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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Cartons zur dritten Trilogie behandeln: in der Lünette die Entsendung der Engel
zur Zerstörung Babylons, in der Predelle die Kleidung der Nackten, die Be¬
wirthung der Fremden; des Hauptbildes geschah vorher schon Erwähnung. Die
Ausführung dieser Trilogie hat der Künstler bis nach Vollendung der anderen
drei hinausgeschoben. Die Lünette der vierten zeigt die nach der Apokalypse
gebildeten sieben Engel, welche die sieben Schalen des Zorns ausgießen, und im
Hauptbilde brausen die vier schrecklichen Reiter daher: der Tod mit seinen Ge¬
nossen, dem Kriege, dem Hunger und der Pest. Die Gestalten derselben sind
herkömmlich dargestellt: der Tod mit der Sense, der Krieg mit dem Schwerte,
die Pest mit dem Bogen und dem Köcher voll giftiger Pfeile, der Hunger mit
der Wage, auf der die Noth und der Ueberfluß gewogen werden sollen. Ob-
wol die vierte Trilogie mir in ihrer Zusammenstellung noch am verständlichsten
erschien, vermag ich doch auch hier aus den allegorischen Verhüllungen die In¬
tentionen des Künstlers nicht mit Bestimmtheit zu enträthseln. Die Predelle soll
dem Schreckenöbilde einen versöhnenden Schlnßaccord hinzufügen.' Wir sehen
Thaten christlicher Barmherzigkeit: die Gefangenen werden besucht, die Traurigen
getröstet, die Verirrten auf den rechten Weg geleitet. Fragt man mich nun,
was die "letzten Dinge" seien, die Cornelius hier in seinen vier Trilogien
schildert, so muß ich reuevoll gestehen, daß ich Ihren Lesern auf's Gerathewohl
eiuen Kuustbericht niedergeschrieben .habe über Dinge, deren Verständniß ich selber
nicht zu erreichen vermochte. Ich bitte um wohlwollende Verzeihung und suche die
Auferstehung meiner selbst, indem ich ans der bildergeschmückten Grabstätte mich
zurückflüchte in die lebendige Kunst.

Wohin? Zum Saale des Berliner Kunstvereins! Man hat es da so bequem,
sich mit den lebenden und strebenden Künstlern der Gegenwart in ihren Werken
zu unterhalten und diese oder jene weitergehende Betrachtung daran zu knüpfen.
Das Local des Kunstvereins, der seit einigen Jahren eine fortdauernde Ausstellung
von- Gemälden dem kunstsinnigen Bewohner und Besucher Berlins darbietet, ist
dasselbe, welches früher die jetzt in den Neubau auf dem Exercirplatze übersie¬
delte Raczynskische Galerie einnahm. Indem wir heute eintreten, fällt unser
erster Blick auf ein reizvolles Werk zweier in Düsseldorf gebildeten norwegischen
Künstler, Gude und Tidemand: ein Sommerabend auf einem norwegischen Bin¬
nensee. Es gehört die ganze Hartnäckigkeit eines Korrespondenten dazu, sich von
der Anmuth dieses Bildes zeitig genug loszureißen, um noch schnell den Gesammt-
inhalt des Saales zu mustern. Julius Schrader's jüngstes Kind, das liebliche
italienische Mädchen, welches hier mein Ange erblickt, führt wieder in den
Kreis meiner Landsleute. Ein kleiner Krauskopf von höchstens acht Jahren, mit
schwarzbraunem Haar und blühenden Wangen, einem allerliebsten Stumpfnäschen
und gluthvoller Augen, sitzt sie auf einer von Weinreben umrankten Steintreppe,
die Mandoline, mit welcher sie die Bajocchi aus den Taschen mitleidiger Seelen


Cartons zur dritten Trilogie behandeln: in der Lünette die Entsendung der Engel
zur Zerstörung Babylons, in der Predelle die Kleidung der Nackten, die Be¬
wirthung der Fremden; des Hauptbildes geschah vorher schon Erwähnung. Die
Ausführung dieser Trilogie hat der Künstler bis nach Vollendung der anderen
drei hinausgeschoben. Die Lünette der vierten zeigt die nach der Apokalypse
gebildeten sieben Engel, welche die sieben Schalen des Zorns ausgießen, und im
Hauptbilde brausen die vier schrecklichen Reiter daher: der Tod mit seinen Ge¬
nossen, dem Kriege, dem Hunger und der Pest. Die Gestalten derselben sind
herkömmlich dargestellt: der Tod mit der Sense, der Krieg mit dem Schwerte,
die Pest mit dem Bogen und dem Köcher voll giftiger Pfeile, der Hunger mit
der Wage, auf der die Noth und der Ueberfluß gewogen werden sollen. Ob-
wol die vierte Trilogie mir in ihrer Zusammenstellung noch am verständlichsten
erschien, vermag ich doch auch hier aus den allegorischen Verhüllungen die In¬
tentionen des Künstlers nicht mit Bestimmtheit zu enträthseln. Die Predelle soll
dem Schreckenöbilde einen versöhnenden Schlnßaccord hinzufügen.' Wir sehen
Thaten christlicher Barmherzigkeit: die Gefangenen werden besucht, die Traurigen
getröstet, die Verirrten auf den rechten Weg geleitet. Fragt man mich nun,
was die „letzten Dinge" seien, die Cornelius hier in seinen vier Trilogien
schildert, so muß ich reuevoll gestehen, daß ich Ihren Lesern auf's Gerathewohl
eiuen Kuustbericht niedergeschrieben .habe über Dinge, deren Verständniß ich selber
nicht zu erreichen vermochte. Ich bitte um wohlwollende Verzeihung und suche die
Auferstehung meiner selbst, indem ich ans der bildergeschmückten Grabstätte mich
zurückflüchte in die lebendige Kunst.

Wohin? Zum Saale des Berliner Kunstvereins! Man hat es da so bequem,
sich mit den lebenden und strebenden Künstlern der Gegenwart in ihren Werken
zu unterhalten und diese oder jene weitergehende Betrachtung daran zu knüpfen.
Das Local des Kunstvereins, der seit einigen Jahren eine fortdauernde Ausstellung
von- Gemälden dem kunstsinnigen Bewohner und Besucher Berlins darbietet, ist
dasselbe, welches früher die jetzt in den Neubau auf dem Exercirplatze übersie¬
delte Raczynskische Galerie einnahm. Indem wir heute eintreten, fällt unser
erster Blick auf ein reizvolles Werk zweier in Düsseldorf gebildeten norwegischen
Künstler, Gude und Tidemand: ein Sommerabend auf einem norwegischen Bin¬
nensee. Es gehört die ganze Hartnäckigkeit eines Korrespondenten dazu, sich von
der Anmuth dieses Bildes zeitig genug loszureißen, um noch schnell den Gesammt-
inhalt des Saales zu mustern. Julius Schrader's jüngstes Kind, das liebliche
italienische Mädchen, welches hier mein Ange erblickt, führt wieder in den
Kreis meiner Landsleute. Ein kleiner Krauskopf von höchstens acht Jahren, mit
schwarzbraunem Haar und blühenden Wangen, einem allerliebsten Stumpfnäschen
und gluthvoller Augen, sitzt sie auf einer von Weinreben umrankten Steintreppe,
die Mandoline, mit welcher sie die Bajocchi aus den Taschen mitleidiger Seelen


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[0465] Cartons zur dritten Trilogie behandeln: in der Lünette die Entsendung der Engel zur Zerstörung Babylons, in der Predelle die Kleidung der Nackten, die Be¬ wirthung der Fremden; des Hauptbildes geschah vorher schon Erwähnung. Die Ausführung dieser Trilogie hat der Künstler bis nach Vollendung der anderen drei hinausgeschoben. Die Lünette der vierten zeigt die nach der Apokalypse gebildeten sieben Engel, welche die sieben Schalen des Zorns ausgießen, und im Hauptbilde brausen die vier schrecklichen Reiter daher: der Tod mit seinen Ge¬ nossen, dem Kriege, dem Hunger und der Pest. Die Gestalten derselben sind herkömmlich dargestellt: der Tod mit der Sense, der Krieg mit dem Schwerte, die Pest mit dem Bogen und dem Köcher voll giftiger Pfeile, der Hunger mit der Wage, auf der die Noth und der Ueberfluß gewogen werden sollen. Ob- wol die vierte Trilogie mir in ihrer Zusammenstellung noch am verständlichsten erschien, vermag ich doch auch hier aus den allegorischen Verhüllungen die In¬ tentionen des Künstlers nicht mit Bestimmtheit zu enträthseln. Die Predelle soll dem Schreckenöbilde einen versöhnenden Schlnßaccord hinzufügen.' Wir sehen Thaten christlicher Barmherzigkeit: die Gefangenen werden besucht, die Traurigen getröstet, die Verirrten auf den rechten Weg geleitet. Fragt man mich nun, was die „letzten Dinge" seien, die Cornelius hier in seinen vier Trilogien schildert, so muß ich reuevoll gestehen, daß ich Ihren Lesern auf's Gerathewohl eiuen Kuustbericht niedergeschrieben .habe über Dinge, deren Verständniß ich selber nicht zu erreichen vermochte. Ich bitte um wohlwollende Verzeihung und suche die Auferstehung meiner selbst, indem ich ans der bildergeschmückten Grabstätte mich zurückflüchte in die lebendige Kunst. Wohin? Zum Saale des Berliner Kunstvereins! Man hat es da so bequem, sich mit den lebenden und strebenden Künstlern der Gegenwart in ihren Werken zu unterhalten und diese oder jene weitergehende Betrachtung daran zu knüpfen. Das Local des Kunstvereins, der seit einigen Jahren eine fortdauernde Ausstellung von- Gemälden dem kunstsinnigen Bewohner und Besucher Berlins darbietet, ist dasselbe, welches früher die jetzt in den Neubau auf dem Exercirplatze übersie¬ delte Raczynskische Galerie einnahm. Indem wir heute eintreten, fällt unser erster Blick auf ein reizvolles Werk zweier in Düsseldorf gebildeten norwegischen Künstler, Gude und Tidemand: ein Sommerabend auf einem norwegischen Bin¬ nensee. Es gehört die ganze Hartnäckigkeit eines Korrespondenten dazu, sich von der Anmuth dieses Bildes zeitig genug loszureißen, um noch schnell den Gesammt- inhalt des Saales zu mustern. Julius Schrader's jüngstes Kind, das liebliche italienische Mädchen, welches hier mein Ange erblickt, führt wieder in den Kreis meiner Landsleute. Ein kleiner Krauskopf von höchstens acht Jahren, mit schwarzbraunem Haar und blühenden Wangen, einem allerliebsten Stumpfnäschen und gluthvoller Augen, sitzt sie auf einer von Weinreben umrankten Steintreppe, die Mandoline, mit welcher sie die Bajocchi aus den Taschen mitleidiger Seelen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/465>, abgerufen am 22.07.2024.