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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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ans dem Munde. Vielleicht nickt er blos mit dem Kopfe, wie er das bei Seines¬
gleichen thut; doch legt er leicht seine Hand zutraulich in die Deine. Er legt
sie blos hinein; ein Handschlag oder Händedruck wäre ja zu viel, >wo kein Act
der Freundschaft begangen wird. An dieser Art die Hand zu geben erkennt man
häufig noch an Männern in höheren Lebensstellungen die ländliche Abkunft.

Die Grüße, die beim Kommen oder Gehen getauscht werden, sind so schlicht
als möglich: Goder Morgen, goden Tag, ajü (adieu), gobe Reis', hol
ti hart (unsrem: "Bleibe gesund und munter" entsprechend, das freundlicher,
aber weichlicher ist). Kommen Se baldsmals wedder, sagen die Wirthe,
die auf dem Lande in der Nähe der Stadt Oldenburg Kaffee schenken, zu ihren
scheidenden Gästen. Kommen Sie bald wieder.- Auch sie vermögen sich zu keiner
Höflichkeitsphrase, wie: "Schenken Sie uns bald wieder die Ehre" aufzuschwingen.
Mit Verlöw (Verlaub) hört man wol einmal eine Rede einleiten; es ist aber
fast Nichts der Art in dem Wörterbuche des Oldenbnrgers zu finden. Dagegen
fehlt es nicht an Ausdrücken und Redeweisen, die dem Ohr des Fremden hart
klingen, ohne bös gemeint zu sein. Giww den fremmen Keerl de Hand
(Gieb dem fremden Manne die Hand) ruft vielleicht die Bäuerin bei Deinem Be¬
such einem flachsköpfigen Kinde zu -- so wie sie auch, unter min Keerl
ihren Mann versteht. Ah, he luggt wol! (Ach, er lügt wol!) sagt der
Landmann zu Dir, wenn er glaubt, daß Du irrst.

Die Landleute unter sich machen bei verschiedenen Rangstufen in der Anrede
keinen Unterschied. Der Hausmann und sein Weib heißen nicht "Herr" und
"Frau" bei der Hausgenossenschaft und den Nachbarn, und werden auch nicht
mit ihren Zunamen bezeichnet, sondern, so wie die Dienstboten sich selber unter
einander bei den Vornamen anreden und sich duzen, so verfahren sie auch mit
ihrer Herrschaft. "Er" oder "Sie" hört man nur im Munde des Jüngern,
dem Aeltern gegenüber, vorausgesetzt, daß der Unterschied, der Jahre beträchtlich
ist. Und nicht allein der junge Knecht wird dem betagten Hausmann ein He
(Er) geben, sondern umgekehrt auch der junge Hausmann dem betagten Knechte.
In der Marsch, wo die Rangstufen der Landleute weiter aus einander gehen, fängt
diese trauliche Anrede schon an, dem He-r und Fro Platz zu machen. Ueber-
haupt, giebt es wohl kaum stolzere Bauern in Deutschland, als diese reichen
Friesen in der Marsch. Mit Geringschätzung sehen sie auf die Bewohner der
höher gelegenen mageren Gegenden, und sagen verächtlich: He is man von de
Geest. (Er ist nur von der Geest.) Der Geestbewohner sucht dagegen Trost
in dem Sprichworte:


Is't "ich seit,
Is't ok "ich glatt.

(Ist die Geest auch nicht fett, so ist sie auch nicht glatt.) Hiermit spielt er auf
die schmalen Kleiwege in den Marschen an, die bei trocknem Wetter vortrefflich


ans dem Munde. Vielleicht nickt er blos mit dem Kopfe, wie er das bei Seines¬
gleichen thut; doch legt er leicht seine Hand zutraulich in die Deine. Er legt
sie blos hinein; ein Handschlag oder Händedruck wäre ja zu viel, >wo kein Act
der Freundschaft begangen wird. An dieser Art die Hand zu geben erkennt man
häufig noch an Männern in höheren Lebensstellungen die ländliche Abkunft.

Die Grüße, die beim Kommen oder Gehen getauscht werden, sind so schlicht
als möglich: Goder Morgen, goden Tag, ajü (adieu), gobe Reis', hol
ti hart (unsrem: „Bleibe gesund und munter" entsprechend, das freundlicher,
aber weichlicher ist). Kommen Se baldsmals wedder, sagen die Wirthe,
die auf dem Lande in der Nähe der Stadt Oldenburg Kaffee schenken, zu ihren
scheidenden Gästen. Kommen Sie bald wieder.- Auch sie vermögen sich zu keiner
Höflichkeitsphrase, wie: „Schenken Sie uns bald wieder die Ehre" aufzuschwingen.
Mit Verlöw (Verlaub) hört man wol einmal eine Rede einleiten; es ist aber
fast Nichts der Art in dem Wörterbuche des Oldenbnrgers zu finden. Dagegen
fehlt es nicht an Ausdrücken und Redeweisen, die dem Ohr des Fremden hart
klingen, ohne bös gemeint zu sein. Giww den fremmen Keerl de Hand
(Gieb dem fremden Manne die Hand) ruft vielleicht die Bäuerin bei Deinem Be¬
such einem flachsköpfigen Kinde zu — so wie sie auch, unter min Keerl
ihren Mann versteht. Ah, he luggt wol! (Ach, er lügt wol!) sagt der
Landmann zu Dir, wenn er glaubt, daß Du irrst.

Die Landleute unter sich machen bei verschiedenen Rangstufen in der Anrede
keinen Unterschied. Der Hausmann und sein Weib heißen nicht „Herr" und
„Frau" bei der Hausgenossenschaft und den Nachbarn, und werden auch nicht
mit ihren Zunamen bezeichnet, sondern, so wie die Dienstboten sich selber unter
einander bei den Vornamen anreden und sich duzen, so verfahren sie auch mit
ihrer Herrschaft. „Er" oder „Sie" hört man nur im Munde des Jüngern,
dem Aeltern gegenüber, vorausgesetzt, daß der Unterschied, der Jahre beträchtlich
ist. Und nicht allein der junge Knecht wird dem betagten Hausmann ein He
(Er) geben, sondern umgekehrt auch der junge Hausmann dem betagten Knechte.
In der Marsch, wo die Rangstufen der Landleute weiter aus einander gehen, fängt
diese trauliche Anrede schon an, dem He-r und Fro Platz zu machen. Ueber-
haupt, giebt es wohl kaum stolzere Bauern in Deutschland, als diese reichen
Friesen in der Marsch. Mit Geringschätzung sehen sie auf die Bewohner der
höher gelegenen mageren Gegenden, und sagen verächtlich: He is man von de
Geest. (Er ist nur von der Geest.) Der Geestbewohner sucht dagegen Trost
in dem Sprichworte:


Is't »ich seit,
Is't ok «ich glatt.

(Ist die Geest auch nicht fett, so ist sie auch nicht glatt.) Hiermit spielt er auf
die schmalen Kleiwege in den Marschen an, die bei trocknem Wetter vortrefflich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/241>, abgerufen am 24.07.2024.