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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Zeit wir Gleiches erleben werden, bis wieder ein anderer Heros entsteht, der die
untergeordneten Geister nach sich zieht, und sie in seine Fesseln schlägt. Robert
Schumann wird nie dahin gelangen, derartigen Einfluß auszuüben, denn seine
Art zu schreiben weicht so sehr von den einfachen und natürlichen Grundsätzen
der Komposition ab, besteht ans so vielen Ausnahmen und außergewöhnlichen
Fällen, daß ein blindes und ergebenes Nachahmen nur potenzirte Ausnahmen
hervorzubringen im Stande ist. Vorzüglich ist es die grosze' Symphonie in
^moll von Mendelssohn, welche so unaussprechlichen Reiz der Nachahmung für
junge Tonsetzer in sich birgt, und besonders deren letzter Satz mit angehängtem
Volkshymnus, dessen Reproduction wir schon unendliche Male erleben mußten.
Es scheint in diesem Umstände uns gerade' kein günstiges Zeugniß für diese
Symphonie zu liegen, sondern nur ein Beweis, daß sie ans einer Menge leicht
faßlicher Aeußerlichkeiten zu einem Ganzen construirt ist, welches zu reproduciren
einige Anstrengung des Talents leicht möglich macht. Die bisher noch weniger
bekannte Symphonie desselben Meisters in ^ aur (Ur. i) ist zwar von beschei¬
deneren Umfange, aber von dem heiligen Geiste der Kunst geweiht. Ihre hellen,
freundlichen Gedanken, ihr natürlicher Fluß reißen zur Bewunderung hin, und
constatiren die schon in den Ouvertüren bewiesenen Thatsachen, daß Mendelssohn
in feiner, eleganter Zeichnung auch weniger großartige und tiefempfundene Motive
zu unübertrefflichen Kunstwerken zu gestalten im Stande war.

Größere Gesang werte mit Soli und Chören wurden folgende aufgeführt:
Mendelssohn's Lobgesang, Walpurgisnacht und Gebet: (Verleih uns Frieden
gnädiglich); von Händel: Halleluja, Chor aus dem Messias; von Weber:
Finale des ersten Acts aus Euryanthe; von Spontini: Introduction, Scene
und Arie mit Chor aus Ferdinand Cortez; von Beethoven: 9. Symphonie
mit Chören; von R. Schumann: Requiem sür Mignon aus Goethe's Wilhelm
Meister; von Cherubini: Vorspiel aus der Oper Ali Baba; von Rossini:
Finale des 2. Acts aus Teil; von Gluck: Große Scene aus Iphigenie
in Tauris; Lieder sür Männerchor allein von Mendelssohn und Dürrner.
Wie schon oben erwähnt, übernimmt die hiesige Singakademie die Ausfüh¬
rung des Chorgesangs, die Männerstimmen sind aber fast ausschließlich ver¬
treten durch den Pauliner Sängerverein, der unter der ausgezeichneten Direction
des Organisten Langer sich zu einer großen künstlerischen Bedeutung empor¬
geschwungen hat. Die Mitglieder dieses Vereins sind junge Studirende; sie bil¬
den eine seltene, wohlgeübte und begeisterte Schaar, die unsrer Universität zu
großem Ruhme gereicht. Die Stimmen sind jung, frisch, einzelne sogar wohl¬
geschult; die Eusembles klingen präcis, wie in einem wohlgeübten Orchester, und
die dynamische Ausführung der vorzutragenden Tonstücke hat bei ihnen einen
Höhepunkt erreicht, der als Muster hingestellt zu werden verdient. Ihr wahres
Interesse an der Kunst läßt sie unermüdlich die hiesigen Concerte unterstützen,


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Zeit wir Gleiches erleben werden, bis wieder ein anderer Heros entsteht, der die
untergeordneten Geister nach sich zieht, und sie in seine Fesseln schlägt. Robert
Schumann wird nie dahin gelangen, derartigen Einfluß auszuüben, denn seine
Art zu schreiben weicht so sehr von den einfachen und natürlichen Grundsätzen
der Komposition ab, besteht ans so vielen Ausnahmen und außergewöhnlichen
Fällen, daß ein blindes und ergebenes Nachahmen nur potenzirte Ausnahmen
hervorzubringen im Stande ist. Vorzüglich ist es die grosze' Symphonie in
^moll von Mendelssohn, welche so unaussprechlichen Reiz der Nachahmung für
junge Tonsetzer in sich birgt, und besonders deren letzter Satz mit angehängtem
Volkshymnus, dessen Reproduction wir schon unendliche Male erleben mußten.
Es scheint in diesem Umstände uns gerade' kein günstiges Zeugniß für diese
Symphonie zu liegen, sondern nur ein Beweis, daß sie ans einer Menge leicht
faßlicher Aeußerlichkeiten zu einem Ganzen construirt ist, welches zu reproduciren
einige Anstrengung des Talents leicht möglich macht. Die bisher noch weniger
bekannte Symphonie desselben Meisters in ^ aur (Ur. i) ist zwar von beschei¬
deneren Umfange, aber von dem heiligen Geiste der Kunst geweiht. Ihre hellen,
freundlichen Gedanken, ihr natürlicher Fluß reißen zur Bewunderung hin, und
constatiren die schon in den Ouvertüren bewiesenen Thatsachen, daß Mendelssohn
in feiner, eleganter Zeichnung auch weniger großartige und tiefempfundene Motive
zu unübertrefflichen Kunstwerken zu gestalten im Stande war.

Größere Gesang werte mit Soli und Chören wurden folgende aufgeführt:
Mendelssohn's Lobgesang, Walpurgisnacht und Gebet: (Verleih uns Frieden
gnädiglich); von Händel: Halleluja, Chor aus dem Messias; von Weber:
Finale des ersten Acts aus Euryanthe; von Spontini: Introduction, Scene
und Arie mit Chor aus Ferdinand Cortez; von Beethoven: 9. Symphonie
mit Chören; von R. Schumann: Requiem sür Mignon aus Goethe's Wilhelm
Meister; von Cherubini: Vorspiel aus der Oper Ali Baba; von Rossini:
Finale des 2. Acts aus Teil; von Gluck: Große Scene aus Iphigenie
in Tauris; Lieder sür Männerchor allein von Mendelssohn und Dürrner.
Wie schon oben erwähnt, übernimmt die hiesige Singakademie die Ausfüh¬
rung des Chorgesangs, die Männerstimmen sind aber fast ausschließlich ver¬
treten durch den Pauliner Sängerverein, der unter der ausgezeichneten Direction
des Organisten Langer sich zu einer großen künstlerischen Bedeutung empor¬
geschwungen hat. Die Mitglieder dieses Vereins sind junge Studirende; sie bil¬
den eine seltene, wohlgeübte und begeisterte Schaar, die unsrer Universität zu
großem Ruhme gereicht. Die Stimmen sind jung, frisch, einzelne sogar wohl¬
geschult; die Eusembles klingen präcis, wie in einem wohlgeübten Orchester, und
die dynamische Ausführung der vorzutragenden Tonstücke hat bei ihnen einen
Höhepunkt erreicht, der als Muster hingestellt zu werden verdient. Ihr wahres
Interesse an der Kunst läßt sie unermüdlich die hiesigen Concerte unterstützen,


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[0229] Zeit wir Gleiches erleben werden, bis wieder ein anderer Heros entsteht, der die untergeordneten Geister nach sich zieht, und sie in seine Fesseln schlägt. Robert Schumann wird nie dahin gelangen, derartigen Einfluß auszuüben, denn seine Art zu schreiben weicht so sehr von den einfachen und natürlichen Grundsätzen der Komposition ab, besteht ans so vielen Ausnahmen und außergewöhnlichen Fällen, daß ein blindes und ergebenes Nachahmen nur potenzirte Ausnahmen hervorzubringen im Stande ist. Vorzüglich ist es die grosze' Symphonie in ^moll von Mendelssohn, welche so unaussprechlichen Reiz der Nachahmung für junge Tonsetzer in sich birgt, und besonders deren letzter Satz mit angehängtem Volkshymnus, dessen Reproduction wir schon unendliche Male erleben mußten. Es scheint in diesem Umstände uns gerade' kein günstiges Zeugniß für diese Symphonie zu liegen, sondern nur ein Beweis, daß sie ans einer Menge leicht faßlicher Aeußerlichkeiten zu einem Ganzen construirt ist, welches zu reproduciren einige Anstrengung des Talents leicht möglich macht. Die bisher noch weniger bekannte Symphonie desselben Meisters in ^ aur (Ur. i) ist zwar von beschei¬ deneren Umfange, aber von dem heiligen Geiste der Kunst geweiht. Ihre hellen, freundlichen Gedanken, ihr natürlicher Fluß reißen zur Bewunderung hin, und constatiren die schon in den Ouvertüren bewiesenen Thatsachen, daß Mendelssohn in feiner, eleganter Zeichnung auch weniger großartige und tiefempfundene Motive zu unübertrefflichen Kunstwerken zu gestalten im Stande war. Größere Gesang werte mit Soli und Chören wurden folgende aufgeführt: Mendelssohn's Lobgesang, Walpurgisnacht und Gebet: (Verleih uns Frieden gnädiglich); von Händel: Halleluja, Chor aus dem Messias; von Weber: Finale des ersten Acts aus Euryanthe; von Spontini: Introduction, Scene und Arie mit Chor aus Ferdinand Cortez; von Beethoven: 9. Symphonie mit Chören; von R. Schumann: Requiem sür Mignon aus Goethe's Wilhelm Meister; von Cherubini: Vorspiel aus der Oper Ali Baba; von Rossini: Finale des 2. Acts aus Teil; von Gluck: Große Scene aus Iphigenie in Tauris; Lieder sür Männerchor allein von Mendelssohn und Dürrner. Wie schon oben erwähnt, übernimmt die hiesige Singakademie die Ausfüh¬ rung des Chorgesangs, die Männerstimmen sind aber fast ausschließlich ver¬ treten durch den Pauliner Sängerverein, der unter der ausgezeichneten Direction des Organisten Langer sich zu einer großen künstlerischen Bedeutung empor¬ geschwungen hat. Die Mitglieder dieses Vereins sind junge Studirende; sie bil¬ den eine seltene, wohlgeübte und begeisterte Schaar, die unsrer Universität zu großem Ruhme gereicht. Die Stimmen sind jung, frisch, einzelne sogar wohl¬ geschult; die Eusembles klingen präcis, wie in einem wohlgeübten Orchester, und die dynamische Ausführung der vorzutragenden Tonstücke hat bei ihnen einen Höhepunkt erreicht, der als Muster hingestellt zu werden verdient. Ihr wahres Interesse an der Kunst läßt sie unermüdlich die hiesigen Concerte unterstützen, 28*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/229>, abgerufen am 24.07.2024.