrheitsliebe, und wir glauben uns namentlich auf
die Berichte über einzelne Unterredungen mit Kossuth :c>, so seltsam sie mitunter
klinge», unbedingt verlassen zu können. — Fassen wir den Eindruck zusammen, den
die Darstellung des ungarischen Feldzugs auf uns macht, so ist er ein nicht sehr
erfreulicher. Von der poetischen Färbung, welche die älteren halb belletristischen
Berichte dem ungarischen Freiheitskämpfe gaben, ist gar keine Rede, wir haben
die nackteste Prosa, aber gerade darum können wir viel daraus lernen. Die
Romantik der Tschikosen, der Steppen, des Rakvczy-Marsches und der Zigeuner
verschwindet im Nebel, und aus dem epischen Heroismus wird die historische Tak¬
tik. Im Jahre 1848 lebte namentlich in Deutschland der unglückselige Wahn,
daß ein Volk sich nur für die Freiheit zu begeistern, seine Sensen zu schleifen
und sich im Pistolenschießen zu üben brauche, um jeder beliebigen Armee Wider¬
stand zu leisten. Bei der neuern Kriegführung ist dieser Wahn nicht nachdrück¬
lich genug zu bekämpfen. Wo eine Jnsurrection sich gegen massenhafte feindliche
Truppen auch nur eine Zeit lang behauptete, war immer eine disciplinirte Armee
als Grundlage der Jnsurrection vorhanden, an die sich dann die freiwillig oder
unfreiwillig ausgehobenen Recruten allmählich anfügen ließen. So in Polen 1831,
so in Schleswig-Holstein, so in Deutschland 1813, so in Ungarn. Die Begeiste¬
rung allein reicht nicht ans. Sie schasst zwar Freiwillige und unter Umständen
auch Geld, aber sie macht es dem Feldherrn allein noch nicht möglich, über sein
Heer so zu gebieten, wie es nothwendig ist, um den Feind mit Erfolg anzugreifen.
Sehr interessant ist in dieser Beziehung die Stellung, welche Görgei bei Ge¬
legenheit der Wiener, Jnsurrection im Kriegsrathe gegen Kossuth einnahm.
Kossuth verlangte eine Ueberschreitung des östreichischen Gebiets, ein Theil der
Officiere hielt einen solchen Einbruch für eine Rechtsverletzung, für ein frevel¬
haftes Ueberschreiten der dem ungarischen Heere gesetzten Ausgabe. - Görgei theilte
diese Bedenken nicht; vom politischen Standpunkt hatte er gegen die Operation Nichts
einzuwenden, desto mehr vom militärischen. Er führte das folgendermaßen aus: „Ab¬
gesehen von der numerischen Ueberlegenheit des Feindes, haben wir uns blos zu fra¬
gen, ob unsre Armee in jener Verfassung sei, welche das Gelingen einer Offensivope¬
ration bedingt? Truppen, mit welchen man offensiv operiren will, müssen manövrir-
sähig sein, d. h. jede Abtheilung derselben muß die Fertigkeit besitzen, die anbefohlenen
Bewegungen in der vorgeschriebenen Zeit und im Einklange mit den nebenstehenden
Abtheilungen auszuführen. — Nur ein sehr geringer Theil unsrer Arme ist mano-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/252>, abgerufen am 25.07.2024.