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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band.

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wie der Bauer, tölpelhaft, verlegen, wenn er mit einem Fremden spricht; er sagt,
was er meint, unbekümmert ob es diesem recht ist oder nicht, denn Rücksichten
hat er gegen Niemanden, außer gegen seine Aeltern.

Die Grenzer sind durchaus leichte Fußtruppen; nur die Scherest) alter
sind beritten. Die Schereshaner sind die Elite, die Kante vvlL<z der Grenzer,
und jeder von ihnen dünkt sich mindestens so viel als ein "jenseitiger" (böhmischer)
Pascha. Die Schereshaner sind nämlich Grenzsoldaten aus den am Türkencor¬
don liegenden Compagnien, welche, weil sie sich im Dienste ausgezeichnet hatten,
vom Wanddienste befreit sind, und blos zum Patrouilliren zu Pferd am Cordon
gebraucht werde". Da sie in jstetem Kampfe mit den Türken lebten, gab man
ihnen auch türkische Waffen (Handschar und Pistolen im Gürtel und eine lange
weittragende Flinte), und befreite sie vom Tragen der unbequemen Liniennniform,
daher sie die serbische Volkstracht beibehalten haben, über welche sie nur den be¬
rüchtigten rothen Mantel umhängen. Da sie, wie gesagt, stets am Cordon leben
und mit der sogenannten gebildeten Welt in gar keine Berührung kommen, so
kann man ihnen billiger Weise auch nicht zumuthen, daß sie civilisirte Manieren
kennen sollten. Uebrigens ist es mit ihrem seit einigen Jahren so oft behaupteten
Hange zum Kopfabschneiden und Kinderauffressen eben nicht weiter her, als mit
anderen Fabeln aus jenen stürmischen Tagen; so gewiß es auch ist, daß die
Schereshauer im "ehrlichen" Kampfe, wie sie ihn mit Türken zu kämpfen gewohnt
sind, auf den Kopf des Gegners mehr Rücksicht nehmen, als auf irgend welchen
andern Theil seines Körpers, so ist es nicht aus berechneter Grausamkeit oder
noch brutaleren Muthwillen, sondern aus Gewohnheit dieser rohen Kampfesweise.

Abgesehen von dieser Schwäche sind sie die harmlosesten Söhne der Natur,
welche Europa noch aufzuweisen hat. Im Jahre 1848, als alle Welt Politik
trieb, thaten es auch die Schereshauer, welche, en pa-shark gesagt, Russo-
manen und Panslavisten waren, ehe es noch eine panslavistische Literatur gab.
Der Panslavismus liegt eben so gut im Blute des Serben, als die nationale
Eitelkeit in dem Blute der "Krancle Nation". Im Jahre 1828 während des
rnsstsch-türkischen Krieges stimmte der Prota (Erzpriester) Mean in Gospitsch wäh¬
rend jedes Gottesdienstes ein Gebet für den Sieg der russischen Waffen an; als
er deshalb zur Verantwortung gezogen wurde, legte er vor dem Negimentscomman-
danten ein panslavistisches Glaubensbekenntniß ab, welches dem Kriegsministerium nicht
unterbreitet werden konnte, weil dieses den Sinn desselben unmöglich begriffen
hätte. Und nach dem Frieden von Adrianopel sang der kühne Prota ein ^<z
Venen, als ob dies eine selbstverständliche Pflicht gewesen wäre.

Das nächstfolgende Pröbchen der Politik der Grenzer erlebte ich Ende 1848.
Auf der östreichischen südlichen Staatsbahn reisend, traf ich in Mürzzuschlag eiuen
Trupp Schereshaner, welche, von Wien nach Hause geschickt, an diesem Orte aus¬
rüsten. Im' Wartezimmer des Bahnhofs hatten sie sich um einen Tisch gesetzt


wie der Bauer, tölpelhaft, verlegen, wenn er mit einem Fremden spricht; er sagt,
was er meint, unbekümmert ob es diesem recht ist oder nicht, denn Rücksichten
hat er gegen Niemanden, außer gegen seine Aeltern.

Die Grenzer sind durchaus leichte Fußtruppen; nur die Scherest) alter
sind beritten. Die Schereshaner sind die Elite, die Kante vvlL<z der Grenzer,
und jeder von ihnen dünkt sich mindestens so viel als ein „jenseitiger" (böhmischer)
Pascha. Die Schereshaner sind nämlich Grenzsoldaten aus den am Türkencor¬
don liegenden Compagnien, welche, weil sie sich im Dienste ausgezeichnet hatten,
vom Wanddienste befreit sind, und blos zum Patrouilliren zu Pferd am Cordon
gebraucht werde». Da sie in jstetem Kampfe mit den Türken lebten, gab man
ihnen auch türkische Waffen (Handschar und Pistolen im Gürtel und eine lange
weittragende Flinte), und befreite sie vom Tragen der unbequemen Liniennniform,
daher sie die serbische Volkstracht beibehalten haben, über welche sie nur den be¬
rüchtigten rothen Mantel umhängen. Da sie, wie gesagt, stets am Cordon leben
und mit der sogenannten gebildeten Welt in gar keine Berührung kommen, so
kann man ihnen billiger Weise auch nicht zumuthen, daß sie civilisirte Manieren
kennen sollten. Uebrigens ist es mit ihrem seit einigen Jahren so oft behaupteten
Hange zum Kopfabschneiden und Kinderauffressen eben nicht weiter her, als mit
anderen Fabeln aus jenen stürmischen Tagen; so gewiß es auch ist, daß die
Schereshauer im „ehrlichen" Kampfe, wie sie ihn mit Türken zu kämpfen gewohnt
sind, auf den Kopf des Gegners mehr Rücksicht nehmen, als auf irgend welchen
andern Theil seines Körpers, so ist es nicht aus berechneter Grausamkeit oder
noch brutaleren Muthwillen, sondern aus Gewohnheit dieser rohen Kampfesweise.

Abgesehen von dieser Schwäche sind sie die harmlosesten Söhne der Natur,
welche Europa noch aufzuweisen hat. Im Jahre 1848, als alle Welt Politik
trieb, thaten es auch die Schereshauer, welche, en pa-shark gesagt, Russo-
manen und Panslavisten waren, ehe es noch eine panslavistische Literatur gab.
Der Panslavismus liegt eben so gut im Blute des Serben, als die nationale
Eitelkeit in dem Blute der „Krancle Nation". Im Jahre 1828 während des
rnsstsch-türkischen Krieges stimmte der Prota (Erzpriester) Mean in Gospitsch wäh¬
rend jedes Gottesdienstes ein Gebet für den Sieg der russischen Waffen an; als
er deshalb zur Verantwortung gezogen wurde, legte er vor dem Negimentscomman-
danten ein panslavistisches Glaubensbekenntniß ab, welches dem Kriegsministerium nicht
unterbreitet werden konnte, weil dieses den Sinn desselben unmöglich begriffen
hätte. Und nach dem Frieden von Adrianopel sang der kühne Prota ein ^<z
Venen, als ob dies eine selbstverständliche Pflicht gewesen wäre.

Das nächstfolgende Pröbchen der Politik der Grenzer erlebte ich Ende 1848.
Auf der östreichischen südlichen Staatsbahn reisend, traf ich in Mürzzuschlag eiuen
Trupp Schereshaner, welche, von Wien nach Hause geschickt, an diesem Orte aus¬
rüsten. Im' Wartezimmer des Bahnhofs hatten sie sich um einen Tisch gesetzt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93364/377>, abgerufen am 22.07.2024.