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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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des Herrn von Persigny, ein Jugendfreund der Frau des Hauses. In eine
Fensterecke gelehnt, sehen wir Napoleon Daru, den ehemaligen Vicepräsidenten
der Kammer und, wenn wir nicht irren, Berichterstatter in der letzten Verhand¬
lung über die Aufhebung des Gesetzes vom 31. Mai. Und nun sehen Sie diesen
rüstigen Alten mit dem bedeutsamen Lächeln um den Mund, dem eigenthümlichen
Blicke, welcher sich der Herzogin von Decazes mit dem feinsten, tadellosesten
Salonanstande nähert, es ist Victor Cousin, der Hausphilosoph Frankreichs, der
eben von Montalembert xar iss sous "Meiers des Präsidenten aus dem Univer¬
sitätsrathe hinausbugsirt wurde. Herr Victor Cousin, welcher Plato übersetzte
und Kant transcribirte wie Liszt Schubert, gehört zu den angenehmsten Gesell¬
schaftern von Paris, und er hat auf diesem Felde blos mit Alexander Dumas
zu rechnen, wenn auch nicht ihn zu fürchten. Aus dem Gebiete der deutschen
Philosophie steht er zu allein, um sich viel und lange aus demselben aufzuhalten.
Der hagere kleine Mann mit dem olivenfarbigen Gesichte, den geistreichen Angen,
welcher von Bixio unter dem Arme geführt wird, ist der Maler Delacroix, dessen
Genie Goethe schon in dem Jünglinge erkannte; er ist Chef der romantischen
Schule, das Haupt der französischen Coloristen. Neben einer jungen Fran von
seltener Schönheit zeigt man uns den Dichter der Colvmba, einen der vorzüg¬
lichsten Romanschreiber Frankreichs, den Herausgeber des Theaters von Clara Gazul,
das Akademiemitglied Meria^e. Hier erblicken wir wieder einen kleinen, schmächtigen
Mann mit geistreichen, aber prätentiösen Zügen; es ist einer der vorzüglichsten
Mitarbeiter des Journal des Dvbats, John Lemoine, der sich mit dem Professor
des Conservatorinms, dem bekannten Contrapunktistcn Zimmermann, unterhält. Die
Unterhaltung ist rege, ungezwungen, und die Physiognomie dieser Gesellschaft verräth
durch nichts die große Verschiedenheit der Stellung, der Geistesrichtung und der poli¬
tischen Meinung. Man spricht unter einander und mit einander, wie es sich eben fügt.
Für den Beobachter gab es da ein reiches Feld zur Betrachtung. Die frappante
Aehnlichkeit Napoleon Bonaparte's mit seinem Onkel schien mir allgemein an¬
gestaunt und besprochen zu werden. Man mochte sich mit Recht fragen, wie
wol die Dinge gekommen wären, wenn Louis Bonaparte diese Aehnlichkeit nebst
seinen Ansprüchen geerbt hätte. Würde nicht schon die Straßburger Affaire, oder,
wenn diese uicht, die Boulogner Unternehmung zu ganz anderen Resultaten geführt
haben? Interessant war auch die Wirkung, welche das Spiel der jungen deutschen
Künstlerin auf diese merkwürdige Gesellschaft machte. Fräulein Clauß spielte, wie
in ihren Concerten, zuerst ein Bravourstück von Liszt, und dann Bach, Beethoven,
und diesen Abend auch das allgemein verlangte Saltarello und die dritte Nummer
der ?r<zu<zrmäes ä'un soUtalriz vou Stephen Heller, dem bedeutendsten
der hier lebenden Pianocompvnisten. Heller's Komposition wurde mit viel
Beifall aufgenommen, aber eine wahre Erschütterung brachte Beethoven's CiS-
mollsonate hervor. In den Pausen zwischen den einzelnen Stücken trug ein poeti-


Greuzboten. II. -I83Z. Is

des Herrn von Persigny, ein Jugendfreund der Frau des Hauses. In eine
Fensterecke gelehnt, sehen wir Napoleon Daru, den ehemaligen Vicepräsidenten
der Kammer und, wenn wir nicht irren, Berichterstatter in der letzten Verhand¬
lung über die Aufhebung des Gesetzes vom 31. Mai. Und nun sehen Sie diesen
rüstigen Alten mit dem bedeutsamen Lächeln um den Mund, dem eigenthümlichen
Blicke, welcher sich der Herzogin von Decazes mit dem feinsten, tadellosesten
Salonanstande nähert, es ist Victor Cousin, der Hausphilosoph Frankreichs, der
eben von Montalembert xar iss sous »Meiers des Präsidenten aus dem Univer¬
sitätsrathe hinausbugsirt wurde. Herr Victor Cousin, welcher Plato übersetzte
und Kant transcribirte wie Liszt Schubert, gehört zu den angenehmsten Gesell¬
schaftern von Paris, und er hat auf diesem Felde blos mit Alexander Dumas
zu rechnen, wenn auch nicht ihn zu fürchten. Aus dem Gebiete der deutschen
Philosophie steht er zu allein, um sich viel und lange aus demselben aufzuhalten.
Der hagere kleine Mann mit dem olivenfarbigen Gesichte, den geistreichen Angen,
welcher von Bixio unter dem Arme geführt wird, ist der Maler Delacroix, dessen
Genie Goethe schon in dem Jünglinge erkannte; er ist Chef der romantischen
Schule, das Haupt der französischen Coloristen. Neben einer jungen Fran von
seltener Schönheit zeigt man uns den Dichter der Colvmba, einen der vorzüg¬
lichsten Romanschreiber Frankreichs, den Herausgeber des Theaters von Clara Gazul,
das Akademiemitglied Meria^e. Hier erblicken wir wieder einen kleinen, schmächtigen
Mann mit geistreichen, aber prätentiösen Zügen; es ist einer der vorzüglichsten
Mitarbeiter des Journal des Dvbats, John Lemoine, der sich mit dem Professor
des Conservatorinms, dem bekannten Contrapunktistcn Zimmermann, unterhält. Die
Unterhaltung ist rege, ungezwungen, und die Physiognomie dieser Gesellschaft verräth
durch nichts die große Verschiedenheit der Stellung, der Geistesrichtung und der poli¬
tischen Meinung. Man spricht unter einander und mit einander, wie es sich eben fügt.
Für den Beobachter gab es da ein reiches Feld zur Betrachtung. Die frappante
Aehnlichkeit Napoleon Bonaparte's mit seinem Onkel schien mir allgemein an¬
gestaunt und besprochen zu werden. Man mochte sich mit Recht fragen, wie
wol die Dinge gekommen wären, wenn Louis Bonaparte diese Aehnlichkeit nebst
seinen Ansprüchen geerbt hätte. Würde nicht schon die Straßburger Affaire, oder,
wenn diese uicht, die Boulogner Unternehmung zu ganz anderen Resultaten geführt
haben? Interessant war auch die Wirkung, welche das Spiel der jungen deutschen
Künstlerin auf diese merkwürdige Gesellschaft machte. Fräulein Clauß spielte, wie
in ihren Concerten, zuerst ein Bravourstück von Liszt, und dann Bach, Beethoven,
und diesen Abend auch das allgemein verlangte Saltarello und die dritte Nummer
der ?r<zu<zrmäes ä'un soUtalriz vou Stephen Heller, dem bedeutendsten
der hier lebenden Pianocompvnisten. Heller's Komposition wurde mit viel
Beifall aufgenommen, aber eine wahre Erschütterung brachte Beethoven's CiS-
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/123>, abgerufen am 04.07.2024.