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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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alle Wissenschaften; ans diesen schöpfte er die erste Kunde von dem geistigen
Fortschritte der Menschheit; den russischen Lehrmitteln folgten italienische und
französische, in späteren Jahren wol anch deutsche. Begabt mit einem außer¬
ordentlichen Gedächtnisse bei großer Leichtigkeit des Begreifens, war er in wenigen
Jahren in allen Fächern des humanistischen Wissens genügend orientirt. So
weit fortgeschritten, fing er ein ernstes Studium der Poesie an; mit Puschkin und
Miekiewicz, mit Homer und Dante war er gleich befreundet -- sein Liebling und
steter Begleiter in der Heimath und in der Fremde wurde und blieb Homer, in
welchem er (wie Kohl richtig meldet) die Verklärung des heimathlichen Volks¬
lebens zu erblicken wähnte.

Hatte anch der Vladyka schon zu Aufang der dreißiger Jahre in dem von
ihm redigirten Jahrbuche "Grliza" einige eigene Poesien drucken lassen,, so war
dies doch nnr der kleinste Theil seiner damaligen Arbeiten, die durchaus nicht
bestimmt waren, dem Publicum bekannt zu werden. Ohne eine Indiscretion zu
begehen, darf ich erwähnen, daß sich darunter eine serbische Uebersetzung der drei
ersten Bücher der Ilias im Metrum des serbischen Heldenliedes befand, die nach
dem Anfange zu urtheilen viel versprach, aber ans Pietät gegen das unerreichbare
Ideal des Dichters später den Flammen übergeben wurde.

Trübe heimathliche Verhältnisse ließen bis zu Anfang der vierziger Jahre
der Poesie wenig Spielraum. Die Fehden mit den östreichischen Nachbarn
waren zugleich mit vielen Zerwürfnissen der einzelnen Plemena (Sippen, Gerdes)
nnter einander verknüpft, und es gehörte die ganze Energie des Vladyka dazu,
denselben ein Ziel zu setzen. Mit schwerem Herzen erkannte er, der Verehrer
Beccaria's und der Humanisten, daß ihre Theorien von Staat, Recht und Strafe
auf sein Volk nicht anwendbar seien. Der Conflict, in welchen er dadurch mit
sich und seinen bisherigen Ansichten gerathen war, stimmte den griechisch heitern,
poesiereichen Mann so trübe, daß er sich erst nach jahrelangem Kampfe resignirte
und mit sich selbst versöhnte, nachdem er den fremden Idealen entsagt und
seinem eigenen Volke sich zugewandt hatte. Der Einfluß dieser Umstimmung war
für seine Dichtung entscheidend; wol liebte er seine Lieblinge Homer und Puschkin
nach wie vor, aber seine eigene Production wurde nicht mehr durch dieselben
bestimmt -- sie wurde durchaus volksthümlich.

In diesen Jahren des innern Kampfes und ein Denkmal der Versöhnung
mit sich selbst entstand das didaktische Gedicht "Lutscha Mikrokosma" (Belgrad
1843)' -- ein Beweis, daß der Poet in philosophischer Speculation kein Fremd¬
ling war. Freilich ist kein präcis bestimmter philosophischer Standpunkt darin
ausgesprochen; aber es ist gewiß sehr erfreulich, wenn ein slavischer Fürst und
Bischof der slavischen Kirche die Freiheit des Menschengeistes und des Gedan¬
kens als ein Moment der Göttlichkeit im Menschen anerkennt und preist.

Gleichzeitig mit diesem Lehrgedichte erschien ein größeres poetisches Werk


Grenzboten, l. -I8et2. 7'

alle Wissenschaften; ans diesen schöpfte er die erste Kunde von dem geistigen
Fortschritte der Menschheit; den russischen Lehrmitteln folgten italienische und
französische, in späteren Jahren wol anch deutsche. Begabt mit einem außer¬
ordentlichen Gedächtnisse bei großer Leichtigkeit des Begreifens, war er in wenigen
Jahren in allen Fächern des humanistischen Wissens genügend orientirt. So
weit fortgeschritten, fing er ein ernstes Studium der Poesie an; mit Puschkin und
Miekiewicz, mit Homer und Dante war er gleich befreundet — sein Liebling und
steter Begleiter in der Heimath und in der Fremde wurde und blieb Homer, in
welchem er (wie Kohl richtig meldet) die Verklärung des heimathlichen Volks¬
lebens zu erblicken wähnte.

Hatte anch der Vladyka schon zu Aufang der dreißiger Jahre in dem von
ihm redigirten Jahrbuche „Grliza" einige eigene Poesien drucken lassen,, so war
dies doch nnr der kleinste Theil seiner damaligen Arbeiten, die durchaus nicht
bestimmt waren, dem Publicum bekannt zu werden. Ohne eine Indiscretion zu
begehen, darf ich erwähnen, daß sich darunter eine serbische Uebersetzung der drei
ersten Bücher der Ilias im Metrum des serbischen Heldenliedes befand, die nach
dem Anfange zu urtheilen viel versprach, aber ans Pietät gegen das unerreichbare
Ideal des Dichters später den Flammen übergeben wurde.

Trübe heimathliche Verhältnisse ließen bis zu Anfang der vierziger Jahre
der Poesie wenig Spielraum. Die Fehden mit den östreichischen Nachbarn
waren zugleich mit vielen Zerwürfnissen der einzelnen Plemena (Sippen, Gerdes)
nnter einander verknüpft, und es gehörte die ganze Energie des Vladyka dazu,
denselben ein Ziel zu setzen. Mit schwerem Herzen erkannte er, der Verehrer
Beccaria's und der Humanisten, daß ihre Theorien von Staat, Recht und Strafe
auf sein Volk nicht anwendbar seien. Der Conflict, in welchen er dadurch mit
sich und seinen bisherigen Ansichten gerathen war, stimmte den griechisch heitern,
poesiereichen Mann so trübe, daß er sich erst nach jahrelangem Kampfe resignirte
und mit sich selbst versöhnte, nachdem er den fremden Idealen entsagt und
seinem eigenen Volke sich zugewandt hatte. Der Einfluß dieser Umstimmung war
für seine Dichtung entscheidend; wol liebte er seine Lieblinge Homer und Puschkin
nach wie vor, aber seine eigene Production wurde nicht mehr durch dieselben
bestimmt — sie wurde durchaus volksthümlich.

In diesen Jahren des innern Kampfes und ein Denkmal der Versöhnung
mit sich selbst entstand das didaktische Gedicht „Lutscha Mikrokosma" (Belgrad
1843)' — ein Beweis, daß der Poet in philosophischer Speculation kein Fremd¬
ling war. Freilich ist kein präcis bestimmter philosophischer Standpunkt darin
ausgesprochen; aber es ist gewiß sehr erfreulich, wenn ein slavischer Fürst und
Bischof der slavischen Kirche die Freiheit des Menschengeistes und des Gedan¬
kens als ein Moment der Göttlichkeit im Menschen anerkennt und preist.

Gleichzeitig mit diesem Lehrgedichte erschien ein größeres poetisches Werk


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/59>, abgerufen am 25.08.2024.