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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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zu locken sucht, ruhend im Arm. Die Kleidung ist in Unordnung gerathen, der
nackte Fuß bestäubt: man sieht, das Kind habe des Tages Last und Hitze bereits
getragen. Aber das dunkelbraune Auge blickt so munter und mit einem Zuge
von Schalkhaftigkeit, daß die innere Lebhaftigkeit offenbar in der Ruhe des
Sitzens die Ermüdung des Körpers schon wieder besiegt. Die innere Welt ist
es auch, woran die Kleine sich erquickt, denn die Munterkeit des Blicks richtet
sich nicht mit fester Absicht nach Außen; es liegt ein träumerisches Sinnen in
den Ausdruck des Auges und scheint uns das rege Bilden der Phantasie in ver¬
schlossener Seele anzudeuten. Das, Mädchen ist so ganz ein Kind des Volkes,
nichts äußerlich Jdealisirtes an seiner Erscheinung, und doch empfinden wir bei
seiner Betrachtung das Leben einer noch nicht entfalteten, aber im Keim vorhan¬
denen idealen Natur. Darin besteht die Poesie dieses Bildes. Unfern davon
hängt eine andere Scene ans dem italienischen Volksleben, eine Kapnzinerpredigt
in Subiaco bei Nom von Carl Becker. Wir befinden uns in einer kleinen
Straßenhunde zwischen engen Gassen. Unter einem Madonnenbilde ist eine stei¬
nerne Kanzel angebracht, auf der wir einen eifernden Mönch erblicken. Männer,
Weiber, Kinder, mehr oder weniger theilnehmend, anch plaudernd und spielend,
in bunten Gemisch umher, von wirklicher Andacht kaum eine Spur, und in der
engen Gasse geradezu die ruhende Procession der Mönche, welche auf die Be-
endigung des Vortrags wartet, um dann mit dem Prediger weiter zu ziehen.
Der Maler wollte ohne Zweifel die Aeußerlichkeit des südlichen Cultus, dessen
eiferndes Wort selbst in der Gewohnheit sich abstumpft und als alltägliche Speise
entgegengenommen wird, in seinem Genrebilds vernehmen lassen, und dies ist ihm sehr
wohl gelungen. Weniger auf nationalem als auf socialem Gebiete sucht Louis
v. Hagu (Bruder der einst so glänzenden Charlotte v. Hagn) seine Gegenstände, und
hat eben jetzt wieder ein Genrebild in dieser Richtung vollendet, dem er den Titel
"das letzte Kleinod" gab. Ein alterthümliches Zimmer im niederländischen Styl
öffnet durch ein breites Fenster die Aussicht auf die Häuser einer engen Straße.
Die Localität deutet an, daß wir uns nicht in einem Quartier des Reichthums
befinden; allerlei Gegenstände, Rüstungsstncke, Helme, Degen im Winkel lassen
keinen Zweifel, daß wir die Wohnung eines Pfandleiherö vor uns haben. Und
die Gruppe der drei im Zimmer vorhandenen Personen bestätigt diese Ansicht.
Auf einem Stuhle sitzt ein alter Mann und prüft durch die vorgehaltene Brille
mit Kennermiene das ihm zur Schätzung übergebene Kleinod. Wird er Etwas
darauf leihen, wird es genügen, die dringendsten Bedürfnisse der Mutter mit
ihrem Sohne zu befriedigen, welche in banger Erwartung vor ihm stehen? Ein
schlechtes Kleid, ein mantelartiger schwarzer Ueberwurf bedecken die Gestalt der
Mutter, welche die kraftlos herabgesunkenen Hände bewußtlos faltet, und in ihren
von Elend gebleichten, doch immer noch traurig schönen Zügen und dem großen,
aber starren Auge die ganze Hoffnungslosigkeit eines vernichteten Lebens trägt.


zu locken sucht, ruhend im Arm. Die Kleidung ist in Unordnung gerathen, der
nackte Fuß bestäubt: man sieht, das Kind habe des Tages Last und Hitze bereits
getragen. Aber das dunkelbraune Auge blickt so munter und mit einem Zuge
von Schalkhaftigkeit, daß die innere Lebhaftigkeit offenbar in der Ruhe des
Sitzens die Ermüdung des Körpers schon wieder besiegt. Die innere Welt ist
es auch, woran die Kleine sich erquickt, denn die Munterkeit des Blicks richtet
sich nicht mit fester Absicht nach Außen; es liegt ein träumerisches Sinnen in
den Ausdruck des Auges und scheint uns das rege Bilden der Phantasie in ver¬
schlossener Seele anzudeuten. Das, Mädchen ist so ganz ein Kind des Volkes,
nichts äußerlich Jdealisirtes an seiner Erscheinung, und doch empfinden wir bei
seiner Betrachtung das Leben einer noch nicht entfalteten, aber im Keim vorhan¬
denen idealen Natur. Darin besteht die Poesie dieses Bildes. Unfern davon
hängt eine andere Scene ans dem italienischen Volksleben, eine Kapnzinerpredigt
in Subiaco bei Nom von Carl Becker. Wir befinden uns in einer kleinen
Straßenhunde zwischen engen Gassen. Unter einem Madonnenbilde ist eine stei¬
nerne Kanzel angebracht, auf der wir einen eifernden Mönch erblicken. Männer,
Weiber, Kinder, mehr oder weniger theilnehmend, anch plaudernd und spielend,
in bunten Gemisch umher, von wirklicher Andacht kaum eine Spur, und in der
engen Gasse geradezu die ruhende Procession der Mönche, welche auf die Be-
endigung des Vortrags wartet, um dann mit dem Prediger weiter zu ziehen.
Der Maler wollte ohne Zweifel die Aeußerlichkeit des südlichen Cultus, dessen
eiferndes Wort selbst in der Gewohnheit sich abstumpft und als alltägliche Speise
entgegengenommen wird, in seinem Genrebilds vernehmen lassen, und dies ist ihm sehr
wohl gelungen. Weniger auf nationalem als auf socialem Gebiete sucht Louis
v. Hagu (Bruder der einst so glänzenden Charlotte v. Hagn) seine Gegenstände, und
hat eben jetzt wieder ein Genrebild in dieser Richtung vollendet, dem er den Titel
„das letzte Kleinod" gab. Ein alterthümliches Zimmer im niederländischen Styl
öffnet durch ein breites Fenster die Aussicht auf die Häuser einer engen Straße.
Die Localität deutet an, daß wir uns nicht in einem Quartier des Reichthums
befinden; allerlei Gegenstände, Rüstungsstncke, Helme, Degen im Winkel lassen
keinen Zweifel, daß wir die Wohnung eines Pfandleiherö vor uns haben. Und
die Gruppe der drei im Zimmer vorhandenen Personen bestätigt diese Ansicht.
Auf einem Stuhle sitzt ein alter Mann und prüft durch die vorgehaltene Brille
mit Kennermiene das ihm zur Schätzung übergebene Kleinod. Wird er Etwas
darauf leihen, wird es genügen, die dringendsten Bedürfnisse der Mutter mit
ihrem Sohne zu befriedigen, welche in banger Erwartung vor ihm stehen? Ein
schlechtes Kleid, ein mantelartiger schwarzer Ueberwurf bedecken die Gestalt der
Mutter, welche die kraftlos herabgesunkenen Hände bewußtlos faltet, und in ihren
von Elend gebleichten, doch immer noch traurig schönen Zügen und dem großen,
aber starren Auge die ganze Hoffnungslosigkeit eines vernichteten Lebens trägt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/466>, abgerufen am 22.07.2024.