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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Form des Enthusiasmus um so leichter aneignen, je greller die Stichworte ins
Ohr fallen. Die Schlegel'sche Schule hatte schon hinreichend dafür gesorgt, an¬
gehende Genies durch currente Paradoxien zu fördern. Hoffmann hat dieses
Material bedeutend vermehrt. Seine wunderlichen Ansichten über Don Juan
z. B. haben eine unabsehbare Nachkommenschaft hervorgebracht. Janin, Alfred
de Musset, Grabbe, Lenau ze. haben gewetteifert, diesem unnatürlichen Problem
immer neue Seiren abzugewinnen.

Außerdem verletzt uns die Willkür im Inhalt nud in der Form. Wenn in
einem der Phantasiestücke der alte Gluck einige dreißig Jahre nach seinem Tode
als komische Figur in Berlin spuken muß, so sucht man vergebens nach einem
Grund für diese seltsame Erfindung, und so ist auch Kreisler, obgleich im Ein¬
zelnen seine künstlerischen Empfindungen ganz vortrefflich geschildert sind, in der
Anlage doch eine höchst abenteuerliche Figur und weit toller als Jean Paul's Schoppe,
mit dem er eine auffallende Familienähnlichkeit hat. Wenn bei einem Charakter von
vorn herein seine Bestimmung, in Wahnsinn zu enden, sichtbar wird, so läßt sich auch
von seiner Entwickelung nicht viel Gutes erwarten. -- Sehr charakteristisch ist
der "goldene Topf", eine echt romantische Gegenüberstellung des Ideals und
der Wirklichkeit. Auf der einen Seite eine gestaltlose phantastische Kmfunkelpoesie,
aus der audern die erbärmlichste Alltäglichkeit, und beide in einem wilden Wirbel
durch einander getrieben. Aus dem künstlerischen Enthusiasmus ist unkünstlerische
Phantasterei geworden, das Fratzenhafte und das Ueberschwängliche spielt fort¬
während in einander, und man hat an Keinem seine Freude, weil in demselben
Augenblick, wo es dem Anschein nach Gestalt gewinnen will, wieder ein neues
Nebelbild dazwischen tritt. Einzelne Einfälle sind drollig genug, z. B. wie der
geheime Archivarius einmal ganz ernsthaft erklärt, sein Bruder habe sich auf die
schlechte Seite gelegt und sei unter die Drachen gegangen; auch die Hexenscene
aus dem Kreuzweg ist mit sehr lebhaften Farben geschildert, aber das Ganze ist
doch eine frostige Allegorie, die durch Aufbietung aller möglichen sinnlichen Mittel,
durch exotische Pflanzen, sprechende Vögel, grünfunkelnde Schlangen u. f. w.
vergebens ein phantastisches Leben zu gewinnen sucht. Die Phantasie eines
Fieberkranken ist nicht ein richtiger Ausdruck für die Poesie, eben so wenig
wie die Betrunkenheit, der überhaupt in diesen Phantasiestücken ein gar
zu großer Raum gegeben wird. -- Für die künstlerischen Ansichten Hoff-
mann's, die beiläufig ziemlich stark an Jean Paul's Vorschule der Aesthetik er¬
innern, ist das Gespräch mit dem Hunde Berganza am lehrreichsten. Es wird
sehr heftig gegen die Schiller'sche Theorie vom moralischen Zweck der Dichtkunst
geeifert, da dieselbe nur die Aufgabe haben könne, den Menschen in eine erhöhte
ideale Stimmung zu versetzen, wobei der Kritiker vergißt, das das Eine nur
durch das Andere möglich ist. Auch sind einige vortreffliche Schilderungen über
die Fadheit des Salonlebens darin. Die ganze Form des Gesprächs ist aber


Form des Enthusiasmus um so leichter aneignen, je greller die Stichworte ins
Ohr fallen. Die Schlegel'sche Schule hatte schon hinreichend dafür gesorgt, an¬
gehende Genies durch currente Paradoxien zu fördern. Hoffmann hat dieses
Material bedeutend vermehrt. Seine wunderlichen Ansichten über Don Juan
z. B. haben eine unabsehbare Nachkommenschaft hervorgebracht. Janin, Alfred
de Musset, Grabbe, Lenau ze. haben gewetteifert, diesem unnatürlichen Problem
immer neue Seiren abzugewinnen.

Außerdem verletzt uns die Willkür im Inhalt nud in der Form. Wenn in
einem der Phantasiestücke der alte Gluck einige dreißig Jahre nach seinem Tode
als komische Figur in Berlin spuken muß, so sucht man vergebens nach einem
Grund für diese seltsame Erfindung, und so ist auch Kreisler, obgleich im Ein¬
zelnen seine künstlerischen Empfindungen ganz vortrefflich geschildert sind, in der
Anlage doch eine höchst abenteuerliche Figur und weit toller als Jean Paul's Schoppe,
mit dem er eine auffallende Familienähnlichkeit hat. Wenn bei einem Charakter von
vorn herein seine Bestimmung, in Wahnsinn zu enden, sichtbar wird, so läßt sich auch
von seiner Entwickelung nicht viel Gutes erwarten. — Sehr charakteristisch ist
der „goldene Topf", eine echt romantische Gegenüberstellung des Ideals und
der Wirklichkeit. Auf der einen Seite eine gestaltlose phantastische Kmfunkelpoesie,
aus der audern die erbärmlichste Alltäglichkeit, und beide in einem wilden Wirbel
durch einander getrieben. Aus dem künstlerischen Enthusiasmus ist unkünstlerische
Phantasterei geworden, das Fratzenhafte und das Ueberschwängliche spielt fort¬
während in einander, und man hat an Keinem seine Freude, weil in demselben
Augenblick, wo es dem Anschein nach Gestalt gewinnen will, wieder ein neues
Nebelbild dazwischen tritt. Einzelne Einfälle sind drollig genug, z. B. wie der
geheime Archivarius einmal ganz ernsthaft erklärt, sein Bruder habe sich auf die
schlechte Seite gelegt und sei unter die Drachen gegangen; auch die Hexenscene
aus dem Kreuzweg ist mit sehr lebhaften Farben geschildert, aber das Ganze ist
doch eine frostige Allegorie, die durch Aufbietung aller möglichen sinnlichen Mittel,
durch exotische Pflanzen, sprechende Vögel, grünfunkelnde Schlangen u. f. w.
vergebens ein phantastisches Leben zu gewinnen sucht. Die Phantasie eines
Fieberkranken ist nicht ein richtiger Ausdruck für die Poesie, eben so wenig
wie die Betrunkenheit, der überhaupt in diesen Phantasiestücken ein gar
zu großer Raum gegeben wird. — Für die künstlerischen Ansichten Hoff-
mann's, die beiläufig ziemlich stark an Jean Paul's Vorschule der Aesthetik er¬
innern, ist das Gespräch mit dem Hunde Berganza am lehrreichsten. Es wird
sehr heftig gegen die Schiller'sche Theorie vom moralischen Zweck der Dichtkunst
geeifert, da dieselbe nur die Aufgabe haben könne, den Menschen in eine erhöhte
ideale Stimmung zu versetzen, wobei der Kritiker vergißt, das das Eine nur
durch das Andere möglich ist. Auch sind einige vortreffliche Schilderungen über
die Fadheit des Salonlebens darin. Die ganze Form des Gesprächs ist aber


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[0458] Form des Enthusiasmus um so leichter aneignen, je greller die Stichworte ins Ohr fallen. Die Schlegel'sche Schule hatte schon hinreichend dafür gesorgt, an¬ gehende Genies durch currente Paradoxien zu fördern. Hoffmann hat dieses Material bedeutend vermehrt. Seine wunderlichen Ansichten über Don Juan z. B. haben eine unabsehbare Nachkommenschaft hervorgebracht. Janin, Alfred de Musset, Grabbe, Lenau ze. haben gewetteifert, diesem unnatürlichen Problem immer neue Seiren abzugewinnen. Außerdem verletzt uns die Willkür im Inhalt nud in der Form. Wenn in einem der Phantasiestücke der alte Gluck einige dreißig Jahre nach seinem Tode als komische Figur in Berlin spuken muß, so sucht man vergebens nach einem Grund für diese seltsame Erfindung, und so ist auch Kreisler, obgleich im Ein¬ zelnen seine künstlerischen Empfindungen ganz vortrefflich geschildert sind, in der Anlage doch eine höchst abenteuerliche Figur und weit toller als Jean Paul's Schoppe, mit dem er eine auffallende Familienähnlichkeit hat. Wenn bei einem Charakter von vorn herein seine Bestimmung, in Wahnsinn zu enden, sichtbar wird, so läßt sich auch von seiner Entwickelung nicht viel Gutes erwarten. — Sehr charakteristisch ist der „goldene Topf", eine echt romantische Gegenüberstellung des Ideals und der Wirklichkeit. Auf der einen Seite eine gestaltlose phantastische Kmfunkelpoesie, aus der audern die erbärmlichste Alltäglichkeit, und beide in einem wilden Wirbel durch einander getrieben. Aus dem künstlerischen Enthusiasmus ist unkünstlerische Phantasterei geworden, das Fratzenhafte und das Ueberschwängliche spielt fort¬ während in einander, und man hat an Keinem seine Freude, weil in demselben Augenblick, wo es dem Anschein nach Gestalt gewinnen will, wieder ein neues Nebelbild dazwischen tritt. Einzelne Einfälle sind drollig genug, z. B. wie der geheime Archivarius einmal ganz ernsthaft erklärt, sein Bruder habe sich auf die schlechte Seite gelegt und sei unter die Drachen gegangen; auch die Hexenscene aus dem Kreuzweg ist mit sehr lebhaften Farben geschildert, aber das Ganze ist doch eine frostige Allegorie, die durch Aufbietung aller möglichen sinnlichen Mittel, durch exotische Pflanzen, sprechende Vögel, grünfunkelnde Schlangen u. f. w. vergebens ein phantastisches Leben zu gewinnen sucht. Die Phantasie eines Fieberkranken ist nicht ein richtiger Ausdruck für die Poesie, eben so wenig wie die Betrunkenheit, der überhaupt in diesen Phantasiestücken ein gar zu großer Raum gegeben wird. — Für die künstlerischen Ansichten Hoff- mann's, die beiläufig ziemlich stark an Jean Paul's Vorschule der Aesthetik er¬ innern, ist das Gespräch mit dem Hunde Berganza am lehrreichsten. Es wird sehr heftig gegen die Schiller'sche Theorie vom moralischen Zweck der Dichtkunst geeifert, da dieselbe nur die Aufgabe haben könne, den Menschen in eine erhöhte ideale Stimmung zu versetzen, wobei der Kritiker vergißt, das das Eine nur durch das Andere möglich ist. Auch sind einige vortreffliche Schilderungen über die Fadheit des Salonlebens darin. Die ganze Form des Gesprächs ist aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/458>, abgerufen am 03.07.2024.