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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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ihre rothen Mäntel und die Waffen vor sich hingelegt und politisieren. Als ich
sie, die von allen Menschen gemiedenen, anredete, fingen sie mir an, ihr Leid zu
klagen; erstens wollte ihnen der Traiteur ,,nicht einmal für Silberzwanziger"
Wein und Brot geben, und dann jammerten sie über vereitelte Hoffnungen, von
denen ich, im Jahre 1848 außerhalb Oestreichs lebend, gar keine Ahnung ge¬
habt hatte.

Ein weißbärtiger Nothmäntler führte das Wort; ich und ein östreichischer
Officier, der serbisch verstand, waren die Zuhörer, denn die übrige Reisegesell¬
schaft hatte sich, aus frommer Scheu vor den gefürchteten Kehlenabschneidern,
in die entgegengesetzte Ecke des Wartesaals geflüchtet.

Nachdem der alte Heide die Einnahme Wiens geschildert hatte, ging er ans
die Aula über. Ich gebe seine Erzählung so getreu als möglich wieder.

"Sage Euch", fuhr er fort, "hatten uus auf Nichts in Wien so gefreut, als
auf diese v--te Aula, welche das ganze Jahr Nichts als Unruhe anstiftete.
Hatte Euch keine Ruhe und fragte einen Lieutnant von den Negulaschi (Linien¬
truppen), der ueben mir daherging, ob man uns das Ding zeigen werde, wenn
wir in die Stadt kommen; freilich, sagte der Schwaba, werdet Ihr sie sehen.
Gut, dachte ich, dann wissen wir auch, wie wir das Satansweib in unsre Hände
bekommen."

"Nun, hatten die Stadt genommen, und fragten nach der Aula; damit sie
uns nicht entkomme, gingen wir alsogleich, wohin man uns gewiesen hatte. Wo
ist die Aula? fragten wir; hier, sagten uns die Leute, und zeigten uns ein großes
Haus. Gott Lob, dachten wir, sie ist also nicht fort, wir haben sie. Besetzten
sogleich alle Ausgänge im Hause, und gingen Einige von den Unsren hinauf,
das Weib zu suchen; fanden aber Nichts, und schrien und wollten das Haus zer¬
stören. Da kam aber mittlerweile ein KranitseKai-sIii, Kapewn (Hauptmann von
den Grenztruppen) daher, und sagten wir ihm, wir wollten das Haus zerstören,
denn die Aula müsse sich entweder in irgend einem Winkel verborgen halten oder
wäre sie durchgegangen. Da lachte uns der Kapelan aus, und sagte uns, das
Hans selbst hieße Aula."

,,Jch sage Euch, dies war die ärgerlichste Stunde meines Lebens -- das Ge¬
wehr siel mir aus der Hand und taumelte ich selbst, so daß mich ein andrer Mann
halten mußte, sonst wäre ich zu Boden gestürzt."

"Was sagst Du, Unglücklicher," schrien wir dem Kapelan zu, "die Aula
wäre dies Haus? Und er sagte: Ja. Lieber Gott, wo war da unsre Freude!
Wir sahen einander beschämt an -- was sollte uns ein Haus in Wien nutzen?!"

Es bedarf kaum der Erwähnung, daß ich und der Officier währeud dieses sehr
ernsthaft und mit kläglichen Geberden vorgetragenen Exposes so lachten, daß wir
endlich sür unser Zwerchfell besorgt zu werden begannen. Die Nothmäntler schie¬
nen es nicht zu begreifen, wie man über ihre Täuschung lachen könne; sie schüttelten


ihre rothen Mäntel und die Waffen vor sich hingelegt und politisieren. Als ich
sie, die von allen Menschen gemiedenen, anredete, fingen sie mir an, ihr Leid zu
klagen; erstens wollte ihnen der Traiteur ,,nicht einmal für Silberzwanziger"
Wein und Brot geben, und dann jammerten sie über vereitelte Hoffnungen, von
denen ich, im Jahre 1848 außerhalb Oestreichs lebend, gar keine Ahnung ge¬
habt hatte.

Ein weißbärtiger Nothmäntler führte das Wort; ich und ein östreichischer
Officier, der serbisch verstand, waren die Zuhörer, denn die übrige Reisegesell¬
schaft hatte sich, aus frommer Scheu vor den gefürchteten Kehlenabschneidern,
in die entgegengesetzte Ecke des Wartesaals geflüchtet.

Nachdem der alte Heide die Einnahme Wiens geschildert hatte, ging er ans
die Aula über. Ich gebe seine Erzählung so getreu als möglich wieder.

„Sage Euch", fuhr er fort, „hatten uus auf Nichts in Wien so gefreut, als
auf diese v—te Aula, welche das ganze Jahr Nichts als Unruhe anstiftete.
Hatte Euch keine Ruhe und fragte einen Lieutnant von den Negulaschi (Linien¬
truppen), der ueben mir daherging, ob man uns das Ding zeigen werde, wenn
wir in die Stadt kommen; freilich, sagte der Schwaba, werdet Ihr sie sehen.
Gut, dachte ich, dann wissen wir auch, wie wir das Satansweib in unsre Hände
bekommen."

„Nun, hatten die Stadt genommen, und fragten nach der Aula; damit sie
uns nicht entkomme, gingen wir alsogleich, wohin man uns gewiesen hatte. Wo
ist die Aula? fragten wir; hier, sagten uns die Leute, und zeigten uns ein großes
Haus. Gott Lob, dachten wir, sie ist also nicht fort, wir haben sie. Besetzten
sogleich alle Ausgänge im Hause, und gingen Einige von den Unsren hinauf,
das Weib zu suchen; fanden aber Nichts, und schrien und wollten das Haus zer¬
stören. Da kam aber mittlerweile ein KranitseKai-sIii, Kapewn (Hauptmann von
den Grenztruppen) daher, und sagten wir ihm, wir wollten das Haus zerstören,
denn die Aula müsse sich entweder in irgend einem Winkel verborgen halten oder
wäre sie durchgegangen. Da lachte uns der Kapelan aus, und sagte uns, das
Hans selbst hieße Aula."

,,Jch sage Euch, dies war die ärgerlichste Stunde meines Lebens — das Ge¬
wehr siel mir aus der Hand und taumelte ich selbst, so daß mich ein andrer Mann
halten mußte, sonst wäre ich zu Boden gestürzt."

„Was sagst Du, Unglücklicher," schrien wir dem Kapelan zu, „die Aula
wäre dies Haus? Und er sagte: Ja. Lieber Gott, wo war da unsre Freude!
Wir sahen einander beschämt an — was sollte uns ein Haus in Wien nutzen?!"

Es bedarf kaum der Erwähnung, daß ich und der Officier währeud dieses sehr
ernsthaft und mit kläglichen Geberden vorgetragenen Exposes so lachten, daß wir
endlich sür unser Zwerchfell besorgt zu werden begannen. Die Nothmäntler schie¬
nen es nicht zu begreifen, wie man über ihre Täuschung lachen könne; sie schüttelten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/378>, abgerufen am 22.07.2024.