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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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der mosaischen Sagen, daß Abraham von der Hagar einen bösen Jungen, Ismael,
erhalten habe, worauf der Chronist, dessen ungefällige Sprache hier zur Bequem¬
lichkeit der Leser (nach Hoffmann p. 31, v. 23 -- 30.) übersetzt wird, folgende
Bemerkung an den Namen Ismael knüpft:


Von ihm stammen die Jsmaelitischen Leut, sie Hausirer durch die Welt weit/
Wir hießen sie Kaltschmiede. Ach über ihr Leben und ihre Sitte!
Denn Alles, was sie haben feil, das hat irgend einen Makel und ist nicht heil.
Wenn er (der Kaltschmied) was kauft, übel oder wohl, man ihm noch Etwas
darüber geben soll,

Und hat er verkauft seine Waaren, so ersetzt er nie mehr den Schaden.
Sie haben nicht Haus noch Heimath, es scheint ihnen überall gleich gut,
Das Land sie durchstreichen, das Volk sie mit Gaunereien beschleichen.
So betrügen sie die Menschheit, sie rauben aber nicht mit Oeffentlichkeit.

Diese merkwürdige Schilderung paßt eben so genau auf die Zigeuner, als
der Name selbst, denu Kaltschmied bedeutet Tengler, Kupferschmied, Kesselflicker.
-- Es ist wol nicht nöthig zu bemerken, daß hier an hausirende Juden um so
weniger zu denken ist, da diese Jsmaeliten in demselben Gedicht gerade den Juden
gegenübergestellt werdeu. Ein fremdes Geschlecht, dessen Söhne einzeln oder in
kleinen Haufen durch das Land ziehen um zu gauuern, Kessel zu flicken und
Handel zu treiben, kann nicht eben erst aus eiuer entfernten Weltgegend im Lande
angekommen sein, es muß mit der Sprache, den Sitten und den Schwächen der
Einwohner genau bekannt sein. Deshalb ist anzunehmen, daß diese Kaltschmiede
damals wenigstens in dem östlichen Europa seit läugerer Zeit umherzogen und
die deutschen Grenzländer nicht selten besuchten. Der Verfasser der Genesis
weiß, daß sie durch die ganze Welt ziehen und Orientalen sind, und deshalb
verwechselt er sie mit den Jsmaeliten. Er denkt sie sich deshalb auch zwischen
Aegypten und Palästina als wandernde Händler umherziehend, denn in einer spä¬
tern Stelle des Gedichtes (Fundgruben It. S. 71. V. 23.) erscheinen Kaltschmiede,
als Joseph's Brüder deu Joseph bei Seite schaffen wollen,' an sie wird Joseph
verkauft und sie verhandeln ihn in Aegypten. Andererseits läßt sich ans der Schil¬
derung der Kaltschmiede aber auch abnehme", daß diese fremden Strolche um 1100
in Deutschland nicht zahlreich und weit verbreitet waren, denn der Chronist beschreibt
sie als etwas ihm Wohlbekanntes, aber doch Merkwürdiges.

Daß die Nachrichten über die Zigeuner in diesen Jahrhunderten sehr dürftig
und unsicher sind, darf nicht wundern. Denn in der ganzen Periode der Kreuz-'
züge und noch lange nachher hatten die Menschen andere abenteuerliche Erschei¬
nungen und Wanderungen in viel größerem Styl durchzumachen, und es ist als
Zufall zu betrachte", daß die armen Teufel von Kaltschmieden etwa den Mönchen
eines östreichischen Klosters ausfielen und sie zu historischen Combinationen reizten"
Manche Notiz über die Zigeuner mag übrigeus bis jetzt unbemerkt geblieben sein.

Es ist ferner nicht unwahrscheinlich, daß sie im Jahre 1236 in Polen als


Grenzboten. I. 18L2. 63

der mosaischen Sagen, daß Abraham von der Hagar einen bösen Jungen, Ismael,
erhalten habe, worauf der Chronist, dessen ungefällige Sprache hier zur Bequem¬
lichkeit der Leser (nach Hoffmann p. 31, v. 23 — 30.) übersetzt wird, folgende
Bemerkung an den Namen Ismael knüpft:


Von ihm stammen die Jsmaelitischen Leut, sie Hausirer durch die Welt weit/
Wir hießen sie Kaltschmiede. Ach über ihr Leben und ihre Sitte!
Denn Alles, was sie haben feil, das hat irgend einen Makel und ist nicht heil.
Wenn er (der Kaltschmied) was kauft, übel oder wohl, man ihm noch Etwas
darüber geben soll,

Und hat er verkauft seine Waaren, so ersetzt er nie mehr den Schaden.
Sie haben nicht Haus noch Heimath, es scheint ihnen überall gleich gut,
Das Land sie durchstreichen, das Volk sie mit Gaunereien beschleichen.
So betrügen sie die Menschheit, sie rauben aber nicht mit Oeffentlichkeit.

Diese merkwürdige Schilderung paßt eben so genau auf die Zigeuner, als
der Name selbst, denu Kaltschmied bedeutet Tengler, Kupferschmied, Kesselflicker.
— Es ist wol nicht nöthig zu bemerken, daß hier an hausirende Juden um so
weniger zu denken ist, da diese Jsmaeliten in demselben Gedicht gerade den Juden
gegenübergestellt werdeu. Ein fremdes Geschlecht, dessen Söhne einzeln oder in
kleinen Haufen durch das Land ziehen um zu gauuern, Kessel zu flicken und
Handel zu treiben, kann nicht eben erst aus eiuer entfernten Weltgegend im Lande
angekommen sein, es muß mit der Sprache, den Sitten und den Schwächen der
Einwohner genau bekannt sein. Deshalb ist anzunehmen, daß diese Kaltschmiede
damals wenigstens in dem östlichen Europa seit läugerer Zeit umherzogen und
die deutschen Grenzländer nicht selten besuchten. Der Verfasser der Genesis
weiß, daß sie durch die ganze Welt ziehen und Orientalen sind, und deshalb
verwechselt er sie mit den Jsmaeliten. Er denkt sie sich deshalb auch zwischen
Aegypten und Palästina als wandernde Händler umherziehend, denn in einer spä¬
tern Stelle des Gedichtes (Fundgruben It. S. 71. V. 23.) erscheinen Kaltschmiede,
als Joseph's Brüder deu Joseph bei Seite schaffen wollen,' an sie wird Joseph
verkauft und sie verhandeln ihn in Aegypten. Andererseits läßt sich ans der Schil¬
derung der Kaltschmiede aber auch abnehme«, daß diese fremden Strolche um 1100
in Deutschland nicht zahlreich und weit verbreitet waren, denn der Chronist beschreibt
sie als etwas ihm Wohlbekanntes, aber doch Merkwürdiges.

Daß die Nachrichten über die Zigeuner in diesen Jahrhunderten sehr dürftig
und unsicher sind, darf nicht wundern. Denn in der ganzen Periode der Kreuz-'
züge und noch lange nachher hatten die Menschen andere abenteuerliche Erschei¬
nungen und Wanderungen in viel größerem Styl durchzumachen, und es ist als
Zufall zu betrachte», daß die armen Teufel von Kaltschmieden etwa den Mönchen
eines östreichischen Klosters ausfielen und sie zu historischen Combinationen reizten»
Manche Notiz über die Zigeuner mag übrigeus bis jetzt unbemerkt geblieben sein.

Es ist ferner nicht unwahrscheinlich, daß sie im Jahre 1236 in Polen als


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[0507] der mosaischen Sagen, daß Abraham von der Hagar einen bösen Jungen, Ismael, erhalten habe, worauf der Chronist, dessen ungefällige Sprache hier zur Bequem¬ lichkeit der Leser (nach Hoffmann p. 31, v. 23 — 30.) übersetzt wird, folgende Bemerkung an den Namen Ismael knüpft: Von ihm stammen die Jsmaelitischen Leut, sie Hausirer durch die Welt weit/ Wir hießen sie Kaltschmiede. Ach über ihr Leben und ihre Sitte! Denn Alles, was sie haben feil, das hat irgend einen Makel und ist nicht heil. Wenn er (der Kaltschmied) was kauft, übel oder wohl, man ihm noch Etwas darüber geben soll, Und hat er verkauft seine Waaren, so ersetzt er nie mehr den Schaden. Sie haben nicht Haus noch Heimath, es scheint ihnen überall gleich gut, Das Land sie durchstreichen, das Volk sie mit Gaunereien beschleichen. So betrügen sie die Menschheit, sie rauben aber nicht mit Oeffentlichkeit. Diese merkwürdige Schilderung paßt eben so genau auf die Zigeuner, als der Name selbst, denu Kaltschmied bedeutet Tengler, Kupferschmied, Kesselflicker. — Es ist wol nicht nöthig zu bemerken, daß hier an hausirende Juden um so weniger zu denken ist, da diese Jsmaeliten in demselben Gedicht gerade den Juden gegenübergestellt werdeu. Ein fremdes Geschlecht, dessen Söhne einzeln oder in kleinen Haufen durch das Land ziehen um zu gauuern, Kessel zu flicken und Handel zu treiben, kann nicht eben erst aus eiuer entfernten Weltgegend im Lande angekommen sein, es muß mit der Sprache, den Sitten und den Schwächen der Einwohner genau bekannt sein. Deshalb ist anzunehmen, daß diese Kaltschmiede damals wenigstens in dem östlichen Europa seit läugerer Zeit umherzogen und die deutschen Grenzländer nicht selten besuchten. Der Verfasser der Genesis weiß, daß sie durch die ganze Welt ziehen und Orientalen sind, und deshalb verwechselt er sie mit den Jsmaeliten. Er denkt sie sich deshalb auch zwischen Aegypten und Palästina als wandernde Händler umherziehend, denn in einer spä¬ tern Stelle des Gedichtes (Fundgruben It. S. 71. V. 23.) erscheinen Kaltschmiede, als Joseph's Brüder deu Joseph bei Seite schaffen wollen,' an sie wird Joseph verkauft und sie verhandeln ihn in Aegypten. Andererseits läßt sich ans der Schil¬ derung der Kaltschmiede aber auch abnehme«, daß diese fremden Strolche um 1100 in Deutschland nicht zahlreich und weit verbreitet waren, denn der Chronist beschreibt sie als etwas ihm Wohlbekanntes, aber doch Merkwürdiges. Daß die Nachrichten über die Zigeuner in diesen Jahrhunderten sehr dürftig und unsicher sind, darf nicht wundern. Denn in der ganzen Periode der Kreuz-' züge und noch lange nachher hatten die Menschen andere abenteuerliche Erschei¬ nungen und Wanderungen in viel größerem Styl durchzumachen, und es ist als Zufall zu betrachte», daß die armen Teufel von Kaltschmieden etwa den Mönchen eines östreichischen Klosters ausfielen und sie zu historischen Combinationen reizten» Manche Notiz über die Zigeuner mag übrigeus bis jetzt unbemerkt geblieben sein. Es ist ferner nicht unwahrscheinlich, daß sie im Jahre 1236 in Polen als Grenzboten. I. 18L2. 63

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/507>, abgerufen am 22.07.2024.