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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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stechen, Canal- oder Deichbau nach Ostfriesland und Holland. Da das Gras¬
mähen zwischen die Frühlingssaat und die Ernte fällt, versäumt der Heuermann,
der keine Sommerfrncht baut, zu Hause Nichts. Die Frau besorgt den Garde"
gern allein in Hoffnung auf die -Is --2S holländischen Gulden, die er mitzu¬
bringen pflegt. Geht er zum Torfmachen fort, so bricht er schon früher anf und
bleibt bis zur Ernte; dann ist aber auch seine Börse mit 80--100 Gulden ge¬
spickt! Viele gehen auch Sommers zu Schiffe und dienen als Matrosen auf
Heringsbusen und auch wol beim Wallfischfang.

Man kann ans die beiden Kreise Vechla und Kloppeubnrg einige tausend
solcher Hollandgäuger rechnen, die jährlich 40 -- 60,000 Thaler ins Land
bringen. Auch das Altoldeuburgische, das Osnabrückische und Ostfriesland liefern
viele dieser Leute. Im Mai und Juni steht man fast täglich ganze Schaaren, den
Rock und ein Bündelchen am Sensenstock, die Stadt Oldenburg durchziehen.
Der Weg ist doppelt weit für sie, denn der Oldenburger ist el" schlechter Fu߬
gänger. Die Arbeit, welche die MynhcerS. ihnen auferlegen, ist, wie man denken
kann, nicht gering. Braun und abgemagert kehren sie zurück; mancher büßt auch bei den
Wasserbauten, ein Opfer der nassen Arbeit und des Branntweins, sein Lebe" ein. Die
zurückgelassene Fran, in deren Lehmhütte plötzlich, statt des langentbehrten Gatten
und der vielwillkommenen Summe, die Todesnachricht aus der Fremde eintrifft,
findet dann meist in dem Bauern einen milden Herrn, der sie mit ihren Kleinen
nicht vor die Schwelle setzt, sondern ruhig zusteht, bis die heranwachsenden Kinder
ihm die entbehrte Hilfe gewähren.

Ueberhaupt hat der Heucrling an dem Hausmann nicht allein einen Herrn,
sondern auch eiuen Schützer und Helfer in der Noth. Er fährt ihm Torf,
Dünger, Heu und Früchte, wenn der Miethmann außer Staude ist; er ackert im
Nothfall für ihn, bäckt ihm Brod, versteht ihn mit Milch, wenn vielleicht die
einzige Kuh des Heuermanns trocken steht, holt ihm den Doctor und bringt seine
Todten nach dem fernen Gottesacker. Endlich wird es in schlechten Jahren mit
der Pacht nicht streng genommen.

Dieses patriarchalische Verhältniß, besteht von den Vätern zu den Söhnen und
Enkeln fort, ohne schriftliche Verträge, blos auf gegenseitiges Vertrauen gegrün¬
det. Von Packen und Acten ist der oldeubnrger Bauer'überhaupt kein Freund.
Wat Schrift, kliwwt, pflegt er zu sagen (das Geschriebene haftet); man kann
sich nie mehr davon losmachen. Allerdings ist der Heuermauu kein unabhängiger,
aber auch kein unfreier Mann; denn seine Abhängigkeit ist eine völlig freiwillige.
Ein solches Verhältniß zu tadeln, ist freilich leicht, jedoch schwer, es zu bessern.
Jedenfalls ist das Loos dieser Volksklasse im Oldenburgischen weit günstiger, als
das vieler Grundbesitzer in Ländern, wo es weder geschlossene Stellen noch Hener-
linge giebt, und die Güter zu gleichen Theilen an die Kinder fallen; ich meine
jene Grundbesitzer, die aus ein handgroßes Fleckchen Feld einen Hausstand grün-


stechen, Canal- oder Deichbau nach Ostfriesland und Holland. Da das Gras¬
mähen zwischen die Frühlingssaat und die Ernte fällt, versäumt der Heuermann,
der keine Sommerfrncht baut, zu Hause Nichts. Die Frau besorgt den Garde»
gern allein in Hoffnung auf die -Is —2S holländischen Gulden, die er mitzu¬
bringen pflegt. Geht er zum Torfmachen fort, so bricht er schon früher anf und
bleibt bis zur Ernte; dann ist aber auch seine Börse mit 80—100 Gulden ge¬
spickt! Viele gehen auch Sommers zu Schiffe und dienen als Matrosen auf
Heringsbusen und auch wol beim Wallfischfang.

Man kann ans die beiden Kreise Vechla und Kloppeubnrg einige tausend
solcher Hollandgäuger rechnen, die jährlich 40 — 60,000 Thaler ins Land
bringen. Auch das Altoldeuburgische, das Osnabrückische und Ostfriesland liefern
viele dieser Leute. Im Mai und Juni steht man fast täglich ganze Schaaren, den
Rock und ein Bündelchen am Sensenstock, die Stadt Oldenburg durchziehen.
Der Weg ist doppelt weit für sie, denn der Oldenburger ist el» schlechter Fu߬
gänger. Die Arbeit, welche die MynhcerS. ihnen auferlegen, ist, wie man denken
kann, nicht gering. Braun und abgemagert kehren sie zurück; mancher büßt auch bei den
Wasserbauten, ein Opfer der nassen Arbeit und des Branntweins, sein Lebe» ein. Die
zurückgelassene Fran, in deren Lehmhütte plötzlich, statt des langentbehrten Gatten
und der vielwillkommenen Summe, die Todesnachricht aus der Fremde eintrifft,
findet dann meist in dem Bauern einen milden Herrn, der sie mit ihren Kleinen
nicht vor die Schwelle setzt, sondern ruhig zusteht, bis die heranwachsenden Kinder
ihm die entbehrte Hilfe gewähren.

Ueberhaupt hat der Heucrling an dem Hausmann nicht allein einen Herrn,
sondern auch eiuen Schützer und Helfer in der Noth. Er fährt ihm Torf,
Dünger, Heu und Früchte, wenn der Miethmann außer Staude ist; er ackert im
Nothfall für ihn, bäckt ihm Brod, versteht ihn mit Milch, wenn vielleicht die
einzige Kuh des Heuermanns trocken steht, holt ihm den Doctor und bringt seine
Todten nach dem fernen Gottesacker. Endlich wird es in schlechten Jahren mit
der Pacht nicht streng genommen.

Dieses patriarchalische Verhältniß, besteht von den Vätern zu den Söhnen und
Enkeln fort, ohne schriftliche Verträge, blos auf gegenseitiges Vertrauen gegrün¬
det. Von Packen und Acten ist der oldeubnrger Bauer'überhaupt kein Freund.
Wat Schrift, kliwwt, pflegt er zu sagen (das Geschriebene haftet); man kann
sich nie mehr davon losmachen. Allerdings ist der Heuermauu kein unabhängiger,
aber auch kein unfreier Mann; denn seine Abhängigkeit ist eine völlig freiwillige.
Ein solches Verhältniß zu tadeln, ist freilich leicht, jedoch schwer, es zu bessern.
Jedenfalls ist das Loos dieser Volksklasse im Oldenburgischen weit günstiger, als
das vieler Grundbesitzer in Ländern, wo es weder geschlossene Stellen noch Hener-
linge giebt, und die Güter zu gleichen Theilen an die Kinder fallen; ich meine
jene Grundbesitzer, die aus ein handgroßes Fleckchen Feld einen Hausstand grün-


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[0239] stechen, Canal- oder Deichbau nach Ostfriesland und Holland. Da das Gras¬ mähen zwischen die Frühlingssaat und die Ernte fällt, versäumt der Heuermann, der keine Sommerfrncht baut, zu Hause Nichts. Die Frau besorgt den Garde» gern allein in Hoffnung auf die -Is —2S holländischen Gulden, die er mitzu¬ bringen pflegt. Geht er zum Torfmachen fort, so bricht er schon früher anf und bleibt bis zur Ernte; dann ist aber auch seine Börse mit 80—100 Gulden ge¬ spickt! Viele gehen auch Sommers zu Schiffe und dienen als Matrosen auf Heringsbusen und auch wol beim Wallfischfang. Man kann ans die beiden Kreise Vechla und Kloppeubnrg einige tausend solcher Hollandgäuger rechnen, die jährlich 40 — 60,000 Thaler ins Land bringen. Auch das Altoldeuburgische, das Osnabrückische und Ostfriesland liefern viele dieser Leute. Im Mai und Juni steht man fast täglich ganze Schaaren, den Rock und ein Bündelchen am Sensenstock, die Stadt Oldenburg durchziehen. Der Weg ist doppelt weit für sie, denn der Oldenburger ist el» schlechter Fu߬ gänger. Die Arbeit, welche die MynhcerS. ihnen auferlegen, ist, wie man denken kann, nicht gering. Braun und abgemagert kehren sie zurück; mancher büßt auch bei den Wasserbauten, ein Opfer der nassen Arbeit und des Branntweins, sein Lebe» ein. Die zurückgelassene Fran, in deren Lehmhütte plötzlich, statt des langentbehrten Gatten und der vielwillkommenen Summe, die Todesnachricht aus der Fremde eintrifft, findet dann meist in dem Bauern einen milden Herrn, der sie mit ihren Kleinen nicht vor die Schwelle setzt, sondern ruhig zusteht, bis die heranwachsenden Kinder ihm die entbehrte Hilfe gewähren. Ueberhaupt hat der Heucrling an dem Hausmann nicht allein einen Herrn, sondern auch eiuen Schützer und Helfer in der Noth. Er fährt ihm Torf, Dünger, Heu und Früchte, wenn der Miethmann außer Staude ist; er ackert im Nothfall für ihn, bäckt ihm Brod, versteht ihn mit Milch, wenn vielleicht die einzige Kuh des Heuermanns trocken steht, holt ihm den Doctor und bringt seine Todten nach dem fernen Gottesacker. Endlich wird es in schlechten Jahren mit der Pacht nicht streng genommen. Dieses patriarchalische Verhältniß, besteht von den Vätern zu den Söhnen und Enkeln fort, ohne schriftliche Verträge, blos auf gegenseitiges Vertrauen gegrün¬ det. Von Packen und Acten ist der oldeubnrger Bauer'überhaupt kein Freund. Wat Schrift, kliwwt, pflegt er zu sagen (das Geschriebene haftet); man kann sich nie mehr davon losmachen. Allerdings ist der Heuermauu kein unabhängiger, aber auch kein unfreier Mann; denn seine Abhängigkeit ist eine völlig freiwillige. Ein solches Verhältniß zu tadeln, ist freilich leicht, jedoch schwer, es zu bessern. Jedenfalls ist das Loos dieser Volksklasse im Oldenburgischen weit günstiger, als das vieler Grundbesitzer in Ländern, wo es weder geschlossene Stellen noch Hener- linge giebt, und die Güter zu gleichen Theilen an die Kinder fallen; ich meine jene Grundbesitzer, die aus ein handgroßes Fleckchen Feld einen Hausstand grün-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/239>, abgerufen am 24.07.2024.