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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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Chamisso, Oehlenschläger) sich zusammenfanden und in einer ähnlichen Weise,
wie es in Warschau geschehen war, den Enthusiasmus mit der Posse verbanden.

Die letzten Jahre seines Lebens sind durch Hitzig vortrefflich geschildert. Er
starb an der Nückenmarksdörre im Juni 1822 in vollem Bewußtsein, noch bis
zum letzten Augenblick mit seinen literarischen Arbeiten beschäftigt.

Wenn wir seine poetischen Werke mit der übrigen deutschen Literatur der
damaligen Zeit in Parallele stellen, so fällt zunächst ein wichtiger Unterschied in
die Angen. In seinem Kampfe gegen das Nützlichkeitsprincip und die Gemein¬
plätze des Philisterthums, oder wie man sich heute ausdrücken .würde, der Bour¬
geoisie, geht er mit den Romantikern Hand in Hand; allein bei diesen sind es
die abgeschlossenen Cirkel der vornehmen Welt, oder, um den bezeichnendsten
Ausdruck zu gebrauchen, die ästhetischen Theeeirkel, die ihre Ironie gegen die
Spießbürgerlichkeit der Masse wenden, bei Hoffmann dagegen geht die Reaction
aus der Mitte des bürgerlichen Lebens selbst hervor. Man stelle aus jener Zeit
die bekanntesten aristokratisch-romantischen Kreise zusammen, den Kreis des Wei¬
marer Hofes, der in den "Lehrjahren"/ im Tasso, auch in den gesellschaftlichen
Schilderungen in den "Wahlverwandtschaften" seinen classischen Ausdruck findet;
dann die genialen Cirkel des Prinzen Louis Ferdinand und der Rahel, die durch
das Umfassende ihrer Perspectiven weit über den gewöhnlichen Jdeenkreis des
deutschen Volkes hinausgingen; die Salons der Frau v. Stahl und ihrer deut¬
schen Verehrer, die alle Feinheit der französischen Conversation mit philosophischem
Streben vereinigten; endlich den ultraromantischen Zaubergärten Bettinens, von
dem uns die späteren Briefe ein, wo nicht getreues, aber wenigstens sehr an¬
muthiges Bild geben: -- in allen diesen Kreisen herrscht das Princip der Exklu¬
sivität, die.vornehme Kälte einer höhern Region, der äußere Austand der Grafen
und der wirklichen geheimen Räthe, während in Hoffmann's Schilderungen trotz
aller Extravaganzen, trotz aller Teufel und Gespenster, trotz aller märchenhaften
Verwandlungen und apokalyptischen Visionen uns dennoch unser eigenes Gemüth
freundlich entgegenlacht. Wir fühlen uns zu Hause, und auch wo wir uns in
nebelhafte Träume hiueinphantastren müsse", sind es doch immer unsre eigenen
bürgerlichen Träume. Wenn Hoffmann die Spießbürger mit eben so viel
Heftigkeit verfolgt und geißelt, wie Tieck und die Anderen, so gewinnen sie doch
unter seinen Händen eine viel bestimmtere Gestalt und werden zu komischen
Idealen verarbeitet. Nestor, Stallmeister, Hinze, und wie die andern Typen
des Philisterthums bei Tieck heißen, sind weiter Nichts als abstracte Träger von
Ansichten, die dem Romantiker mißfallen. Gestalt, Inhalt und Lebendigkeit geht
ihnen ab. Der Registrator Heerbrand dagegen, die musikalischen Dilettanten
und die übrigen Hoffmann'schen Philister, auch selbst die phantastischen Figuren,
wie z. B. der Magister Tinte, sind der lebendigen Wirklichkeit entnommen, und
nicht blos angeschaut, sondern empfunden. So haben Alle etwas Fratzenhaftes


Chamisso, Oehlenschläger) sich zusammenfanden und in einer ähnlichen Weise,
wie es in Warschau geschehen war, den Enthusiasmus mit der Posse verbanden.

Die letzten Jahre seines Lebens sind durch Hitzig vortrefflich geschildert. Er
starb an der Nückenmarksdörre im Juni 1822 in vollem Bewußtsein, noch bis
zum letzten Augenblick mit seinen literarischen Arbeiten beschäftigt.

Wenn wir seine poetischen Werke mit der übrigen deutschen Literatur der
damaligen Zeit in Parallele stellen, so fällt zunächst ein wichtiger Unterschied in
die Angen. In seinem Kampfe gegen das Nützlichkeitsprincip und die Gemein¬
plätze des Philisterthums, oder wie man sich heute ausdrücken .würde, der Bour¬
geoisie, geht er mit den Romantikern Hand in Hand; allein bei diesen sind es
die abgeschlossenen Cirkel der vornehmen Welt, oder, um den bezeichnendsten
Ausdruck zu gebrauchen, die ästhetischen Theeeirkel, die ihre Ironie gegen die
Spießbürgerlichkeit der Masse wenden, bei Hoffmann dagegen geht die Reaction
aus der Mitte des bürgerlichen Lebens selbst hervor. Man stelle aus jener Zeit
die bekanntesten aristokratisch-romantischen Kreise zusammen, den Kreis des Wei¬
marer Hofes, der in den „Lehrjahren"/ im Tasso, auch in den gesellschaftlichen
Schilderungen in den „Wahlverwandtschaften" seinen classischen Ausdruck findet;
dann die genialen Cirkel des Prinzen Louis Ferdinand und der Rahel, die durch
das Umfassende ihrer Perspectiven weit über den gewöhnlichen Jdeenkreis des
deutschen Volkes hinausgingen; die Salons der Frau v. Stahl und ihrer deut¬
schen Verehrer, die alle Feinheit der französischen Conversation mit philosophischem
Streben vereinigten; endlich den ultraromantischen Zaubergärten Bettinens, von
dem uns die späteren Briefe ein, wo nicht getreues, aber wenigstens sehr an¬
muthiges Bild geben: — in allen diesen Kreisen herrscht das Princip der Exklu¬
sivität, die.vornehme Kälte einer höhern Region, der äußere Austand der Grafen
und der wirklichen geheimen Räthe, während in Hoffmann's Schilderungen trotz
aller Extravaganzen, trotz aller Teufel und Gespenster, trotz aller märchenhaften
Verwandlungen und apokalyptischen Visionen uns dennoch unser eigenes Gemüth
freundlich entgegenlacht. Wir fühlen uns zu Hause, und auch wo wir uns in
nebelhafte Träume hiueinphantastren müsse«, sind es doch immer unsre eigenen
bürgerlichen Träume. Wenn Hoffmann die Spießbürger mit eben so viel
Heftigkeit verfolgt und geißelt, wie Tieck und die Anderen, so gewinnen sie doch
unter seinen Händen eine viel bestimmtere Gestalt und werden zu komischen
Idealen verarbeitet. Nestor, Stallmeister, Hinze, und wie die andern Typen
des Philisterthums bei Tieck heißen, sind weiter Nichts als abstracte Träger von
Ansichten, die dem Romantiker mißfallen. Gestalt, Inhalt und Lebendigkeit geht
ihnen ab. Der Registrator Heerbrand dagegen, die musikalischen Dilettanten
und die übrigen Hoffmann'schen Philister, auch selbst die phantastischen Figuren,
wie z. B. der Magister Tinte, sind der lebendigen Wirklichkeit entnommen, und
nicht blos angeschaut, sondern empfunden. So haben Alle etwas Fratzenhaftes


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/456>, abgerufen am 29.06.2024.