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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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noch erhielt sich die Art in dem Lande, ja sie breitete sich aus. Zur Zeit der
Expedition Tamerlan's gegen das nördliche Indien saß ein Stamm unter diesem
Namen in der Gegend von Delhi fest. Dieser Stamm sicherte sich eine sehr
feste Position in dieser Provinz, in der Stadt Bhartpnr, und erhielt sich dort.
Etwa um die Mitte des vorigen Jahrhunderts beim Verfall der mongolischen
Herrschaft, erklärte er sich für unabhängig, und widerstand später sogar eine Zeit
lang den Engländern. Bis auf die neueste Zeit ist bei Bhartpur auf unsrer Kar¬
ten der Djautstaat markirt. -- Gegenwärtig giebt es noch Dschath, uicht allein im
untern Stromthal des Indus, soudern auch im Königreich Kabul und im Lande
der Silb's. --- Merkwürdig stimmt damit, daß die Zigeuner in Deutschland noch
im 19. Jahrhundert sich selbst sinke (Jndusbewohner?) nannten, und noch merkwür¬
diger ist, daß schon in den Reisen von I. Thevenot (Amsterdam 1728), an den
Mündungen des Indus ein räuberischer Stamm der Zinganen angeführt wird.

Unter verschiedenen Namen finden sich in Ostindien selbst wandernde Horden,
welche von englischen Reisenden für Zigeuner erklärt werden; selbst auf Ceylon
sollen sie umherziehen, und in keinem Lande des westlichen Asiens scheinen sie ganz
zu fehlen. Sie erscheinen auch in Asien als ein markirter, leicht erkennbarer, um¬
herstreifender Volkstamm, dessen Waudertneb sehr alt ist, und der seine Horden
seit alter Zeit in die Nachbarländer Indiens gesandt hat. Ob sie in der That aus
dem untern Thalgebiet des Sind flammam, und ob sie mit den Dschaths identisch
sind, das wird durch neue Untersuchung des Dialekts der Dschaths sich wahrschein¬
lich in kurzer Zeit ergeben. Bis dahin bleibt die Annahme eine Hypothese, welche
allerdings wahrscheinlich genannt werden muß.

Deshalb ist auch hier noch kein Gewicht auf deu Umstand zu legen, daß Banden
der Dschath nach 835 von den Kalifen zu Bagdad nach Kleinasien, an die Grenze
des griechischen Kaiserthums versetzt worden siud, obgleich wir aus anderen Grün¬
den genöthigt sind, anzunehmen, daß die Zigeuner, welche im 16. Jahrhundert in
Europa allgemein bekannt werden, von Kleinasien her nach Europa gekommen sind,
ja sogar, daß sie längere Zeit vor dem 16. Jahrhundert dort existirt haben.

Etwa seit dem Jahre 1100 entdecken wir Spuren der Zigeuner in Europa.
Sie scheinen auf dem Völkerwege, welcher durch die Kreuzzüge vom Westen nach
Kleinasien geöffnet war, nach entgegengesetzter Richtung, einzeln und diebisch wie
Raben in die unbekannten Länder der zahllosen Kreuzträger geschlichen zu sein,
welche die Heimath verlassen hatten, und im Orient erschlagen und geplündert
wurden.

Die erste Spur der Zigeuner wird um 1100 im südwestlichen Deutschland
sichtbar. Eine freie Bearbeitung des ersten Buch Mose, in ziemlich rohen
deutschen Verse" und chronikähnlicher Darstellung,, welche jedenfalls vor dem Jahr
1122 geschrieben ist (die Genesis, gedruckt unter Anderem in IZoMnann, l^unäAruden,
'rden 2. Lreslau 1837. Die Handschrift in Wien), erzählt in der Reihenfolge


noch erhielt sich die Art in dem Lande, ja sie breitete sich aus. Zur Zeit der
Expedition Tamerlan's gegen das nördliche Indien saß ein Stamm unter diesem
Namen in der Gegend von Delhi fest. Dieser Stamm sicherte sich eine sehr
feste Position in dieser Provinz, in der Stadt Bhartpnr, und erhielt sich dort.
Etwa um die Mitte des vorigen Jahrhunderts beim Verfall der mongolischen
Herrschaft, erklärte er sich für unabhängig, und widerstand später sogar eine Zeit
lang den Engländern. Bis auf die neueste Zeit ist bei Bhartpur auf unsrer Kar¬
ten der Djautstaat markirt. — Gegenwärtig giebt es noch Dschath, uicht allein im
untern Stromthal des Indus, soudern auch im Königreich Kabul und im Lande
der Silb's. -— Merkwürdig stimmt damit, daß die Zigeuner in Deutschland noch
im 19. Jahrhundert sich selbst sinke (Jndusbewohner?) nannten, und noch merkwür¬
diger ist, daß schon in den Reisen von I. Thevenot (Amsterdam 1728), an den
Mündungen des Indus ein räuberischer Stamm der Zinganen angeführt wird.

Unter verschiedenen Namen finden sich in Ostindien selbst wandernde Horden,
welche von englischen Reisenden für Zigeuner erklärt werden; selbst auf Ceylon
sollen sie umherziehen, und in keinem Lande des westlichen Asiens scheinen sie ganz
zu fehlen. Sie erscheinen auch in Asien als ein markirter, leicht erkennbarer, um¬
herstreifender Volkstamm, dessen Waudertneb sehr alt ist, und der seine Horden
seit alter Zeit in die Nachbarländer Indiens gesandt hat. Ob sie in der That aus
dem untern Thalgebiet des Sind flammam, und ob sie mit den Dschaths identisch
sind, das wird durch neue Untersuchung des Dialekts der Dschaths sich wahrschein¬
lich in kurzer Zeit ergeben. Bis dahin bleibt die Annahme eine Hypothese, welche
allerdings wahrscheinlich genannt werden muß.

Deshalb ist auch hier noch kein Gewicht auf deu Umstand zu legen, daß Banden
der Dschath nach 835 von den Kalifen zu Bagdad nach Kleinasien, an die Grenze
des griechischen Kaiserthums versetzt worden siud, obgleich wir aus anderen Grün¬
den genöthigt sind, anzunehmen, daß die Zigeuner, welche im 16. Jahrhundert in
Europa allgemein bekannt werden, von Kleinasien her nach Europa gekommen sind,
ja sogar, daß sie längere Zeit vor dem 16. Jahrhundert dort existirt haben.

Etwa seit dem Jahre 1100 entdecken wir Spuren der Zigeuner in Europa.
Sie scheinen auf dem Völkerwege, welcher durch die Kreuzzüge vom Westen nach
Kleinasien geöffnet war, nach entgegengesetzter Richtung, einzeln und diebisch wie
Raben in die unbekannten Länder der zahllosen Kreuzträger geschlichen zu sein,
welche die Heimath verlassen hatten, und im Orient erschlagen und geplündert
wurden.

Die erste Spur der Zigeuner wird um 1100 im südwestlichen Deutschland
sichtbar. Eine freie Bearbeitung des ersten Buch Mose, in ziemlich rohen
deutschen Verse» und chronikähnlicher Darstellung,, welche jedenfalls vor dem Jahr
1122 geschrieben ist (die Genesis, gedruckt unter Anderem in IZoMnann, l^unäAruden,
'rden 2. Lreslau 1837. Die Handschrift in Wien), erzählt in der Reihenfolge


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/506>, abgerufen am 22.07.2024.