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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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den und dann jämmerlich von Kartoffeln leben, während der oldcnbnrger Hencr-
mann, bei nicht übermäßiger Arbeit, Butter und Rauchfleisch oder Speck täglich
ans seiueM Tische sieht.

Von dem Wohlstande, der sich bei dem Oldenburger findet, leite ich zum
guten Theil seinen Unabhängigkeitssinn, seine Abneigung gegen jede Art von
Knechtschaft, politische wie religiöse, ab. Wollte man einwenden, daß die Re-
gierungsform Oldenburgs bis zum Jahre eine absolute geblieben, woraus
dann das Großherzogthum deu meisten deutschen Staaten mit seiner Konstitution
nachgehinkt sei, was schwerlich von Freiheitsliebe der Einwohner zeuge: so ist zu
erwidern, daß allerdings der politische Sinn derselben wenig geweckt, nichts desto
weniger aber die Freiheitsliebe, vielleicht mehr als in irgend einem deutschen
Lande, vorhanden ist. Ein Ländchen, das, wie Oldenburg, außer dem Strome
der große" Bewegung liegt, das, von Hannover umspannt, in allen deutschen An¬
gelegenheiten diesem beipflichten muß, kaun wenig Gelegenheit zur Entwickelung
, des politische" Sinns gewähren. Der Unabhängigkeitssinn und die Freiheitsliebe,
dieses angestammte Erbe der alten Sachsen und Friesen, sind nichts desto weniger
vorhanden, und gerade weil sie vorhanden waren, gerade weil in allen Sphären
des bürgerlichen Lebens, in allen Organen der Regierung Achtung der Menschen¬
würde und strenge Rechtlichkeit sich geltend machten, haben die alten Formen
länger vorgehalten als anderswo. Es ging, wie bei den Bauern und ihren
Heuerlingen; das Recht der Untergebenen war nicht verbrieft, kam aber redlich
zur Ausführung, während es in anderen Staaten verbrieft war und nicht zur
Ausführung kam. Hätte Schiller ni Oldenburg gelebt, er hätte keinen Stoff zu
Cabale und Liebe gesunden; denn es galt dort das patriarchalische Regiment im
besten Sinne des Worts. Als dann die Konstitution nicht mehr zurückzuweisen
war, wurde sie gegeben und bis heute, soweit es möglich war, redlich gehalten
und treulich durchgeführt. Daher die merkwürdige Erscheinung, daß die Olden¬
burger, diese Konstitutionellen von gestern, weit mehr Menschenwürde in sich
tragen, weit weniger harte Behandlung, Schimpf und Spott dulden, als die Alt-
constitntionellen in Deutschland. Man stelle doch diese Niedersachsen neben die
Sachsen im neuern Sinne des Worts. Welches höfische Wesen, welches tiefe
Hutabziehen, welche Bücklinge auf dieser, welche steife, stolze Nacken ans jener
Seite. Mich hat immer das "Ihr Gnaden" und "ich tuss' die Hand" der
Bayern und Oestreicher widrig berührt, und wenn mir gar. wirklich die Hand,
die Schulter oder gar der Rockzipfel geküßt wurde, fühlte ich mich über diese
Manieren empört, die uur Resultate einer langen und harten Knechtschaft sein
können. Im Oldenburgischen wird man sich in diesen Dingen eher über ein
Zuwenig als über ein Zuviel beklagen können. Der Bauer und sein Knecht
rücken kaum am Hute, wenn sie Dich begrüßen. Redet er Dich "Herr" an, so ist
das schon ein großer Luxus; jedenfalls fällt ihm dieses Wort nur sehr nachlässig


den und dann jämmerlich von Kartoffeln leben, während der oldcnbnrger Hencr-
mann, bei nicht übermäßiger Arbeit, Butter und Rauchfleisch oder Speck täglich
ans seiueM Tische sieht.

Von dem Wohlstande, der sich bei dem Oldenburger findet, leite ich zum
guten Theil seinen Unabhängigkeitssinn, seine Abneigung gegen jede Art von
Knechtschaft, politische wie religiöse, ab. Wollte man einwenden, daß die Re-
gierungsform Oldenburgs bis zum Jahre eine absolute geblieben, woraus
dann das Großherzogthum deu meisten deutschen Staaten mit seiner Konstitution
nachgehinkt sei, was schwerlich von Freiheitsliebe der Einwohner zeuge: so ist zu
erwidern, daß allerdings der politische Sinn derselben wenig geweckt, nichts desto
weniger aber die Freiheitsliebe, vielleicht mehr als in irgend einem deutschen
Lande, vorhanden ist. Ein Ländchen, das, wie Oldenburg, außer dem Strome
der große» Bewegung liegt, das, von Hannover umspannt, in allen deutschen An¬
gelegenheiten diesem beipflichten muß, kaun wenig Gelegenheit zur Entwickelung
, des politische» Sinns gewähren. Der Unabhängigkeitssinn und die Freiheitsliebe,
dieses angestammte Erbe der alten Sachsen und Friesen, sind nichts desto weniger
vorhanden, und gerade weil sie vorhanden waren, gerade weil in allen Sphären
des bürgerlichen Lebens, in allen Organen der Regierung Achtung der Menschen¬
würde und strenge Rechtlichkeit sich geltend machten, haben die alten Formen
länger vorgehalten als anderswo. Es ging, wie bei den Bauern und ihren
Heuerlingen; das Recht der Untergebenen war nicht verbrieft, kam aber redlich
zur Ausführung, während es in anderen Staaten verbrieft war und nicht zur
Ausführung kam. Hätte Schiller ni Oldenburg gelebt, er hätte keinen Stoff zu
Cabale und Liebe gesunden; denn es galt dort das patriarchalische Regiment im
besten Sinne des Worts. Als dann die Konstitution nicht mehr zurückzuweisen
war, wurde sie gegeben und bis heute, soweit es möglich war, redlich gehalten
und treulich durchgeführt. Daher die merkwürdige Erscheinung, daß die Olden¬
burger, diese Konstitutionellen von gestern, weit mehr Menschenwürde in sich
tragen, weit weniger harte Behandlung, Schimpf und Spott dulden, als die Alt-
constitntionellen in Deutschland. Man stelle doch diese Niedersachsen neben die
Sachsen im neuern Sinne des Worts. Welches höfische Wesen, welches tiefe
Hutabziehen, welche Bücklinge auf dieser, welche steife, stolze Nacken ans jener
Seite. Mich hat immer das „Ihr Gnaden" und „ich tuss' die Hand" der
Bayern und Oestreicher widrig berührt, und wenn mir gar. wirklich die Hand,
die Schulter oder gar der Rockzipfel geküßt wurde, fühlte ich mich über diese
Manieren empört, die uur Resultate einer langen und harten Knechtschaft sein
können. Im Oldenburgischen wird man sich in diesen Dingen eher über ein
Zuwenig als über ein Zuviel beklagen können. Der Bauer und sein Knecht
rücken kaum am Hute, wenn sie Dich begrüßen. Redet er Dich „Herr" an, so ist
das schon ein großer Luxus; jedenfalls fällt ihm dieses Wort nur sehr nachlässig


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/240>, abgerufen am 24.07.2024.