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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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"die schelmische Gräfin", 1830). So ost er komisch werde" will, wird er roh,
plump, oder gar gemein; die Sprache ist bis zur Geschmacklosigkeit unpoetisch,
die Intrigue täppisch, die Charaktere schablonenhaft angelegt, und außerdem so
häßlich, daß mau uicht einmal darüber lachen kann. -- Fast das Nämliche kann
man von seinen satyrischen Versuchen sagen, dem "Pater Brey" (1823), einer
übrigens wohlgemeinten Abfertigung der pietistischen Angriffe Pustkuchen's gegen
Goethe, und dem "im Irrgarten der Metrik herumtaumelnden Kavalier" (1829),
einer Erwiderung auf die zügellosen Angriffe Platen's. Das Beste dieser Art
ist noch die kleine metrische Erzählung "Tulifäntchen" (-1830), die komische
Geschichte von einem verliebten Zwerge, dem das Schicksal vorbehalten hat,
einen menschenfresserischen Riesen zu tödten, und der zum Lohn dieser That eine
stolze Prinzessin als Braut heimführen soll. Einzelne Einfälle, z. B. wie der
Niese Schlagadvdro sich von der Prinzessin bilden läßt, ehe er sie frißt, und
zu diesem Zweck die griechische Conjugation erlernt u. s. >v., sind wirklich sehr
komisch, wenn anch blos von einer Komik des Verstandes und der Reflexion.
Erst ganz am Ende seines Lebens war es Immermann vorbehalten, wenigstens
einen Anflug von dieser Poesie zu erhaschen, die sich in der Schönheit offenbart.
Das unvollendete Gedicht: "Tristan und Isolde" (18-10) enthält einzelne
Züge, die sich an Heiterkeit und Lebenslust den Schöpfungen der besten Dichter
an die Seite stellen können. Während sonst die Dichter in der Riegel gegen
das Ende ihres Lebens verkümmern, raffte Immermann durch unermüdliche An¬
strengung erst ganz zuletzt alle die einzelnen Funken, die in seinem Gemüth
schlummerte", zusammen, um einen, wenn auch nur flüchtigen Glanz der Poesie
hervorzurufen.

In der Tragödie konnte man von einem ernsthaften, gewissenhaften Streben
Besseres erwarten. Hätte Immermann andere Vorbilder gehabt, als die Schick¬
salstragöden und den ins Romantische übersetzten Shakspeare, so würden seine
Stücke zwar uicht wichtiger sür die Literatur, aber wenigstens in ihrer Form
besser geworden sein. Wie jetzt die Sache stand, sind seine romantischen Tra¬
gödien ganz in den Plunder von Müllner, Houwald u. s. w. zu werfen, so sehr
er auch diesen Dichtern an Verstand, Bildung und Energie des Charakters über¬
legen ist. Zu diesen Stücken gehören: Der Prinz von Syrakus (1821), Edwin, das
Thal Ronceval, Petrarca (-1822), König Periander und sein Hans (-1823), das Auge
der Liebe (182-i),, Cardenio und Celinde (-1826), das Opfer des Schweigens (-1837).
Zwischen die beiden letzten Stücke fällt seine dramaturgische Thätigkeit, die in
vieler Beziehung die größte Anerkennung verdient. In den Briefen, die neuer¬
dings aus dieser Zeit von ihm veröffentlicht sind, finden sich sehr lehrreiche
Bemerkungen. Immermann'legte mit Recht das Hauptgewicht auf das Zusam¬
menspiel, welches bei der Zerstückelung unsrer Dramen durch einzelne virtuose
Leistungen vollständig verloren geht. Während der Jahre 1833 ---1837, wo


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„die schelmische Gräfin", 1830). So ost er komisch werde» will, wird er roh,
plump, oder gar gemein; die Sprache ist bis zur Geschmacklosigkeit unpoetisch,
die Intrigue täppisch, die Charaktere schablonenhaft angelegt, und außerdem so
häßlich, daß mau uicht einmal darüber lachen kann. — Fast das Nämliche kann
man von seinen satyrischen Versuchen sagen, dem „Pater Brey" (1823), einer
übrigens wohlgemeinten Abfertigung der pietistischen Angriffe Pustkuchen's gegen
Goethe, und dem „im Irrgarten der Metrik herumtaumelnden Kavalier" (1829),
einer Erwiderung auf die zügellosen Angriffe Platen's. Das Beste dieser Art
ist noch die kleine metrische Erzählung „Tulifäntchen" (-1830), die komische
Geschichte von einem verliebten Zwerge, dem das Schicksal vorbehalten hat,
einen menschenfresserischen Riesen zu tödten, und der zum Lohn dieser That eine
stolze Prinzessin als Braut heimführen soll. Einzelne Einfälle, z. B. wie der
Niese Schlagadvdro sich von der Prinzessin bilden läßt, ehe er sie frißt, und
zu diesem Zweck die griechische Conjugation erlernt u. s. >v., sind wirklich sehr
komisch, wenn anch blos von einer Komik des Verstandes und der Reflexion.
Erst ganz am Ende seines Lebens war es Immermann vorbehalten, wenigstens
einen Anflug von dieser Poesie zu erhaschen, die sich in der Schönheit offenbart.
Das unvollendete Gedicht: „Tristan und Isolde" (18-10) enthält einzelne
Züge, die sich an Heiterkeit und Lebenslust den Schöpfungen der besten Dichter
an die Seite stellen können. Während sonst die Dichter in der Riegel gegen
das Ende ihres Lebens verkümmern, raffte Immermann durch unermüdliche An¬
strengung erst ganz zuletzt alle die einzelnen Funken, die in seinem Gemüth
schlummerte», zusammen, um einen, wenn auch nur flüchtigen Glanz der Poesie
hervorzurufen.

In der Tragödie konnte man von einem ernsthaften, gewissenhaften Streben
Besseres erwarten. Hätte Immermann andere Vorbilder gehabt, als die Schick¬
salstragöden und den ins Romantische übersetzten Shakspeare, so würden seine
Stücke zwar uicht wichtiger sür die Literatur, aber wenigstens in ihrer Form
besser geworden sein. Wie jetzt die Sache stand, sind seine romantischen Tra¬
gödien ganz in den Plunder von Müllner, Houwald u. s. w. zu werfen, so sehr
er auch diesen Dichtern an Verstand, Bildung und Energie des Charakters über¬
legen ist. Zu diesen Stücken gehören: Der Prinz von Syrakus (1821), Edwin, das
Thal Ronceval, Petrarca (-1822), König Periander und sein Hans (-1823), das Auge
der Liebe (182-i),, Cardenio und Celinde (-1826), das Opfer des Schweigens (-1837).
Zwischen die beiden letzten Stücke fällt seine dramaturgische Thätigkeit, die in
vieler Beziehung die größte Anerkennung verdient. In den Briefen, die neuer¬
dings aus dieser Zeit von ihm veröffentlicht sind, finden sich sehr lehrreiche
Bemerkungen. Immermann'legte mit Recht das Hauptgewicht auf das Zusam¬
menspiel, welches bei der Zerstückelung unsrer Dramen durch einzelne virtuose
Leistungen vollständig verloren geht. Während der Jahre 1833 —-1837, wo


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[0213] „die schelmische Gräfin", 1830). So ost er komisch werde» will, wird er roh, plump, oder gar gemein; die Sprache ist bis zur Geschmacklosigkeit unpoetisch, die Intrigue täppisch, die Charaktere schablonenhaft angelegt, und außerdem so häßlich, daß mau uicht einmal darüber lachen kann. — Fast das Nämliche kann man von seinen satyrischen Versuchen sagen, dem „Pater Brey" (1823), einer übrigens wohlgemeinten Abfertigung der pietistischen Angriffe Pustkuchen's gegen Goethe, und dem „im Irrgarten der Metrik herumtaumelnden Kavalier" (1829), einer Erwiderung auf die zügellosen Angriffe Platen's. Das Beste dieser Art ist noch die kleine metrische Erzählung „Tulifäntchen" (-1830), die komische Geschichte von einem verliebten Zwerge, dem das Schicksal vorbehalten hat, einen menschenfresserischen Riesen zu tödten, und der zum Lohn dieser That eine stolze Prinzessin als Braut heimführen soll. Einzelne Einfälle, z. B. wie der Niese Schlagadvdro sich von der Prinzessin bilden läßt, ehe er sie frißt, und zu diesem Zweck die griechische Conjugation erlernt u. s. >v., sind wirklich sehr komisch, wenn anch blos von einer Komik des Verstandes und der Reflexion. Erst ganz am Ende seines Lebens war es Immermann vorbehalten, wenigstens einen Anflug von dieser Poesie zu erhaschen, die sich in der Schönheit offenbart. Das unvollendete Gedicht: „Tristan und Isolde" (18-10) enthält einzelne Züge, die sich an Heiterkeit und Lebenslust den Schöpfungen der besten Dichter an die Seite stellen können. Während sonst die Dichter in der Riegel gegen das Ende ihres Lebens verkümmern, raffte Immermann durch unermüdliche An¬ strengung erst ganz zuletzt alle die einzelnen Funken, die in seinem Gemüth schlummerte», zusammen, um einen, wenn auch nur flüchtigen Glanz der Poesie hervorzurufen. In der Tragödie konnte man von einem ernsthaften, gewissenhaften Streben Besseres erwarten. Hätte Immermann andere Vorbilder gehabt, als die Schick¬ salstragöden und den ins Romantische übersetzten Shakspeare, so würden seine Stücke zwar uicht wichtiger sür die Literatur, aber wenigstens in ihrer Form besser geworden sein. Wie jetzt die Sache stand, sind seine romantischen Tra¬ gödien ganz in den Plunder von Müllner, Houwald u. s. w. zu werfen, so sehr er auch diesen Dichtern an Verstand, Bildung und Energie des Charakters über¬ legen ist. Zu diesen Stücken gehören: Der Prinz von Syrakus (1821), Edwin, das Thal Ronceval, Petrarca (-1822), König Periander und sein Hans (-1823), das Auge der Liebe (182-i),, Cardenio und Celinde (-1826), das Opfer des Schweigens (-1837). Zwischen die beiden letzten Stücke fällt seine dramaturgische Thätigkeit, die in vieler Beziehung die größte Anerkennung verdient. In den Briefen, die neuer¬ dings aus dieser Zeit von ihm veröffentlicht sind, finden sich sehr lehrreiche Bemerkungen. Immermann'legte mit Recht das Hauptgewicht auf das Zusam¬ menspiel, welches bei der Zerstückelung unsrer Dramen durch einzelne virtuose Leistungen vollständig verloren geht. Während der Jahre 1833 —-1837, wo 26*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/213>, abgerufen am 25.07.2024.