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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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den Kopf, als ob sie dächten, daß wir närrisch wären. Der Officier erholte sich
früher von seinem Gelächter, und frug den Erzähler, was sie denn eigentlich
von der Aula gehalten hätten.

"Hätten wir gewußt/' erwiederte der alte Kehlenabschneider sehr ernsthaft,
"hätten wir gewußt, daß diese v--te Aula ein Hans wäre, so würde gewiß keiner
von uns nach Wien gezogen sein. Aber wir hörten immer davon reden, die
Aula mache das ganze Jahr über Unruhe und Unordnung in Wien, und dachten
weiter, der Satan von Weib könne uns daheim gute Dienste leisten, und wollten
sie deshalb haben, um sie nach Bosnien zu schicken, damit sie die Türken verwirre."

Wir sahen einander an; das Gespräch begann denn doch interessant zu
werde".

""Und wenn sie die Türken verwirrt hätte,"" fragte ich, ""so hättet Ihr
wol auch Bosnien für den Tschessar erobert?""

"Hin, warum denn das," erwiderte der Alte fragend.

""El, damit die Tschessarewina (das Kaiserthum) großer würde,"" sagte ich.

"Hin, das ist unnöthig, die Tschessarewina ist groß genug," replicirte der
Rothmäntel. "Betaue die Raja Luft, so wäre es um die Türken geschehen,
und hätten wir Bosnien, so könnten wir ja auch für uns sein."

""So, so, lachte der Officier, Ihr wolltet also dann selbstständig' sein?/"

"Wir wollten es sein," meinten die übrigen Rothmäntel, und so bestätigte
der Alte und seine Augen funkelten in einem seltsamen Feuer. "Ich kenne das
Land drüben wie meinen Garten -- bin oft dort gewesen -- es ist ein schönes
Land die Raja und ist ein just so gutes Volk -- wie die Grauitschari (Grenzer). Und
wer Bosnien hat, wird auch Albanien haben, und Serbien und Bulgarien und die
Zrnagora -- alles ein recht gläubiges Serbenland, und ein Reich so schön als
nur irgend eines aus Gottes Erde, und ein großes Volk mächtiger als alle Völ¬
ker. Wozu brauchen wir denn einen Herrn -- könnten wir uns denn nicht selbst
schützen?"

Dieser Gedankenflug überraschte uns uicht, aber wir schwiegen einige Minuten
lang, während uus die Rothmäntel selbstgefällig betrachteten. Endlich ergriff der
Officier das Wort.

""Ihr macht Rechnung ohne Wirth,"" sprach er zu ihnen, ""habt Ihr
denn nicht gehört, daß die Russen Zarigrad (Constantinopel) und das ganze Türken¬
reich haben wollen?""

"Wenn die Russen Zarigrad haben," antwortete der Alte bedächtig, "so
gehen auch wir zu ihnen."

""Und Euer Reich,"" replicirte der Officier. --

"Unser Reich?" fragte der Alte, den Officier erstaunt ansehend, "unser Reich?
Was unser ist, gehört auch unsren Brüdern; wer aber der staryi (älter, erfahre¬
ner, geistig überlegen) ist, der soll der Hausvater sein."


Grenzboten. I. 4?

den Kopf, als ob sie dächten, daß wir närrisch wären. Der Officier erholte sich
früher von seinem Gelächter, und frug den Erzähler, was sie denn eigentlich
von der Aula gehalten hätten.

„Hätten wir gewußt/' erwiederte der alte Kehlenabschneider sehr ernsthaft,
„hätten wir gewußt, daß diese v—te Aula ein Hans wäre, so würde gewiß keiner
von uns nach Wien gezogen sein. Aber wir hörten immer davon reden, die
Aula mache das ganze Jahr über Unruhe und Unordnung in Wien, und dachten
weiter, der Satan von Weib könne uns daheim gute Dienste leisten, und wollten
sie deshalb haben, um sie nach Bosnien zu schicken, damit sie die Türken verwirre."

Wir sahen einander an; das Gespräch begann denn doch interessant zu
werde».

„„Und wenn sie die Türken verwirrt hätte,"" fragte ich, „„so hättet Ihr
wol auch Bosnien für den Tschessar erobert?""

„Hin, warum denn das," erwiderte der Alte fragend.

„„El, damit die Tschessarewina (das Kaiserthum) großer würde,"" sagte ich.

„Hin, das ist unnöthig, die Tschessarewina ist groß genug," replicirte der
Rothmäntel. „Betaue die Raja Luft, so wäre es um die Türken geschehen,
und hätten wir Bosnien, so könnten wir ja auch für uns sein."

„„So, so, lachte der Officier, Ihr wolltet also dann selbstständig' sein?/"

„Wir wollten es sein," meinten die übrigen Rothmäntel, und so bestätigte
der Alte und seine Augen funkelten in einem seltsamen Feuer. „Ich kenne das
Land drüben wie meinen Garten — bin oft dort gewesen — es ist ein schönes
Land die Raja und ist ein just so gutes Volk — wie die Grauitschari (Grenzer). Und
wer Bosnien hat, wird auch Albanien haben, und Serbien und Bulgarien und die
Zrnagora — alles ein recht gläubiges Serbenland, und ein Reich so schön als
nur irgend eines aus Gottes Erde, und ein großes Volk mächtiger als alle Völ¬
ker. Wozu brauchen wir denn einen Herrn — könnten wir uns denn nicht selbst
schützen?"

Dieser Gedankenflug überraschte uns uicht, aber wir schwiegen einige Minuten
lang, während uus die Rothmäntel selbstgefällig betrachteten. Endlich ergriff der
Officier das Wort.

„„Ihr macht Rechnung ohne Wirth,"" sprach er zu ihnen, „„habt Ihr
denn nicht gehört, daß die Russen Zarigrad (Constantinopel) und das ganze Türken¬
reich haben wollen?""

„Wenn die Russen Zarigrad haben," antwortete der Alte bedächtig, „so
gehen auch wir zu ihnen."

„„Und Euer Reich,"" replicirte der Officier. —

„Unser Reich?" fragte der Alte, den Officier erstaunt ansehend, „unser Reich?
Was unser ist, gehört auch unsren Brüdern; wer aber der staryi (älter, erfahre¬
ner, geistig überlegen) ist, der soll der Hausvater sein."


Grenzboten. I. 4?
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[0379] den Kopf, als ob sie dächten, daß wir närrisch wären. Der Officier erholte sich früher von seinem Gelächter, und frug den Erzähler, was sie denn eigentlich von der Aula gehalten hätten. „Hätten wir gewußt/' erwiederte der alte Kehlenabschneider sehr ernsthaft, „hätten wir gewußt, daß diese v—te Aula ein Hans wäre, so würde gewiß keiner von uns nach Wien gezogen sein. Aber wir hörten immer davon reden, die Aula mache das ganze Jahr über Unruhe und Unordnung in Wien, und dachten weiter, der Satan von Weib könne uns daheim gute Dienste leisten, und wollten sie deshalb haben, um sie nach Bosnien zu schicken, damit sie die Türken verwirre." Wir sahen einander an; das Gespräch begann denn doch interessant zu werde». „„Und wenn sie die Türken verwirrt hätte,"" fragte ich, „„so hättet Ihr wol auch Bosnien für den Tschessar erobert?"" „Hin, warum denn das," erwiderte der Alte fragend. „„El, damit die Tschessarewina (das Kaiserthum) großer würde,"" sagte ich. „Hin, das ist unnöthig, die Tschessarewina ist groß genug," replicirte der Rothmäntel. „Betaue die Raja Luft, so wäre es um die Türken geschehen, und hätten wir Bosnien, so könnten wir ja auch für uns sein." „„So, so, lachte der Officier, Ihr wolltet also dann selbstständig' sein?/" „Wir wollten es sein," meinten die übrigen Rothmäntel, und so bestätigte der Alte und seine Augen funkelten in einem seltsamen Feuer. „Ich kenne das Land drüben wie meinen Garten — bin oft dort gewesen — es ist ein schönes Land die Raja und ist ein just so gutes Volk — wie die Grauitschari (Grenzer). Und wer Bosnien hat, wird auch Albanien haben, und Serbien und Bulgarien und die Zrnagora — alles ein recht gläubiges Serbenland, und ein Reich so schön als nur irgend eines aus Gottes Erde, und ein großes Volk mächtiger als alle Völ¬ ker. Wozu brauchen wir denn einen Herrn — könnten wir uns denn nicht selbst schützen?" Dieser Gedankenflug überraschte uns uicht, aber wir schwiegen einige Minuten lang, während uus die Rothmäntel selbstgefällig betrachteten. Endlich ergriff der Officier das Wort. „„Ihr macht Rechnung ohne Wirth,"" sprach er zu ihnen, „„habt Ihr denn nicht gehört, daß die Russen Zarigrad (Constantinopel) und das ganze Türken¬ reich haben wollen?"" „Wenn die Russen Zarigrad haben," antwortete der Alte bedächtig, „so gehen auch wir zu ihnen." „„Und Euer Reich,"" replicirte der Officier. — „Unser Reich?" fragte der Alte, den Officier erstaunt ansehend, „unser Reich? Was unser ist, gehört auch unsren Brüdern; wer aber der staryi (älter, erfahre¬ ner, geistig überlegen) ist, der soll der Hausvater sein." Grenzboten. I. 4?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/379>, abgerufen am 22.07.2024.