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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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geworden sein wird, und dann die Besorgung der öffentlichen Musikgeschäste den
Händen gewisser Kreise von selbst entfällt, die jetzt noch ein traditionelles Recht
für sich in Anspruch nehmen.

Ausgeführt wurden im Gewaudhause: 1) Jnstrumentalwerke: von Beetho-
ven: alle Symphonie" mit Ausnahme der ersten und zweiten; die Ouvertüren zu
Coriolan, Egmont, ox>. As und Leouorenvuverturen Ur. 1, 2, 3; von
Mozart: Symph. in Kscwr nud Ouvert. zur Zauberflöte; von Mendelssohn:
Symph. Ur. 3. ^moly, Ur. i. (^clur), Ouvert. zu Meeresstille und glückliche
Fahrt, zu den Hebriden und zur schönen Melusine; von Haydn: Symph. in
Lau,r und Cäur; von Gabe: Symph. in emoll (Ur. 1.) und Laur (Ur. i.);
von Weber: Ouvert. zu Oberon, Euryanthe, Freischütz, Beherrscher der Geister;
von Schumann: Symph. in Csclur, in fünf Sätzen (Ur. 3.), Ouvert. zur Braut
von Messina und zu Genoseva; von Cherubini: die Ouvert. zu Anacreon und
zum Wasserträger. Ferner Symphonien je eine von Kalliwoda (Ur. K,
"moly, Fr. Schubert (pour), Onslvw lvmoll), Gott ermann aus München
(^.moll, neu, Mscpt), Herrmann, Mitglied des Orchesters zu Leipzig (neu);
Ouvertüren, je eine von I. Rietz (^Aar), Rossini (zu Teil), Marschner
(Vampyr), Lindpaintner lFaust), Gluck (Iphigenie in Antis). Die neuen Werke
von Goltermanu und Herrmann, obgleich die Producte zweier ganz verschiedener
Individualitäten, sind in ihrem äußern Ansehen sich doch ziemlich ähnlich; dieselbe
Autorität hat Beide zum Schaffen angetrieben. Man findet in ihnen von Neuem
den traurigen Beweis, daß die jetzt so allgemein verbreitete Formengeschicklich-
keit alle höhere Begeisterung ertödtet, und daß wir armen Epigonen nnr in
kunstvollem Spiele die Bausteine, welche unsre guten Meister uus vererbt
haben, zu außerordentlich gezierten Gebäuden zusammensetzen. Wir sind auf den
Punkt gekommen, daß die Kunst alles Wunderbare und Göttliche verliert; Werke,
die früher in dem Leben des gereiften und erfahrenen Tonsetzers als Ereignisse
von Bedeutung betrachtet wurden, gelinge" jetzt den Händen unerfahrener Tironen.
Wie lange wird es dauern, daß die -ISjährigen Zöglinge der deutscheu Conser-
vatorien den Kameraden mit Verachtung bei Seite stoßen werden, der in diesem
Alter nicht wenigstens 2 Symphonien geschrieben? Es sei ferne von uns, den
Autoren der Werke, welche uns zu dieser Betrachtung veranlaßten, ihre persön¬
lichen Verdienste rauben zu wollen; ihre Werke bezeugten, daß sie sich mit dem
Baue und dem Inhalte der classischen Compositionen ämsig beschäftigt hatten, daß
sie mit Eifer dem Studium des Contrapunkts und der Jnstrumentation obgelegen,
daß sie sich die musikalischen Fähigkeiten zu eigen gemacht, deren man durch Fleiß
sich bemächtigen kann. Aber ! -- Die schon so oft beobachtete Erscheinung, daß
gerade die Mendelssohn'sche Art zu schreiben am meisten zum Copiren reizt,
weil in ihr eine ganze Menge leichterfaßlicher Momente liegen, hat sich auch in
diesen beiden Symphonien bestätigt. Es ist wahrscheinlich, daß noch durch lange


geworden sein wird, und dann die Besorgung der öffentlichen Musikgeschäste den
Händen gewisser Kreise von selbst entfällt, die jetzt noch ein traditionelles Recht
für sich in Anspruch nehmen.

Ausgeführt wurden im Gewaudhause: 1) Jnstrumentalwerke: von Beetho-
ven: alle Symphonie» mit Ausnahme der ersten und zweiten; die Ouvertüren zu
Coriolan, Egmont, ox>. As und Leouorenvuverturen Ur. 1, 2, 3; von
Mozart: Symph. in Kscwr nud Ouvert. zur Zauberflöte; von Mendelssohn:
Symph. Ur. 3. ^moly, Ur. i. (^clur), Ouvert. zu Meeresstille und glückliche
Fahrt, zu den Hebriden und zur schönen Melusine; von Haydn: Symph. in
Lau,r und Cäur; von Gabe: Symph. in emoll (Ur. 1.) und Laur (Ur. i.);
von Weber: Ouvert. zu Oberon, Euryanthe, Freischütz, Beherrscher der Geister;
von Schumann: Symph. in Csclur, in fünf Sätzen (Ur. 3.), Ouvert. zur Braut
von Messina und zu Genoseva; von Cherubini: die Ouvert. zu Anacreon und
zum Wasserträger. Ferner Symphonien je eine von Kalliwoda (Ur. K,
»moly, Fr. Schubert (pour), Onslvw lvmoll), Gott ermann aus München
(^.moll, neu, Mscpt), Herrmann, Mitglied des Orchesters zu Leipzig (neu);
Ouvertüren, je eine von I. Rietz (^Aar), Rossini (zu Teil), Marschner
(Vampyr), Lindpaintner lFaust), Gluck (Iphigenie in Antis). Die neuen Werke
von Goltermanu und Herrmann, obgleich die Producte zweier ganz verschiedener
Individualitäten, sind in ihrem äußern Ansehen sich doch ziemlich ähnlich; dieselbe
Autorität hat Beide zum Schaffen angetrieben. Man findet in ihnen von Neuem
den traurigen Beweis, daß die jetzt so allgemein verbreitete Formengeschicklich-
keit alle höhere Begeisterung ertödtet, und daß wir armen Epigonen nnr in
kunstvollem Spiele die Bausteine, welche unsre guten Meister uus vererbt
haben, zu außerordentlich gezierten Gebäuden zusammensetzen. Wir sind auf den
Punkt gekommen, daß die Kunst alles Wunderbare und Göttliche verliert; Werke,
die früher in dem Leben des gereiften und erfahrenen Tonsetzers als Ereignisse
von Bedeutung betrachtet wurden, gelinge» jetzt den Händen unerfahrener Tironen.
Wie lange wird es dauern, daß die -ISjährigen Zöglinge der deutscheu Conser-
vatorien den Kameraden mit Verachtung bei Seite stoßen werden, der in diesem
Alter nicht wenigstens 2 Symphonien geschrieben? Es sei ferne von uns, den
Autoren der Werke, welche uns zu dieser Betrachtung veranlaßten, ihre persön¬
lichen Verdienste rauben zu wollen; ihre Werke bezeugten, daß sie sich mit dem
Baue und dem Inhalte der classischen Compositionen ämsig beschäftigt hatten, daß
sie mit Eifer dem Studium des Contrapunkts und der Jnstrumentation obgelegen,
daß sie sich die musikalischen Fähigkeiten zu eigen gemacht, deren man durch Fleiß
sich bemächtigen kann. Aber ! — Die schon so oft beobachtete Erscheinung, daß
gerade die Mendelssohn'sche Art zu schreiben am meisten zum Copiren reizt,
weil in ihr eine ganze Menge leichterfaßlicher Momente liegen, hat sich auch in
diesen beiden Symphonien bestätigt. Es ist wahrscheinlich, daß noch durch lange


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/228>, abgerufen am 24.07.2024.