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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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das Institut aus Mangel an Theilnahme von Seiten des Publicums unterging,
hat er in dieser Beziehung Unglaubliches geleistet, und seine norddeutsche Energie
und Geduld zeigte sich in um so glänzenderen Lichte, da er von außen her wenig
Förderung fand. Trotzdem kann man das Princip, welches er verfolgte, nicht
unbedingt billigen. Er glaubte nämlich dem Geschmack des Publicums, welches
das Theater eigentlich nur der Zerstreuung wegen besucht, den größern Theil
der Zeit zum Opfer bringen zu müssen. Er ließ in den gewöhnlichen Tagen
die curreuteu Stücke geben, ganz in der leichtsinnigen Weise, wie es anderwärts
geschah. Dafür concentrirte er seine ganze Thätigkeit aus das Einstudiren ein¬
zelner vorzüglicher Stücke, die das Publicum gewissermaßen in eine Feiertags¬
stimmung versetzen sollten. Aus diesem theatralischen Doppelleben konnte aber
nimmermehr jene Einheit der Kunst hervorgehen, die allein die Grundlage eines
Nationaltheaters ausmacht. Jene classischen Stücke verlangten jedesmal von
dem Schauspieler eine neue Aufgebung seiner Persönlichkeit, die sich in den ge¬
wöhnlichen Aufführungen bequem befriedigte. So stand wieder ein ideales
Theater dem realen gegenüber; jenes wurde in keiner Weise gefördert, vielmehr
herabgesetzt, und dieses sah nach dem Treibhaus aus. Eine wahre Förderung
des Theaters kann'nur dadurch geschehen, daß eine jede Künstlergesellschaft ihre
Kräfte wenigstens vorzugsweise auf ein bestimmtes Genre concentrirt, wie es in
Paris aus allen Theatern der Fall ist, lvie es Jffland in Berlin bis zu einem
gewissen Grade erreicht hatte. Der Verfall des deutschen Theaters schreibt sich
gerade vou der Universalität und Styllosigkeit seiner Dichter her. Spanische,
englische, skandinavische und griechische Formen neben einander, und eben soviel
sittliche Weltanschauungen durcheinander gemischt: -- daraus geht kein Styl her¬
vor. So lange die Phantasie ins Grenzenlose schweifen muß, um ihr Ideal
zu finden, geht ihr jene Bestimmtheit und Realität ab, deren Mangel jede
Kunst unmöglich macht. Wir können in vielen Punkten mit den genialen und
poetischen Männern, die Jffland's hausbacken prosaische Manier verspotteten,
übereinstimmen, und müssen doch hinzufügen, daß ihr eigenes dilettirendes Herum¬
tasten der Kunst nur schädlich gewesen ist, und daß sie für ihre eigenen Ideen von
Jffland sehr viel hätten lernen können.

Das Alles kann kein Vorwurf gegen Immermann sein. Wo die Verwilde¬
rung bereits so allgemein eingetreten ist, wie damals in Deutschland, kann man
nicht erwarten, daß jeder Versuch augenblicklich das Richtige treffe. Wäre mit
ähnlichem Ernst und ähnlicher Hingebung von allen Seiten für das Theater ge¬
arbeitet worden, wie es Immermann in seinem beschränkten Kreise that, so hätten
sich die Einseitigkeiten einander corrigirt und aus dem Wetteifer der verschiedenen
Kräfte wäre das Nichtige hervorgegangen. So aber ging jene kurze Blüthenzeit
des Düsseldorfer Theaters ohne alles Resultat vorüber.

Wenn Immermann für seine Feiertagsdarstelluugcn Shakspeare, Calderon,


das Institut aus Mangel an Theilnahme von Seiten des Publicums unterging,
hat er in dieser Beziehung Unglaubliches geleistet, und seine norddeutsche Energie
und Geduld zeigte sich in um so glänzenderen Lichte, da er von außen her wenig
Förderung fand. Trotzdem kann man das Princip, welches er verfolgte, nicht
unbedingt billigen. Er glaubte nämlich dem Geschmack des Publicums, welches
das Theater eigentlich nur der Zerstreuung wegen besucht, den größern Theil
der Zeit zum Opfer bringen zu müssen. Er ließ in den gewöhnlichen Tagen
die curreuteu Stücke geben, ganz in der leichtsinnigen Weise, wie es anderwärts
geschah. Dafür concentrirte er seine ganze Thätigkeit aus das Einstudiren ein¬
zelner vorzüglicher Stücke, die das Publicum gewissermaßen in eine Feiertags¬
stimmung versetzen sollten. Aus diesem theatralischen Doppelleben konnte aber
nimmermehr jene Einheit der Kunst hervorgehen, die allein die Grundlage eines
Nationaltheaters ausmacht. Jene classischen Stücke verlangten jedesmal von
dem Schauspieler eine neue Aufgebung seiner Persönlichkeit, die sich in den ge¬
wöhnlichen Aufführungen bequem befriedigte. So stand wieder ein ideales
Theater dem realen gegenüber; jenes wurde in keiner Weise gefördert, vielmehr
herabgesetzt, und dieses sah nach dem Treibhaus aus. Eine wahre Förderung
des Theaters kann'nur dadurch geschehen, daß eine jede Künstlergesellschaft ihre
Kräfte wenigstens vorzugsweise auf ein bestimmtes Genre concentrirt, wie es in
Paris aus allen Theatern der Fall ist, lvie es Jffland in Berlin bis zu einem
gewissen Grade erreicht hatte. Der Verfall des deutschen Theaters schreibt sich
gerade vou der Universalität und Styllosigkeit seiner Dichter her. Spanische,
englische, skandinavische und griechische Formen neben einander, und eben soviel
sittliche Weltanschauungen durcheinander gemischt: — daraus geht kein Styl her¬
vor. So lange die Phantasie ins Grenzenlose schweifen muß, um ihr Ideal
zu finden, geht ihr jene Bestimmtheit und Realität ab, deren Mangel jede
Kunst unmöglich macht. Wir können in vielen Punkten mit den genialen und
poetischen Männern, die Jffland's hausbacken prosaische Manier verspotteten,
übereinstimmen, und müssen doch hinzufügen, daß ihr eigenes dilettirendes Herum¬
tasten der Kunst nur schädlich gewesen ist, und daß sie für ihre eigenen Ideen von
Jffland sehr viel hätten lernen können.

Das Alles kann kein Vorwurf gegen Immermann sein. Wo die Verwilde¬
rung bereits so allgemein eingetreten ist, wie damals in Deutschland, kann man
nicht erwarten, daß jeder Versuch augenblicklich das Richtige treffe. Wäre mit
ähnlichem Ernst und ähnlicher Hingebung von allen Seiten für das Theater ge¬
arbeitet worden, wie es Immermann in seinem beschränkten Kreise that, so hätten
sich die Einseitigkeiten einander corrigirt und aus dem Wetteifer der verschiedenen
Kräfte wäre das Nichtige hervorgegangen. So aber ging jene kurze Blüthenzeit
des Düsseldorfer Theaters ohne alles Resultat vorüber.

Wenn Immermann für seine Feiertagsdarstelluugcn Shakspeare, Calderon,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/214>, abgerufen am 24.07.2024.