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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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interessante politische Erscheinung, daß eine getreue Darstellung seiner Bildungs¬
geschichte und seines Geisteslebens schon dadurch gerechtfertigt wäre; sie wird aber
noch bedeutsamer durch den Umstand, daß sich in ihm der geistige Kampf des
Slaventhums mit den Cultnrelementen des Westens an einer hochbegabten Per- -
fortlebten darstellt, die, begeistert für die geistigen Errungenschaften der heutigen
Menschheit, dieselben in sich aufzunehmen versuchte, ohne dabei das Wesen seines
eigenen Volkes irgendwie zu verläugnen.

Es ist ein eigenthümliches Geschick um uns Slaven! Wir Einzelne, denen
es vergönnt war, an den Quellen westlicher Wissenschaft zu schöpfen, befreunden
uns, zu den Unsrigen heimgekehrt, nnr schwer mit dem rauhen aber markigen
Wesen unsres Volkes. So lange wir jung sind, ist es uns schwer, den Maßstab,
den uns die Frende an die Hand gegeben, auf die Heimath uicht anzuwenden,
-wenn wir es gleich an unsrem eigenen Innern erprobt haben, daß er für unser
Wesen nicht ganz passe. Die rauhe Außenseite des Volkes fühlt sich schwer an,
wenn man sich gewöhnt hat, über die glatten Linien der Kreise, innerhalb deren
man sich im fernen Westen bewegte, leicht und widerstandlos hiuwegzugleiten; das
heimathliche Leben, dessen Poesie auch der flüchtige Fremde erkannte und wür¬
digte, scheint uns so poesielos, daß wir uns Jahre lang nach den Auditorien der
Universität und den ehrwürdig bestaubten Bücherschränken der Bibliotheken sehnen,
in deuen wir so manches Jahr verträumt hatten, nach den Kreisen von Gelehrten,
Künstlern und Virtuosen, in welchen mitzureden uns Stolz und Freude war.
Aber wir werden älter -- das, wonach wir uns gesehnt, wird zur Erinnerung --
wir werden ins bunte Getriebe des heimathlichen Lebens hineingezogen, dadurch
mit dem eigenen Volke vertrauter: wir versöhnen uns mit der Heimath. Es
giebt keinen Serben, dem das Wort "Wostok", der Osten, nicht die zarteste Saite
des Herzens berührte; der Osten, in den sich so mancher occidentalische Poet
durch Reflexion verliebte, ist unsre Heimath; das Wort ist bei uns kein unbe¬
stimmter Begriff -- unser Osten reicht uicht über die slavische Heimath hinaus --
er ist identisch mit unsrem Vaterlande, in welchem jeder rechtgläubige Serbe
natürlich auch (^Ig-rad -- Euer Konstantinopel -- mit einschließt.
'Doch zur Sache.

Wladyka Petar hatte erst sein neunzehntes Jahr vollendet, als ihn im
Jahre 1830 der Tod seines Oheims, des Vladhka Petar I., zum Obersten,
Priester und Herrscher der Zrnagora berief. Der ^Jüngling hatte sich zu dieser
Rolle nicht vorbereitet; er war noch uicht einmal zum Priester geweiht -- dies
geschah erst nach Verlauf von drei Jahren zu Se. Petersburg, wo er seine Er¬
ziehung erhalten hatte. Nachdem er die Regierung übernommen, sing er an
seinen Wünschen zu leben; da in der Zrnagora nicht eben viel regiert werden
kann, hatte er Muße genng, seinem WissenSdrange zu folgen. Die russische
Literatur ist bekanntlich sehr reich an -- mitunter guten -- Elementarwerken über


interessante politische Erscheinung, daß eine getreue Darstellung seiner Bildungs¬
geschichte und seines Geisteslebens schon dadurch gerechtfertigt wäre; sie wird aber
noch bedeutsamer durch den Umstand, daß sich in ihm der geistige Kampf des
Slaventhums mit den Cultnrelementen des Westens an einer hochbegabten Per- -
fortlebten darstellt, die, begeistert für die geistigen Errungenschaften der heutigen
Menschheit, dieselben in sich aufzunehmen versuchte, ohne dabei das Wesen seines
eigenen Volkes irgendwie zu verläugnen.

Es ist ein eigenthümliches Geschick um uns Slaven! Wir Einzelne, denen
es vergönnt war, an den Quellen westlicher Wissenschaft zu schöpfen, befreunden
uns, zu den Unsrigen heimgekehrt, nnr schwer mit dem rauhen aber markigen
Wesen unsres Volkes. So lange wir jung sind, ist es uns schwer, den Maßstab,
den uns die Frende an die Hand gegeben, auf die Heimath uicht anzuwenden,
-wenn wir es gleich an unsrem eigenen Innern erprobt haben, daß er für unser
Wesen nicht ganz passe. Die rauhe Außenseite des Volkes fühlt sich schwer an,
wenn man sich gewöhnt hat, über die glatten Linien der Kreise, innerhalb deren
man sich im fernen Westen bewegte, leicht und widerstandlos hiuwegzugleiten; das
heimathliche Leben, dessen Poesie auch der flüchtige Fremde erkannte und wür¬
digte, scheint uns so poesielos, daß wir uns Jahre lang nach den Auditorien der
Universität und den ehrwürdig bestaubten Bücherschränken der Bibliotheken sehnen,
in deuen wir so manches Jahr verträumt hatten, nach den Kreisen von Gelehrten,
Künstlern und Virtuosen, in welchen mitzureden uns Stolz und Freude war.
Aber wir werden älter — das, wonach wir uns gesehnt, wird zur Erinnerung —
wir werden ins bunte Getriebe des heimathlichen Lebens hineingezogen, dadurch
mit dem eigenen Volke vertrauter: wir versöhnen uns mit der Heimath. Es
giebt keinen Serben, dem das Wort „Wostok", der Osten, nicht die zarteste Saite
des Herzens berührte; der Osten, in den sich so mancher occidentalische Poet
durch Reflexion verliebte, ist unsre Heimath; das Wort ist bei uns kein unbe¬
stimmter Begriff — unser Osten reicht uicht über die slavische Heimath hinaus —
er ist identisch mit unsrem Vaterlande, in welchem jeder rechtgläubige Serbe
natürlich auch (^Ig-rad — Euer Konstantinopel — mit einschließt.
'Doch zur Sache.

Wladyka Petar hatte erst sein neunzehntes Jahr vollendet, als ihn im
Jahre 1830 der Tod seines Oheims, des Vladhka Petar I., zum Obersten,
Priester und Herrscher der Zrnagora berief. Der ^Jüngling hatte sich zu dieser
Rolle nicht vorbereitet; er war noch uicht einmal zum Priester geweiht — dies
geschah erst nach Verlauf von drei Jahren zu Se. Petersburg, wo er seine Er¬
ziehung erhalten hatte. Nachdem er die Regierung übernommen, sing er an
seinen Wünschen zu leben; da in der Zrnagora nicht eben viel regiert werden
kann, hatte er Muße genng, seinem WissenSdrange zu folgen. Die russische
Literatur ist bekanntlich sehr reich an — mitunter guten — Elementarwerken über


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/58>, abgerufen am 22.07.2024.