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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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trug und Flexion der Wörter selbst sind in ihrer Hauptsache vor der Einwan¬
derung so gewesen, wie sie jetzt erscheinen. Daher ist die Auswanderung der Zigeuner
ans Indien nicht zu hoch in der Zeit hinaufzurücken. Die ursprüngliche Gleich¬
artigkeit der Zigeunersprache ist selbst aus deu verschiedenartige" Umwandlungen,
welche dieselbe in deu vielen Ländern erfahren hat, deutlich zu erkennen. Sie er¬
scheint als die Mundart eines einzigen und besonderen indischen Stammes. Die
Zigeuner sind demnach uicht die Nachkommen eiues Gemisches indischer Völker oder
gar einzelner niedriger Kasten Indiens, sondern die Enkel einoS bestimmten Volks¬
stammes. Der Zigeuner nennt überall sich selbst: rinn der Maun, den Abendländern
gegenüber auch ecus, der Schwarze, sein Weib romni, seine Sprache roman^ Kelnli-
Die Namen, welche sein Stamm in den verschiedenen Ländern erhalten hat, sind
sehr zahlreich und verschieden.

Die Zigeunersprache ist ihrem Ursprung und innern Bau nach eine echte
Tochter des vornehmen Sanskrit, aber sie ist eine Bettlerin und Diebin geworden
seit vielen Jahrhunderten, sie hat sehr Vieles verloren von ihrer Schönheit, ihrem
Schmuck und ihrer Aehnlichkeit mit Mutter und Schwestern; dafür hat sie fast in
jedem Lande, wo das Volk auf seiner Irrfahrt verweilte, einzelnes Fremde für
sich gestohlenuud ihr Kleid erscheint beim ersten Anblick mit deu Lappen aller
Völker überdeckt, so daß nur hier und da die alten, echten Goldfäden uoch sichtbar
sind. Doch ist genug geblieben, was der Forschung würdig ist. Allerdings hat
der Stamm einen großen Theil seiner eigenen Wörter verloren, zunächst solche,
welche auf Vorstellungen und Anschnunugen beruhte", die in den fremden Ländern,
in dem kleinen armseligen Leben sich zu erhalten keine Gelegenheit hatten. Der
Rom hat den indischen Ausdruck verloren für den Papagei, den Elephanten und
Löwen, für den Tiger und die Königsschlange, aber den Zucker Ano, die Seide Mo',
die Weintraube all-^liti nennt er noch mit ihren indischen Namen, und den Wein
motu nach dem Persischen. Ja, er hat auch zu vielen ihm immer geläufigen Be¬
zeichnungen von Naturgegenständen das indische Wort verlöre"?, er weiß deu
Sperling nicht mehr indisch zu nennen, keinen Fisch und sast keine Pflanze; aller¬
dings aber viele große und kleine Thiere, uuter deu anderen auch clseku, die Laus.
In allen Ländern aber boten sich ihm andere Vorstellungen, Bilder und An--
schannngen dar, und zu faul und zu soiglos, für dieselben eigene Wörter zu
bilden, nahm er die Wörter jeder fremden Sprache an, indem er sie nach dem
Drange seiner Zunge ein wenig zurichtete. Dazu kam, daß die Zigeuner selbst
in Banden, ohne festen Zusammenhang unter die verschiedensten Völker zersplit¬
terten, so daß auch ihr erhaltenes Eigenthum uicht alleu gemeinsam blieb, und in
jedem Lande ein eigenthümliches Zigeuneridiom entstand, in welchem sich alte
Erinnerungen mit der Sprache des Landes ans originelle Weise vermischten. Am
meisten geschah dies in Spanien, wo die Cato's eine längere und größere natio¬
nale Selbstständigkeit bewahrten, als irgendwo in Europa, und doch die eigenen


trug und Flexion der Wörter selbst sind in ihrer Hauptsache vor der Einwan¬
derung so gewesen, wie sie jetzt erscheinen. Daher ist die Auswanderung der Zigeuner
ans Indien nicht zu hoch in der Zeit hinaufzurücken. Die ursprüngliche Gleich¬
artigkeit der Zigeunersprache ist selbst aus deu verschiedenartige» Umwandlungen,
welche dieselbe in deu vielen Ländern erfahren hat, deutlich zu erkennen. Sie er¬
scheint als die Mundart eines einzigen und besonderen indischen Stammes. Die
Zigeuner sind demnach uicht die Nachkommen eiues Gemisches indischer Völker oder
gar einzelner niedriger Kasten Indiens, sondern die Enkel einoS bestimmten Volks¬
stammes. Der Zigeuner nennt überall sich selbst: rinn der Maun, den Abendländern
gegenüber auch ecus, der Schwarze, sein Weib romni, seine Sprache roman^ Kelnli-
Die Namen, welche sein Stamm in den verschiedenen Ländern erhalten hat, sind
sehr zahlreich und verschieden.

Die Zigeunersprache ist ihrem Ursprung und innern Bau nach eine echte
Tochter des vornehmen Sanskrit, aber sie ist eine Bettlerin und Diebin geworden
seit vielen Jahrhunderten, sie hat sehr Vieles verloren von ihrer Schönheit, ihrem
Schmuck und ihrer Aehnlichkeit mit Mutter und Schwestern; dafür hat sie fast in
jedem Lande, wo das Volk auf seiner Irrfahrt verweilte, einzelnes Fremde für
sich gestohlenuud ihr Kleid erscheint beim ersten Anblick mit deu Lappen aller
Völker überdeckt, so daß nur hier und da die alten, echten Goldfäden uoch sichtbar
sind. Doch ist genug geblieben, was der Forschung würdig ist. Allerdings hat
der Stamm einen großen Theil seiner eigenen Wörter verloren, zunächst solche,
welche auf Vorstellungen und Anschnunugen beruhte», die in den fremden Ländern,
in dem kleinen armseligen Leben sich zu erhalten keine Gelegenheit hatten. Der
Rom hat den indischen Ausdruck verloren für den Papagei, den Elephanten und
Löwen, für den Tiger und die Königsschlange, aber den Zucker Ano, die Seide Mo',
die Weintraube all-^liti nennt er noch mit ihren indischen Namen, und den Wein
motu nach dem Persischen. Ja, er hat auch zu vielen ihm immer geläufigen Be¬
zeichnungen von Naturgegenständen das indische Wort verlöre»?, er weiß deu
Sperling nicht mehr indisch zu nennen, keinen Fisch und sast keine Pflanze; aller¬
dings aber viele große und kleine Thiere, uuter deu anderen auch clseku, die Laus.
In allen Ländern aber boten sich ihm andere Vorstellungen, Bilder und An--
schannngen dar, und zu faul und zu soiglos, für dieselben eigene Wörter zu
bilden, nahm er die Wörter jeder fremden Sprache an, indem er sie nach dem
Drange seiner Zunge ein wenig zurichtete. Dazu kam, daß die Zigeuner selbst
in Banden, ohne festen Zusammenhang unter die verschiedensten Völker zersplit¬
terten, so daß auch ihr erhaltenes Eigenthum uicht alleu gemeinsam blieb, und in
jedem Lande ein eigenthümliches Zigeuneridiom entstand, in welchem sich alte
Erinnerungen mit der Sprache des Landes ans originelle Weise vermischten. Am
meisten geschah dies in Spanien, wo die Cato's eine längere und größere natio¬
nale Selbstständigkeit bewahrten, als irgendwo in Europa, und doch die eigenen


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[0424] trug und Flexion der Wörter selbst sind in ihrer Hauptsache vor der Einwan¬ derung so gewesen, wie sie jetzt erscheinen. Daher ist die Auswanderung der Zigeuner ans Indien nicht zu hoch in der Zeit hinaufzurücken. Die ursprüngliche Gleich¬ artigkeit der Zigeunersprache ist selbst aus deu verschiedenartige» Umwandlungen, welche dieselbe in deu vielen Ländern erfahren hat, deutlich zu erkennen. Sie er¬ scheint als die Mundart eines einzigen und besonderen indischen Stammes. Die Zigeuner sind demnach uicht die Nachkommen eiues Gemisches indischer Völker oder gar einzelner niedriger Kasten Indiens, sondern die Enkel einoS bestimmten Volks¬ stammes. Der Zigeuner nennt überall sich selbst: rinn der Maun, den Abendländern gegenüber auch ecus, der Schwarze, sein Weib romni, seine Sprache roman^ Kelnli- Die Namen, welche sein Stamm in den verschiedenen Ländern erhalten hat, sind sehr zahlreich und verschieden. Die Zigeunersprache ist ihrem Ursprung und innern Bau nach eine echte Tochter des vornehmen Sanskrit, aber sie ist eine Bettlerin und Diebin geworden seit vielen Jahrhunderten, sie hat sehr Vieles verloren von ihrer Schönheit, ihrem Schmuck und ihrer Aehnlichkeit mit Mutter und Schwestern; dafür hat sie fast in jedem Lande, wo das Volk auf seiner Irrfahrt verweilte, einzelnes Fremde für sich gestohlenuud ihr Kleid erscheint beim ersten Anblick mit deu Lappen aller Völker überdeckt, so daß nur hier und da die alten, echten Goldfäden uoch sichtbar sind. Doch ist genug geblieben, was der Forschung würdig ist. Allerdings hat der Stamm einen großen Theil seiner eigenen Wörter verloren, zunächst solche, welche auf Vorstellungen und Anschnunugen beruhte», die in den fremden Ländern, in dem kleinen armseligen Leben sich zu erhalten keine Gelegenheit hatten. Der Rom hat den indischen Ausdruck verloren für den Papagei, den Elephanten und Löwen, für den Tiger und die Königsschlange, aber den Zucker Ano, die Seide Mo', die Weintraube all-^liti nennt er noch mit ihren indischen Namen, und den Wein motu nach dem Persischen. Ja, er hat auch zu vielen ihm immer geläufigen Be¬ zeichnungen von Naturgegenständen das indische Wort verlöre»?, er weiß deu Sperling nicht mehr indisch zu nennen, keinen Fisch und sast keine Pflanze; aller¬ dings aber viele große und kleine Thiere, uuter deu anderen auch clseku, die Laus. In allen Ländern aber boten sich ihm andere Vorstellungen, Bilder und An-- schannngen dar, und zu faul und zu soiglos, für dieselben eigene Wörter zu bilden, nahm er die Wörter jeder fremden Sprache an, indem er sie nach dem Drange seiner Zunge ein wenig zurichtete. Dazu kam, daß die Zigeuner selbst in Banden, ohne festen Zusammenhang unter die verschiedensten Völker zersplit¬ terten, so daß auch ihr erhaltenes Eigenthum uicht alleu gemeinsam blieb, und in jedem Lande ein eigenthümliches Zigeuneridiom entstand, in welchem sich alte Erinnerungen mit der Sprache des Landes ans originelle Weise vermischten. Am meisten geschah dies in Spanien, wo die Cato's eine längere und größere natio¬ nale Selbstständigkeit bewahrten, als irgendwo in Europa, und doch die eigenen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/424>, abgerufen am 22.07.2024.