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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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und Originelles, was sie poetischer und interessanter macht, als sie sonst sein
würden. Bei Tieck dagegen fehlt den Prosaischen alle Phantasie und alles Ge¬
müth, den Poetischen alle Ironie und aller Verstand. Beides muß aber zusam¬
menkommen, um wirkliche Charaktere zu schaffen, und wo das Eine oder das
Andere fehlt, entstehen marklose Schattenbilder. Uebrigens hat Hoffmann aus
Tieck später sehr stark influirt; so haben wir in der anmuthigen Novelle: "die
Gemälde" ein ganz im Hoffmann'schen Sinn angelegtes Bild/und die Haupt¬
figur derselben, der Maler Eulenböck, konnte ganz von Hoffmann herrühren.

Derselbe Realismus ist in Hoffmann's Lieblingsfiguren, den Künstlern, die
sowol von einem bestimmten Inhalt des künstlerischen Bewußtseins, als von
einer bestimmten Persönlichkeit getragen werden. In seiner Doppelnatur fand
Hoffmann hinlänglichen Stoff für beide Seiten, und beide werden auch mit sehr
lebhaftem Gefühl aufgefaßt, während sie der eigentliche Romantiker mit kalter,
vornehmer Ironie abfertigt.

Alles dies gilt allerdings mehr von den späteren Novellen und Märchen, als
von dem ersten Werk, wodurch Hoffmann seinen Ruf begründete, den "Phanta¬
siestücken in Callot's Manier". Jean Paul konnte sie wol in der Vorrede
mit großer Lebhaftigkeit empfehlen, da sie im Guten wie im Schlimme" seiner
Manier sehr nahe standen. Der Einfluß, den dieses Buch auf die künstlerischen
Ansichten ausgeübt hat, ist sehr groß. Hoffmann wußte das Bedeutende der musi¬
kalischen Literatur mit tiefem Verständniß und innigem Gefühl ans Licht zu stellen
und es dnrch Anknüpfung an eine eigene Welt von Empfindungen und Phanta¬
sten dem Herzen näher zu bringen. In seinen Gedanken über Mozart, Beethoven,
Gluck ze. ist sehr viel Treffendes und Tiefempfundenes. Aber seine Manier
hat auch viel Böses gestiftet. Man hat sich seit der Zeit darau gewöhnt, musi¬
kalische Kunstwerke in Poesie zu übersetzen, d. h. die in ihnen enthaltenen
Stimmungen und Empfindungen zu einem eigenen Ganzen zu verarbeiten. Wenn
es dabei schon sehr zweifelhaft bleibt, ob man damit auch die Absicht des
Meisters richtig trifft, so ist der Uebelstand in Beziehung auf das Urtheil noch
größer. Irgend welche Empfindungen und Stimmungen müssen sich in jedem
Musikstück vorfinden, und ein sinniger Kopf wird ohne große Mühe auch aus der
schlechtesten Symphonie irgend eine Herzensgeschichte zusammenstelle" können.
Mit diesem Nachschaffen des Kunstwerks ist für die Kritik Nichts gewonnen, denn
es läßt sich daraus uicht abnehmen, ob es gut oder schlecht ist. Da heut zu Tage
so ziemlich jedes Feuilleton in Deutschland, Frankreich und England sich mit der¬
gleichen Phantasiestücken in Callot's Manier abgiebt, so dürfte man wol behaupten,
daß Hoffmann trotz seiner bitteren Satyren gegen den musikalischen Dilettantismus
demselben mehr in die Hände gearbeitet hat, als irgend ein anderer Schriftsteller.
Seine Phantasiestücke gaben die bequemste Unterhaltung für dilettirende Thee-
cirkel her, obgleich sie darüber gerechten Spott ergossen. Man kann sich die


und Originelles, was sie poetischer und interessanter macht, als sie sonst sein
würden. Bei Tieck dagegen fehlt den Prosaischen alle Phantasie und alles Ge¬
müth, den Poetischen alle Ironie und aller Verstand. Beides muß aber zusam¬
menkommen, um wirkliche Charaktere zu schaffen, und wo das Eine oder das
Andere fehlt, entstehen marklose Schattenbilder. Uebrigens hat Hoffmann aus
Tieck später sehr stark influirt; so haben wir in der anmuthigen Novelle: „die
Gemälde" ein ganz im Hoffmann'schen Sinn angelegtes Bild/und die Haupt¬
figur derselben, der Maler Eulenböck, konnte ganz von Hoffmann herrühren.

Derselbe Realismus ist in Hoffmann's Lieblingsfiguren, den Künstlern, die
sowol von einem bestimmten Inhalt des künstlerischen Bewußtseins, als von
einer bestimmten Persönlichkeit getragen werden. In seiner Doppelnatur fand
Hoffmann hinlänglichen Stoff für beide Seiten, und beide werden auch mit sehr
lebhaftem Gefühl aufgefaßt, während sie der eigentliche Romantiker mit kalter,
vornehmer Ironie abfertigt.

Alles dies gilt allerdings mehr von den späteren Novellen und Märchen, als
von dem ersten Werk, wodurch Hoffmann seinen Ruf begründete, den „Phanta¬
siestücken in Callot's Manier". Jean Paul konnte sie wol in der Vorrede
mit großer Lebhaftigkeit empfehlen, da sie im Guten wie im Schlimme» seiner
Manier sehr nahe standen. Der Einfluß, den dieses Buch auf die künstlerischen
Ansichten ausgeübt hat, ist sehr groß. Hoffmann wußte das Bedeutende der musi¬
kalischen Literatur mit tiefem Verständniß und innigem Gefühl ans Licht zu stellen
und es dnrch Anknüpfung an eine eigene Welt von Empfindungen und Phanta¬
sten dem Herzen näher zu bringen. In seinen Gedanken über Mozart, Beethoven,
Gluck ze. ist sehr viel Treffendes und Tiefempfundenes. Aber seine Manier
hat auch viel Böses gestiftet. Man hat sich seit der Zeit darau gewöhnt, musi¬
kalische Kunstwerke in Poesie zu übersetzen, d. h. die in ihnen enthaltenen
Stimmungen und Empfindungen zu einem eigenen Ganzen zu verarbeiten. Wenn
es dabei schon sehr zweifelhaft bleibt, ob man damit auch die Absicht des
Meisters richtig trifft, so ist der Uebelstand in Beziehung auf das Urtheil noch
größer. Irgend welche Empfindungen und Stimmungen müssen sich in jedem
Musikstück vorfinden, und ein sinniger Kopf wird ohne große Mühe auch aus der
schlechtesten Symphonie irgend eine Herzensgeschichte zusammenstelle» können.
Mit diesem Nachschaffen des Kunstwerks ist für die Kritik Nichts gewonnen, denn
es läßt sich daraus uicht abnehmen, ob es gut oder schlecht ist. Da heut zu Tage
so ziemlich jedes Feuilleton in Deutschland, Frankreich und England sich mit der¬
gleichen Phantasiestücken in Callot's Manier abgiebt, so dürfte man wol behaupten,
daß Hoffmann trotz seiner bitteren Satyren gegen den musikalischen Dilettantismus
demselben mehr in die Hände gearbeitet hat, als irgend ein anderer Schriftsteller.
Seine Phantasiestücke gaben die bequemste Unterhaltung für dilettirende Thee-
cirkel her, obgleich sie darüber gerechten Spott ergossen. Man kann sich die


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[0457] und Originelles, was sie poetischer und interessanter macht, als sie sonst sein würden. Bei Tieck dagegen fehlt den Prosaischen alle Phantasie und alles Ge¬ müth, den Poetischen alle Ironie und aller Verstand. Beides muß aber zusam¬ menkommen, um wirkliche Charaktere zu schaffen, und wo das Eine oder das Andere fehlt, entstehen marklose Schattenbilder. Uebrigens hat Hoffmann aus Tieck später sehr stark influirt; so haben wir in der anmuthigen Novelle: „die Gemälde" ein ganz im Hoffmann'schen Sinn angelegtes Bild/und die Haupt¬ figur derselben, der Maler Eulenböck, konnte ganz von Hoffmann herrühren. Derselbe Realismus ist in Hoffmann's Lieblingsfiguren, den Künstlern, die sowol von einem bestimmten Inhalt des künstlerischen Bewußtseins, als von einer bestimmten Persönlichkeit getragen werden. In seiner Doppelnatur fand Hoffmann hinlänglichen Stoff für beide Seiten, und beide werden auch mit sehr lebhaftem Gefühl aufgefaßt, während sie der eigentliche Romantiker mit kalter, vornehmer Ironie abfertigt. Alles dies gilt allerdings mehr von den späteren Novellen und Märchen, als von dem ersten Werk, wodurch Hoffmann seinen Ruf begründete, den „Phanta¬ siestücken in Callot's Manier". Jean Paul konnte sie wol in der Vorrede mit großer Lebhaftigkeit empfehlen, da sie im Guten wie im Schlimme» seiner Manier sehr nahe standen. Der Einfluß, den dieses Buch auf die künstlerischen Ansichten ausgeübt hat, ist sehr groß. Hoffmann wußte das Bedeutende der musi¬ kalischen Literatur mit tiefem Verständniß und innigem Gefühl ans Licht zu stellen und es dnrch Anknüpfung an eine eigene Welt von Empfindungen und Phanta¬ sten dem Herzen näher zu bringen. In seinen Gedanken über Mozart, Beethoven, Gluck ze. ist sehr viel Treffendes und Tiefempfundenes. Aber seine Manier hat auch viel Böses gestiftet. Man hat sich seit der Zeit darau gewöhnt, musi¬ kalische Kunstwerke in Poesie zu übersetzen, d. h. die in ihnen enthaltenen Stimmungen und Empfindungen zu einem eigenen Ganzen zu verarbeiten. Wenn es dabei schon sehr zweifelhaft bleibt, ob man damit auch die Absicht des Meisters richtig trifft, so ist der Uebelstand in Beziehung auf das Urtheil noch größer. Irgend welche Empfindungen und Stimmungen müssen sich in jedem Musikstück vorfinden, und ein sinniger Kopf wird ohne große Mühe auch aus der schlechtesten Symphonie irgend eine Herzensgeschichte zusammenstelle» können. Mit diesem Nachschaffen des Kunstwerks ist für die Kritik Nichts gewonnen, denn es läßt sich daraus uicht abnehmen, ob es gut oder schlecht ist. Da heut zu Tage so ziemlich jedes Feuilleton in Deutschland, Frankreich und England sich mit der¬ gleichen Phantasiestücken in Callot's Manier abgiebt, so dürfte man wol behaupten, daß Hoffmann trotz seiner bitteren Satyren gegen den musikalischen Dilettantismus demselben mehr in die Hände gearbeitet hat, als irgend ein anderer Schriftsteller. Seine Phantasiestücke gaben die bequemste Unterhaltung für dilettirende Thee- cirkel her, obgleich sie darüber gerechten Spott ergossen. Man kann sich die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/457>, abgerufen am 01.07.2024.