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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Dieses Weib ist in der Einfachheit seiner Stellung, der schlichten Wahrheit seines
Ausdrucks eine unbeschreiblich ergreifende Gestalt. Der neben ihr stehende Knabe
spiegelt in kindlicher Beängstigung die Furcht seiner Mutter offenbar ohne volles eigenes
Verständniß in seinem Antlitz wieder; verlegen umschließen seine Hände den Rand
der Mütze. Sein Anzug, sein Aussehen, obwol ärmlich und winzig, reden der
Mutter, ihrer Sorgfalt, ihrer Pflege ein rührendes Zeugniß: sie hat mit dem
Elende gerungen, so lange sie es vermochte, und über Allem stand ihr die Er¬
füllung ihrer Mutterpflicht. Das Costum der Personen ist nicht modern. Das
Bild nichts weniger als eines der flachen Tendeuzbilder, welche die Gegenwart
hervorgerufen, es enthält einen Act aus der Geschichte menschlicher Leiden in
einer Darstellung, die des Künstlers Hand nur unter lebendiger Einwirkung des
Herzens zu schaffen vermochte. -- Da ich im Umherschauen bei meinem heutigen
Besuche ein neues Werk unsres Carl Staffeck nicht zu entdecken im Stande war,
so will ich Ihnen schnell ans der Erinnerung eines seiner neuesten Bildchen, das
ich vor Kurzem sah, mit ein Paar Worten abschildern. Er nennt es die Beute.
Ein Reitersmann aus der Zeit des dreißigjährigen Krieges steuert auf einem
alten, ermüdeten Schimmel dem Quartiere zu. Seine Beute ist ein kleines blondes
Bauermädcheu, noch völlig Kind, das er vermuthlich aus dem im Hintergründe
brennenden Dorfe mit sich nahm, vielleicht gar vom Flammentode rettete. Das
Kind läuft mit einem Bündelchen unterm Arm nun weinend neben ihm. In dem
gutmüthigen Gesichte des Reiters bemerken wir ein Lächeln der Freude über seine
allerliebste Beute, denn es ist ein gar niedlich frisches Dirnchen, das er mit sich
führt. Aber mit hübschem Humor hat der Künstler jenem Lächeln einen Zug der
Verlegenheit beizumischen gewußt, aus dem wir wol mit Recht Heranslesen, daß
der neue Pflegevater uicht recht weiß, was mit dem Beutestück anzusaugen sei.
Daß er die Kleine nicht ohne Weiteres im Stiche lassen werde, dürfen wir ans
der gemüthvollen Weise schließen, mit der er auf sie niederblickt.

Die eine Schmalseite deö Saales nehmen zur Hälfte die hinterlassenen Ar¬
beiten des Landschafters Albert Eichhorn ein, der im October vorigen Jahres sich
selber den Tod bereitete. Welche Beweggründe ihn zu solchem Entschluß getrieben,
ist mir unbekannt. Er war ein verdienstvoller Künstler und fortdauernd einträg¬
lich beschäftigt, da seine Bilder, deren Motive ^er in Italien und Griechenland
gesammelt hatte, sich der Beliebtheit erfreuten. In seinem Nachlasse sehen wir
geschmackvolle Ansichten des Forum Romanum, des Sibylleutempels bei Tivoli,
des Städtchens Subiaco bei Rom im Sabinergebirge, des Vesuvs, des korinthi¬
schen Meerbusens (links der Parnaß, rechts Akrokorinth), des pentelischen Gebir¬
ges bei Korinth, der Akropolis von Korinth und andere. Das Geschlecht der
malenden Touristen ist übrigens bei uns sehr zahlreich und durch sehr geschickte
und talentvolle Künstler vertreten. Im Herbste vorigen Jahres kehrte Max
Schmidt mit einer sehr wohl gefüllten Mappe von den jonischen Inseln zurück,


Grenzboten. I. , 58

Dieses Weib ist in der Einfachheit seiner Stellung, der schlichten Wahrheit seines
Ausdrucks eine unbeschreiblich ergreifende Gestalt. Der neben ihr stehende Knabe
spiegelt in kindlicher Beängstigung die Furcht seiner Mutter offenbar ohne volles eigenes
Verständniß in seinem Antlitz wieder; verlegen umschließen seine Hände den Rand
der Mütze. Sein Anzug, sein Aussehen, obwol ärmlich und winzig, reden der
Mutter, ihrer Sorgfalt, ihrer Pflege ein rührendes Zeugniß: sie hat mit dem
Elende gerungen, so lange sie es vermochte, und über Allem stand ihr die Er¬
füllung ihrer Mutterpflicht. Das Costum der Personen ist nicht modern. Das
Bild nichts weniger als eines der flachen Tendeuzbilder, welche die Gegenwart
hervorgerufen, es enthält einen Act aus der Geschichte menschlicher Leiden in
einer Darstellung, die des Künstlers Hand nur unter lebendiger Einwirkung des
Herzens zu schaffen vermochte. — Da ich im Umherschauen bei meinem heutigen
Besuche ein neues Werk unsres Carl Staffeck nicht zu entdecken im Stande war,
so will ich Ihnen schnell ans der Erinnerung eines seiner neuesten Bildchen, das
ich vor Kurzem sah, mit ein Paar Worten abschildern. Er nennt es die Beute.
Ein Reitersmann aus der Zeit des dreißigjährigen Krieges steuert auf einem
alten, ermüdeten Schimmel dem Quartiere zu. Seine Beute ist ein kleines blondes
Bauermädcheu, noch völlig Kind, das er vermuthlich aus dem im Hintergründe
brennenden Dorfe mit sich nahm, vielleicht gar vom Flammentode rettete. Das
Kind läuft mit einem Bündelchen unterm Arm nun weinend neben ihm. In dem
gutmüthigen Gesichte des Reiters bemerken wir ein Lächeln der Freude über seine
allerliebste Beute, denn es ist ein gar niedlich frisches Dirnchen, das er mit sich
führt. Aber mit hübschem Humor hat der Künstler jenem Lächeln einen Zug der
Verlegenheit beizumischen gewußt, aus dem wir wol mit Recht Heranslesen, daß
der neue Pflegevater uicht recht weiß, was mit dem Beutestück anzusaugen sei.
Daß er die Kleine nicht ohne Weiteres im Stiche lassen werde, dürfen wir ans
der gemüthvollen Weise schließen, mit der er auf sie niederblickt.

Die eine Schmalseite deö Saales nehmen zur Hälfte die hinterlassenen Ar¬
beiten des Landschafters Albert Eichhorn ein, der im October vorigen Jahres sich
selber den Tod bereitete. Welche Beweggründe ihn zu solchem Entschluß getrieben,
ist mir unbekannt. Er war ein verdienstvoller Künstler und fortdauernd einträg¬
lich beschäftigt, da seine Bilder, deren Motive ^er in Italien und Griechenland
gesammelt hatte, sich der Beliebtheit erfreuten. In seinem Nachlasse sehen wir
geschmackvolle Ansichten des Forum Romanum, des Sibylleutempels bei Tivoli,
des Städtchens Subiaco bei Rom im Sabinergebirge, des Vesuvs, des korinthi¬
schen Meerbusens (links der Parnaß, rechts Akrokorinth), des pentelischen Gebir¬
ges bei Korinth, der Akropolis von Korinth und andere. Das Geschlecht der
malenden Touristen ist übrigens bei uns sehr zahlreich und durch sehr geschickte
und talentvolle Künstler vertreten. Im Herbste vorigen Jahres kehrte Max
Schmidt mit einer sehr wohl gefüllten Mappe von den jonischen Inseln zurück,


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[0467] Dieses Weib ist in der Einfachheit seiner Stellung, der schlichten Wahrheit seines Ausdrucks eine unbeschreiblich ergreifende Gestalt. Der neben ihr stehende Knabe spiegelt in kindlicher Beängstigung die Furcht seiner Mutter offenbar ohne volles eigenes Verständniß in seinem Antlitz wieder; verlegen umschließen seine Hände den Rand der Mütze. Sein Anzug, sein Aussehen, obwol ärmlich und winzig, reden der Mutter, ihrer Sorgfalt, ihrer Pflege ein rührendes Zeugniß: sie hat mit dem Elende gerungen, so lange sie es vermochte, und über Allem stand ihr die Er¬ füllung ihrer Mutterpflicht. Das Costum der Personen ist nicht modern. Das Bild nichts weniger als eines der flachen Tendeuzbilder, welche die Gegenwart hervorgerufen, es enthält einen Act aus der Geschichte menschlicher Leiden in einer Darstellung, die des Künstlers Hand nur unter lebendiger Einwirkung des Herzens zu schaffen vermochte. — Da ich im Umherschauen bei meinem heutigen Besuche ein neues Werk unsres Carl Staffeck nicht zu entdecken im Stande war, so will ich Ihnen schnell ans der Erinnerung eines seiner neuesten Bildchen, das ich vor Kurzem sah, mit ein Paar Worten abschildern. Er nennt es die Beute. Ein Reitersmann aus der Zeit des dreißigjährigen Krieges steuert auf einem alten, ermüdeten Schimmel dem Quartiere zu. Seine Beute ist ein kleines blondes Bauermädcheu, noch völlig Kind, das er vermuthlich aus dem im Hintergründe brennenden Dorfe mit sich nahm, vielleicht gar vom Flammentode rettete. Das Kind läuft mit einem Bündelchen unterm Arm nun weinend neben ihm. In dem gutmüthigen Gesichte des Reiters bemerken wir ein Lächeln der Freude über seine allerliebste Beute, denn es ist ein gar niedlich frisches Dirnchen, das er mit sich führt. Aber mit hübschem Humor hat der Künstler jenem Lächeln einen Zug der Verlegenheit beizumischen gewußt, aus dem wir wol mit Recht Heranslesen, daß der neue Pflegevater uicht recht weiß, was mit dem Beutestück anzusaugen sei. Daß er die Kleine nicht ohne Weiteres im Stiche lassen werde, dürfen wir ans der gemüthvollen Weise schließen, mit der er auf sie niederblickt. Die eine Schmalseite deö Saales nehmen zur Hälfte die hinterlassenen Ar¬ beiten des Landschafters Albert Eichhorn ein, der im October vorigen Jahres sich selber den Tod bereitete. Welche Beweggründe ihn zu solchem Entschluß getrieben, ist mir unbekannt. Er war ein verdienstvoller Künstler und fortdauernd einträg¬ lich beschäftigt, da seine Bilder, deren Motive ^er in Italien und Griechenland gesammelt hatte, sich der Beliebtheit erfreuten. In seinem Nachlasse sehen wir geschmackvolle Ansichten des Forum Romanum, des Sibylleutempels bei Tivoli, des Städtchens Subiaco bei Rom im Sabinergebirge, des Vesuvs, des korinthi¬ schen Meerbusens (links der Parnaß, rechts Akrokorinth), des pentelischen Gebir¬ ges bei Korinth, der Akropolis von Korinth und andere. Das Geschlecht der malenden Touristen ist übrigens bei uns sehr zahlreich und durch sehr geschickte und talentvolle Künstler vertreten. Im Herbste vorigen Jahres kehrte Max Schmidt mit einer sehr wohl gefüllten Mappe von den jonischen Inseln zurück, Grenzboten. I. , 58

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/467>, abgerufen am 22.07.2024.