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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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scher Autodidakt, ein Herr Nadaud, mehrere Chansons und Chansonetten seiner
Komposition vor. Diese abgeschmackten Dichtungen, die, eine einzige ausgenom¬
men, auch nicht den geringsten poetischen Werth haben, wurden gleichfalls mit
Vergnügen gehört; man erfreute sich an dem französischen Witze, an der heimischen
Charge. Der bürgerliche hausbackene Geschmack an Niaiserien, der bei den
Franzosen, wenn es sich nur um heitere Dinge mit einer Art geistreicher Tour-
nüre handelt, in allen Schichten der Gesellschaft allgemein ist, kam schnell wieder
zur Geltung, und man durfte erstaunt sein, Seb. Bach, Beethoven und
auch den zwar modernen, aber doch nicht modemäßigcn Stephen Heller da¬
zwischen goutirt zu sehen. Und nun genug für heute. Ich darf dein Leser wol
nicht erst sagen, daß ich bei meinen bekannten gut bonapartistischen Gesinnungen
es verabscheut haben würde, zu einem Republikaner zu gehen. Was sich Napo¬
leon Bonaparte erlaubt, darf sich kein Fremder herausnehmen, und ich schildere
blos vom Hörensagen, sonst könnte die Polizei von Paris wol Etwas dagegen
einzuwenden haben.




Frankreichs Physiognomie. -- Conferenzen über Schleswig-
Holstein.

Mit unsren schnellfüßigen Schwestern, den Tageblättern, können wir es in Be¬
richten über die laufenden politischen Begebenheiten nicht aufnehmen, und wir überlassen
es ihnen gern, den wißbegierigen Leser von der Rede, mit welcher Ludwig Napoleon
die Legislatur eröffnet hat, und von den Redeübungen der Senatoren und Deputirten,
so weit sie in's Publicum dringen, zu unterrichten. Politische Lebensäußerungen sind
sie nicht mehr, wie unter der Restauration und Ludwig Philipp, wo den parlamentari¬
schen Kämpfen an der Seine ganz Europa lauschte, und Krieg oder Frieden eines gan¬
zen Welttheils von ihrem Ausgange abhing. Patriotismus, Staatsweisheit, Beredt-
samkeit finden keinen Platz in einem Staate, der nur durch Einschüchterung, Korruption
und rohe Gewalt regiert wird. Gehorsame Werkzeuge braucht der Prinzpräsidcnt, der
sich unter dem Schutz der Bayounette 7 Millionen Stimmen ans verdächtige Weise er¬
worben hat, um seine Mission als Retter der Gesellschaft und als Erfinder von Uni¬
formen von Senatoren und Deputirten zu erfüllen. Ein Senat, dessen Mitglieder der
Präsident selbst ernannt hat, und dessen Unterwürfigkeit er sich durch die Aussicht ans
reicheJahrgehalte sichert, und eine Legislatur, die nur bittersterHohn vom Volke gewählt
nennen kann, sind die von dem neuen conseivativcn Messias geschaffenen politischen Körper,
"deren Einfluß und Gewicht um so größer sein werden, als ihre Functionen weise gere¬
gelt sind", wie Ludwig Napoleon sich in seiner Eröffnungsrede ausdrückt. Diese weise
Regelung besteht darin, daß ihnen jede Möglichkeit, Einfluß und Gewicht zu erlangen,
eine unabhängige Thätigkeit zu besitzen, oder nur eine unabhängige Kritik auszuspre-
chen, genommen ist. Werfen wir einen Blick auf die Geschäftsordnung der angeblich


scher Autodidakt, ein Herr Nadaud, mehrere Chansons und Chansonetten seiner
Komposition vor. Diese abgeschmackten Dichtungen, die, eine einzige ausgenom¬
men, auch nicht den geringsten poetischen Werth haben, wurden gleichfalls mit
Vergnügen gehört; man erfreute sich an dem französischen Witze, an der heimischen
Charge. Der bürgerliche hausbackene Geschmack an Niaiserien, der bei den
Franzosen, wenn es sich nur um heitere Dinge mit einer Art geistreicher Tour-
nüre handelt, in allen Schichten der Gesellschaft allgemein ist, kam schnell wieder
zur Geltung, und man durfte erstaunt sein, Seb. Bach, Beethoven und
auch den zwar modernen, aber doch nicht modemäßigcn Stephen Heller da¬
zwischen goutirt zu sehen. Und nun genug für heute. Ich darf dein Leser wol
nicht erst sagen, daß ich bei meinen bekannten gut bonapartistischen Gesinnungen
es verabscheut haben würde, zu einem Republikaner zu gehen. Was sich Napo¬
leon Bonaparte erlaubt, darf sich kein Fremder herausnehmen, und ich schildere
blos vom Hörensagen, sonst könnte die Polizei von Paris wol Etwas dagegen
einzuwenden haben.




Frankreichs Physiognomie. — Conferenzen über Schleswig-
Holstein.

Mit unsren schnellfüßigen Schwestern, den Tageblättern, können wir es in Be¬
richten über die laufenden politischen Begebenheiten nicht aufnehmen, und wir überlassen
es ihnen gern, den wißbegierigen Leser von der Rede, mit welcher Ludwig Napoleon
die Legislatur eröffnet hat, und von den Redeübungen der Senatoren und Deputirten,
so weit sie in's Publicum dringen, zu unterrichten. Politische Lebensäußerungen sind
sie nicht mehr, wie unter der Restauration und Ludwig Philipp, wo den parlamentari¬
schen Kämpfen an der Seine ganz Europa lauschte, und Krieg oder Frieden eines gan¬
zen Welttheils von ihrem Ausgange abhing. Patriotismus, Staatsweisheit, Beredt-
samkeit finden keinen Platz in einem Staate, der nur durch Einschüchterung, Korruption
und rohe Gewalt regiert wird. Gehorsame Werkzeuge braucht der Prinzpräsidcnt, der
sich unter dem Schutz der Bayounette 7 Millionen Stimmen ans verdächtige Weise er¬
worben hat, um seine Mission als Retter der Gesellschaft und als Erfinder von Uni¬
formen von Senatoren und Deputirten zu erfüllen. Ein Senat, dessen Mitglieder der
Präsident selbst ernannt hat, und dessen Unterwürfigkeit er sich durch die Aussicht ans
reicheJahrgehalte sichert, und eine Legislatur, die nur bittersterHohn vom Volke gewählt
nennen kann, sind die von dem neuen conseivativcn Messias geschaffenen politischen Körper,
„deren Einfluß und Gewicht um so größer sein werden, als ihre Functionen weise gere¬
gelt sind", wie Ludwig Napoleon sich in seiner Eröffnungsrede ausdrückt. Diese weise
Regelung besteht darin, daß ihnen jede Möglichkeit, Einfluß und Gewicht zu erlangen,
eine unabhängige Thätigkeit zu besitzen, oder nur eine unabhängige Kritik auszuspre-
chen, genommen ist. Werfen wir einen Blick auf die Geschäftsordnung der angeblich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/124>, abgerufen am 04.07.2024.